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Erstaunliche Abweichungen

07.06.2017

Das Standardmodell der Teilchenphysik ist bestens bestätigt, trotzdem wankt es. Nun hat ein internationales Forscherteam eine neue auffällige Diskrepanz festgestellt. Eine Bestätigung der Resultate würde auf die Existenz neuer Teilchen oder Wechselwir...

Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt ziemlich exakt alle bislang beobachteten Eigenschaften der Elementarteilchen. Die Geschichte der Theorie beginnt in den frühen 1960er-Jahren – und im Jahr 2012 wurde schließlich mit dem Higgs-Teilchen das letzte fehlende Bestandteil des Modells gefunden.

Dennoch gibt es eine Reihe von Phänomenen, für die es im Rahmen des Standardmodells keine schlüssigen Erklärungen gibt. Etwa das Materie-Antimaterie-Rätsel: Wie kommt es, dass sich Materie und Antimaterie nach dem Urknall nicht vollständig vernichtet haben, sondern ein kleiner Teil Materie übrig blieb, aus dem unser sichtbares Universum aufgebaut ist? An diese und weitere Rätsel knüpfen neue Hypothesen und Theorien an. Etwa die Vermutung, dass das Standardmodell in eine umfangreichere Theorie, etwa der Supersymmetrie, eingebettet werden muss.

Auf der Suche nach einer Bestätigung dieser Theorien testen Experimentalphysiker systematisch die Grenzen des etablierten Modells. Zu dessen grundlegender Annahme gehört es, dass sich die Wechselwirkungen einer bestimmten Gruppe von Elementarteilchen, welche Physiker als geladene Leptonen bezeichnen, das Elektron, Myon und Tauon, nur aufgrund ihrer unterschiedlichen Massen unterscheiden.

Äußerst kurze Lebensdauer

Die Annahme lässt sich besonders gut mit Hilfe von B-Mesonen überprüfen. Diese mit fünfeinhalb Protonenmassen besonders schweren Quark-Antiquark-Pärchen müssen in großen Teilchenbeschleunigern erzeugt werden, da sie natürlicherweise nicht existieren. Ihre Lebensdauer ist äußerst kurz: Nach einer Billionstel Sekunde fliegen sie in leichtere Teilchen auseinander – und es gibt Hunderte von Möglichkeiten, auf welche Weise sie dies tun. Das Standardmodell sagt dabei sehr genau voraus, wie häufig ein bestimmter Zerfall vorkommen sollte.

Nun hat eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern, zu denen auch LMU-Professor Thomas Kuhr gehört, festgestellt, dass ein bestimmter Zerfallstyp, bei dem Tauonen beteiligt sind, deutlich zu häufig vorkommt – gemessen an den Vorhersagen des Standardmodells. Dies zeigte sich sowohl in den Daten der beiden bereits abgeschlossenen Experimente Belle am japanischen KEKB-Beschleuniger und BABAR am SLAC in Stanford, USA, als auch am laufenden Experiment LHCb am Large Hadron Collider am CERN in Genf. In der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins Nature berichten die Physiker von ihren Beobachtungen.

„Die Erhöhung ist absolut verblüffend, vor allem wenn man bedenkt, dass sie von drei völlig unabhängigen Experimenten beobachtet wurde“, sagt Thomas Kuhr, der auch Mitglied des Exzellenzclusters Universe ist. Einer der einfachsten Erklärungen für diese Beobachtung wäre die Existenz eines neuen Wechselwirkungsteilchens, ähnlich dem W--Boson der schwachen Wechselwirkung, aber mit einer größeren Masse. Eine andere Möglichkeit wäre die Existenz eines neuen Higgs-Teilchens, das elektrisch geladen ist. „Bevor wir jedoch auf die Existenz neuer Wechselwirkungen oder Teilchen schließen können, brauchen wir eine höhere statistische Sicherheit“, sagt Thomas Kuhr.

Diese sollen in Zukunft das LHCb-Experiment liefern sowie das Experiment BELLE II am Super-KEKB-Beschleuniger in Japan, das im kommenden Jahr den Betrieb aufnehmen wird. Die Wissenschaftler hoffen, dass in diesen Daten viele Hinweise auf neue Physik jenseits des Standardmodells stecken werden.Nature 2017

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