Exzellenzcluster Cross-Cultural Philology: Die eurozentrische Perspektive in der Philologie verlassen
22.05.2025
Der Exzellenzcluster „Cross-Cultural Philology” untersucht die Wechselwirkung verschiedener philologischer Traditionen über 5.000 Jahre. Das Ziel: das Verständnis zwischen Kulturen zu verbessern.
Der Cluster „Cross-Cultural Philology” untersucht mit einem kulturübergreifenden Ansatz philologische Praktiken und kulturelle Dynamiken über einen Zeitraum von 5.000 Jahren. Im Mittelpunkt steht der Reichtum philologischer Traditionen im Nahen und Mittleren Osten, in Ostasien, auf dem indischen Subkontinent, in Nord-, Ost- und Westafrika und in Europa. Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler versprechen sich durch eine kulturvergleichende Herangehensweise Erkenntnisse, die weit über die bisherige Forschung hinausgehen.
Professorin Beate Kellner, Lehrstuhlinhaberin für Germanistische Mediävistik an der LMU München und Sprecherin des Exzellenzclusters „Cross-Cultural Philology” erläutert Ausrichtung und Ziele des Clusters.
Wir werden philologische Praktiken auf der ganzen Welt über einen Zeitraum von 5.000 Jahren vergleichend in den Blick nehmen.
Beate Kellner, Lehrstuhlinhaberin für Germanistische Mediävistik an der LMU
Beate Kellner: Wir werden philologische Praktiken auf der ganzen Welt über einen Zeitraum von 5.000 Jahren vergleichend in den Blick nehmen. Uns geht es darum, eine umfassende Wissenschaftsgeschichte zu entwickeln und die eurozentrische Perspektive zu überwinden, die die Forschung bislang weitgehend geprägt hat. Der Cluster untersucht einen wesentlichen Teil des globalen kulturellen Erbes und sichert dieses. Er wird zur Bewältigung der drängenden gesellschaftlichen Herausforderung beitragen, das Verständnis und die Kommunikation zwischen Kulturen zu verbessern.
Welche gesellschaftliche Bedeutung sehen Sie für die geisteswissenschaftlichen Disziplinen, die am Cluster beteiligt sind?
Wir leben in einer Zeit, die von schnellen, lauten und einfachen Botschaften bestimmt ist. Dem steht die philologische Forschung gegenüber, die komplexe Texte entschlüsselt, um sie langfristig für die Menschheit zu bewahren und zu erläutern. Diese Aufgabe ist aktueller und notwendiger denn je. Inmitten der heutigen Informationsflut und der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne jedes Einzelnen bildet die Philologie durch ihr von kritischem Lesen und Analysieren geleitetes Vorgehen einen notwendigen Gegenpol. Dabei greift der Cluster ein weltweites Archiv von Texten, kulturellen Errungenschaften und Techniken auf, das Jahrtausende umspannt. Die gemeinsame Forschung am Cluster soll diese kulturellen Überlieferungen in komparatistischer Perspektive neu erschließen.
Nicht nur Forschende sollten über grundlegende philologische Kompetenzen und kritisches Denken verfügen, sondern jede und jeder in unserer Gesellschaft. Um das zu erreichen, wollen wir die Geisteswissenschaften an der LMU erneuern und für die Zukunft bestmöglich aufstellen.
Wir können auf die außergewöhnliche Vielfalt philologischer Disziplinen an der LMU aufbauen, um den Cluster zu einem international einmaligen Center zu machen.
Beate Kellner, Lehrstuhlinhaberin für Germanistische Mediävistik an der LMU
Sieben LMU-Fakultäten beteiligt
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Großer Erfolg der LMU: Sieben Exzellenzcluster bewilligt
Worauf baut der Cluster auf und wer ist beteiligt?
Im Cluster arbeiten 25 Principal Investigators zusammen sowie mehrere Key Researcher, viele sind international führend in ihrem jeweiligen Forschungsfeld und haben bereits in interdisziplinären Projekten zusammengearbeitet. Besonders möchte ich das Internationale Doktorandenkolleg „Philologie“ hervorheben. Dieses Pilotprojekt hat gezeigt, wie fruchtbar unser Forschungsansatz ist und wie enthusiastisch er von Nachwuchsforschenden angenommen wird. Diese Erfahrung hat uns auch dazu motiviert, uns als Excellenzcluster zu bewerben.
Am Cluster Cross-Cultural Philology sind Forschende aus sieben Fakultäten der LMU beteiligt sowie ein Kollege von der Universität Würzburg. Wir können auf die außergewöhnliche Vielfalt philologischer Disziplinen an der LMU aufbauen, um den Cluster zu einem international einmaligen Center zu machen. Die Fächerbreite reicht von der Assyriologie über Griechische Philologie bis hin zur Sinologie, um nur drei Disziplinen zu nennen.
Die Forschung des Clusters umfasst einen Zeitraum von 5.000 Jahren und widmet sich mehreren Kulturen. Wie ist die Arbeit strukturiert?
Der Cluster ist aufgeteilt in fünf Forschungsgebiete und drei Querschnittsfelder, die übergreifende Fragen und Ziele behandeln. Außerdem haben wir ein Netzwerk von verschiedenen Formen der Zusammenarbeit entwickelt, das sich über den gesamten Cluster spannt. Wir werden eine Reihe von Arbeitsformaten wie jährliche Arbeitsgruppen, regelmäßige Treffen und Panels mit internationalen Teilnehmenden sowie Publikationsstrategien aufbauen. Für den wissenschaftlichen Nachwuchs wird es zum Beispiel Summer Schools und Masterclasses geben.
