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Fakultät für Physik wird „Historic Site“

04.05.2015

Die Fakultät für Physik der LMU blickt auf eine eindrucksvolle Geschichte zurück, von der starke Impulse für die Entwicklung des Fachs ausgegangen sind. Jetzt wird die Fakultät von der European Physical Society zur Historic Site gekürt.

Die Fakultät für Physik der LMU steht für wissenschaftliche Exzellenz mit einem ausgezeichneten internationalen Renommee. Schon ein Blick in ihre Geschichte zeigt, dass die Entwicklung hin zu einem eigenständigen Fach und einer eigenen Fakultät ein Kontinuum wissenschaftlichen Innovationsgeistes widerspiegelt, durchbrochen nur durch die Zeit des Nationalsozialismus und die ersten Nachkriegsjahre. Mit LMU und Physik verbinden sich Namen wie Wilhelm Conrad Röntgen, Arnold Sommerfeld, Max von Laue, Max Planck, Werner Heisenberg oder Theodor Hänsch – insgesamt elf Nobelpreisträger haben an der Universität studiert, geforscht und gelehrt. Grund genug für die European Physical Society (EPS), den Dachverband der europäischen physikalischen Gesellschaften, die Fakultät für Physik in dieser Woche als Historic Site auszuzeichnen.

Physikalische Forschung und Entdeckungen gab es schon sehr früh an der Universität. So entdeckten 1611 die jesuitischen Astronomen Christoph Scheiner und Johann Baptist Cysat in der Ingolstädter Zeit der Universität die Sonnenflecken und gingen damit in die Wissenschaftsgeschichte ein. Eine eigene Disziplin war die Physik freilich noch lange nicht. Im Laufe des 18. Jahrhunderts fand das Fach langsam Eingang in die Lehre als Teil des allgemeinbildenden Vorstudiums für die vier Disziplinen Theologie, Jurisprudenz, Philosophie und Staatswissenschaft. Ein kleines Nebenfach eben, obwohl bereits 1748 ein Lehrstuhl für Elementarphysik an der Philosophischen Fakultät eingerichtet worden war und bekannte Gelehrte wie Joseph Fraunhofer oder Karl August Steinheil Vorlesungen hielten.

Schließlich stiegen im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Bedeutung des Fachs und die Studierendzahlen – eine Institutionalisierung fand jedoch erst unter Regentschaft des wissenschaftsliebenden Monarchen Max II. Joseph statt: 1856 wurde das Mathematisch-Physikalische Seminar eingerichtet, die Philosophische Fakultät neun Jahre später in eine philosophisch-historische und eine mathematische-naturwissenschaftliche Sektion aufgeteilt. Schon bald gab es aufgrund der steigenden Studierendenzahl jedoch räumliche Probleme, die zwischen 1892 und 1894 mit einem Erweiterungsbau hinter dem Universitätshauptgebäude an der Amalienstraße etwa abgemildert werden konnte. Die neuen Gebäude waren vor allem der Experimentalphysik angemessen, der damals wohl wichtigsten Richtung innerhalb der Physik, obwohl 1890 mit dem Österreicher Ludwig Boltzmann bereits der erste theoretische Physiker an die LMU berufen worden war.

Blütezeit Das erste Drittel des 20. Jahrhunderts gilt als die Blütezeit der Physik in München. Markiert wird ihr Beginn im Jahr 1900 mit der Berufung des experimentellen Physikers Wilhelm Conrad Röntgen an die LMU, der ein Jahr darauf mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Röntgen setzte sich dafür ein, dass der seit dem Weggang Boltzmanns im Jahr 1894 vakante Lehrstuhl für Theoretische Physik wiederbesetzt wurde: Arnold Sommerfeld war ein Glücksgriff, denn er begründete eine der wichtigsten Schulen in seiner Disziplin – als „Pflanzstätte für Theoretische Physik“ machte sie sich international einen Namen.