Wir werden untersuchen, wie philologische Praktiken in unterschiedliche Kulturen, Religionen, Ethnien, rechtlichen und politischen Systemen eingebettet waren.
Beate Kellner, Lehrstuhlinhaberin für Germanistische Mediävistik an der LMU
Können Sie uns ein Beispiel für eine inhaltliche Fragestellung nennen?
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Forschungsfeld „Writing Systems“ beschäftigen sich zum Beispiel damit, wie sich Schriftsysteme in verschiedenen Kulturen entwickelt und verbreitet haben, wie sie mit verschiedenen Formen des Wissens verknüpft waren und warum sie mitunter wieder verschwunden sind.
Wie gehen Sie mit der Vielfalt der Forschungsfragen im Cluster um?
Vielfalt macht den Kern unseres Forschungsvorhabens aus. Wir werden untersuchen, wie philologische Praktiken in unterschiedliche Kulturen, Religionen, Ethnien, rechtlichen und politischen Systemen eingebettet waren. Diese thematischen Aspekte von Vielfalt werden sich auch strukturell im Cluster widerspiegeln.
Planen Sie auch Formate der Wissenschaftskommunikation?
Wir werden eine Reihe digitaler Publikationsformate und Outreach-Maßnahmen etablieren, um unsere Forschungsergebnisse nicht nur der Wissenschaftscommunity, sondern auch einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Dazu gehören zum Beispiel öffentliche Vortragsreihen, Massive Open Online Courses, philologisches Training für Lehrkräfte, ein Wissenschaftsblog und Podcasts. Natürlich werden wir auch in den sozialen Medien präsent sein.
Methoden der digitalen Geisteswissenschaften
Welche Rolle spielen digitale Technologien für die Forschung im Cluster?
Wir werden Methoden und Ansätze der digitalen Geisteswissenschaften in unsere Forschung integrieren. Das wird es zum Beispiel ermöglichen, Texte und die mit ihnen verbundenen Daten nachhaltig zur Verfügung zu stellen, miteinander zu vergleichen und auch mithilfe von Ansätzen des Maschinellen Lernens zu untersuchen. Dabei können wir auf eine sehr gute Infrastruktur an der LMU aufbauen, zu der das Leibniz-Rechenzentrum, die IT-Gruppe Geisteswissenschaften und auch die Angebote der Universitätsbibliothek zählen.
Die im Cluster angewandten philologischen und digitalen Kompetenzen werden wir der nächsten Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, aber auch Lehrkräften, Studierenden, Schülerinnen und Schülern weitergeben sowie in die Gesellschaft tragen.
Die fünf Forschungsfelder des Excellenzclusters Cross-Cultural Philology:
In allen Forschungsfeldern des Clusters arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen zusammen. Sie untersuchen philologische Praktiken und kulturelle Dynamiken über einen Zeitraum von etwa 5.000 Jahren und erforschen den Reichtum philologischer Traditionen in kulturvergleichender Perspektive.
„Writing Systems“: Wie hängen Schriftsysteme mit Aufbau und Weitergabe von Wissen, mit politischen und sozio-kulturellen Faktoren, mit Handelsnetzen und Verwaltungspraktiken zusammen? Und wie beeinflussen sie die Herausbildung gemeinschaftlicher Identitäten sowie den Aufstieg und Fall von Imperien? Diesen Fragen stellen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Forschungsfeld „Writing Systems“.
„Practices in the Layout, Preservation, and Archiving of Texts“: Im Rahmen philologischen Arbeitens werden Texte auch in ihrer Materialität und Medialität betrachtet. Sie liegen etwa als Keilschrifttafeln aus Mesopotamien vor, als ägyptische Papyri, als Inschriften auf Stein, als handgeschriebene Codices oder Drucke. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Forschungsfeld „Practices in the Layout, Preservation, and Archiving of Texts“ werden daher auch das Layout der überlieferten Texte untersuchen ebenso wie die Verbindung von Texten und Paratexten sowie von Texten und Illustrationen.
„Practices of Editing”: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Forschungsfeld „Practices of Editing“ werden die Geschichte editorischer Praktiken im interkulturellen Vergleich untersuchen und zugleich neue Methoden dafür entwickeln. Dabei werden sie die neuen Möglichkeiten nutzen, die Technologien im Rahmen der Digital Humanities eröffnen.
„Texts and Commentaries, Canon Formation, and Censorship”: Im Kern des Forschungsfelds „Texts and Commentaries, Canon Formation, and Censorship” stehen die Prozesse der Kanonbildung und ihre Verflechtung mit Auswahl, Korrektur, Übersetzung, Verbreitung und Zensur von Texten. Zudem wollen die Forschenden die Beziehung zwischen Texten und Kommentaren über verschiedene Kulturen hinweg vergleichend in den Blick nehmen.
„Migration and Translation of Texts“: Die Migration von Texten interessiert Forschende im Forschungsfeld „Migration and Translation of Texts“ in mehrerlei Hinsicht: Sie fragen danach, wie Texte über Ort, Zeit und Medien hinweg bewegt wurden. Dabei werden Praktiken der textlichen Anpassung, Übersetzung, Retextualisierung, Zusammenfassung und Kürzung untersucht sowie die möglichen Änderungen, die diese hervorrufen.