Sommerfeld-Schüler in München nach dem Ersten Weltkrieg waren unter anderem Werner Heisenberg, Hans Bethe oder Wolfgang Pauli, die alle den Nobelpreis erhalten sollten. Max von Laue wies im Keller des von Arnold Sommerfeld geleiteten Instituts für Theoretische Physik 1912 in einem Versuch die Wellennatur der Röntgenstrahlen nach – und wurde dafür zwei Jahre später ebenfalls mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. 20 Schüler von Sommerfeld bekleideten Anfang der 50er-Jahre Lehrstühle an deutschen Universitäten. Albert Einstein schrieb an Sommerfeld: „Was ich an Ihnen besonders bewundere, das ist, dass sie eine so große Zahl junger Talente aus dem Boden gestampft haben. (…) Sie müssen eine Gabe haben, die Geister ihrer Hörer zu veredeln und zu aktivieren.“

Dunkle Jahre – die LMU-Physik während der NS-Zeit Sommerfeld war auch einer der wenigen deutschen Kollegen, mit denen Einstein nach dem Zweiten Weltkrieg freundschaftlich verbunden blieb. In einem Brief schrieb der Begründer der Relativitätstheorie, nachdem ihm Sommerfeld zum Wiedereintritt in die Bayerische Akademie der Wissenschaften ermuntern wollte: „Nachdem die Deutschen meine jüdischen Brüder in Europa hingemordet haben, will ich nichts mehr mit Deutschen zu tun haben (…). Anders ist es mit den paar Einzelnen, die in dem Bereich der Möglichkeit standhaft geblieben sind. Ich habe mit Freude gehört, dass Sie zu diesen gehört haben.“

Die Gleichschaltung der LMU durch die Nationalsozialisten traf die Theoretische Physik besonders heftig, da sie als relativ junge und daher noch weniger prestigeträchtige Disziplin innerhalb der Physik insbesondere auch jüdische Wissenschaftler anzog – im Gegensatz zur etablierten Experimentalphysik, wo ein gewisser Antisemitismus vorherrschte. Die jungen jüdischen Forscher wurden nach der Machtübernahme entlassen, viele von ihnen emigrierten ins Ausland – ein Aderlass, von dem sich die Disziplin sobald nicht mehr erholte. Aber nicht nur die Gleichschaltung vernichtete wissenschaftliche Kreativität und Innovation nachhaltig. Die NS-Zeit war gleichsam auch die „Blütezeit“ der sogenannten „Deutschen Physik“: Vor allem der frühere LMU-Student und -Promovend und spätere Nobelpreisträger Johannes Stark propagierte die Abgrenzung von der modernen, durch Relativitätstheorie und Quantenmechanik geprägten, mithin „jüdischen“ Physik. Die Apologeten der „Deutschen Physik“ forderten eine Aufwertung der Experimentalphysik mit dem Anwurf, gerade die jüdischen Physiker hätten sich vom Experiment als Tatsachengrundlage gelöst und würden reinen Gedankenexperimenten anhängen. Obwohl einige Physiker der Gleichschaltung widerstanden und den Nationalsozialismus ablehnten, war der Niedergang der Disziplin nicht aufzuhalten.

Gründung der Fakultät Die Fakultät für Physik heute ist ein Hotspot exzellenter Forschung und Lehre, sie deckt alle Disziplinen ab: Experimental- und Theoretische Physik, Astrophysik und Meteorologie. Aber der Weg dahin war ein schwerer: Im Zweiten Weltkrieg wurde das Institut zerstört, nur langsam konnte sich der Lehr- und Forschungsbetrieb wieder etablieren. Vor allem in den 60er-Jahren wurden zahlreiche neue Lehrstühle eingerichtet und Baumaßnahmen durchgeführt. 1971 war die Entwicklung der Physik zu einem eigenständigen Fach mit der Gründung der Fakultät für Physik abgeschlossen. Zahlreiche Einrichtungen und Gründungen zementierten die Exzellenz der Fakultät: Bereits 1949 wurde das Wendelsteinobservatorium der LMU zugeordnet, die Inbetriebnahme des Maier-Leibnitz-Beschleunigerlabors 1969 vollzogen; 1998 wurde das Center for Nanosience (CeNS) im Bereich der Nanophysik gegründet und 2004 das Arnold-Sommerfeld-Centrum – beides gute Beispiele für die heute so wichtige fächerübergreifende Verbundforschung.

2005 erhielt Professor Theodor Hänsch den Nobelpreis für Physik und in beiden Runden der Exzellenzinitiative wurden die Exzellenzcluster Nanosystems Initiative Munich (NIM) und Munich Centre for Advanced Photonics (MAP) für förderwürdig befunden – ebenso das Universe-Cluster der Technischen Universität, an dem zahlreiche LMU-Forscher beteiligt sind.

Die Fakultät steht heute für internationale Spitzenforschung, aber ihre Geschichte dokumentiert auch eindrucksvoll die Entwicklung der Physik hin zu einer eigenständigen Disziplin. Ab kommender Woche wird eine Tafel der EPS daran erinnern.

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