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Gemeinsam zum Ziel

07.06.2021

Aus aller Welt nach München: Im internationalen Netzwerk Cell2Cell forschen Promovierende über die Mechanismen von Parasiten.

Warum sind manche Krankheitserreger infektiöser als andere? Wie passen sich Parasiten an ihre Wirte an? Diesen Fragen wollen die LMU-Doktoranden Zhibek Keneskhanova, Vishnu Suma Sreechakram, Agnisrota Mazumder und Prateek Yadav auf den Grund gehen. Sie sind Teil des neuen EU-Doktorandennetzwerks „Cell2Cell heterogeneity“, das von der Europäischen Kommission im Rahmen von Horizon 2020 gefördert wird. Das Netzwerk bringt Forschungsgruppen aus dem akademischen Bereich und der Industrie zusammen, um zu untersuchen, wie Heterogenität im Chromatin auf Einzelzellebene es Krankheitserregern innerhalb einer Population ermöglicht, langfristige Infektionen erfolgreich zu etablieren.

Forschungsgruppen an Standorten in zehn verschiedenen Ländern, darunter Israel, Schweden und Portugal, arbeiten im Rahmen von Cell2Cell gemeinsam an unterschiedlichen Aspekten der gleichen, übergeordneten Fragestellung. Das Management des gesamten Netzwerks ist in München an der LMU angesiedelt und wird gemeinsam von Dr. Sigurd Braun (Physiologische Chemie, Medizinische Fakultät) und Nicolai Siegel, Professor für Molekulare Parasitologie (Experimentelle Parasitologie, Tierärztliche Fakultät), koordiniert.

Keine ganz einfache Aufgabe. Das liegt bei einem Projekt dieser Größenordnung auf der Hand. Für Siegel ist aber gerade der internationale Fokus elementar für das Gelingen des Vorhabens. „Ich selbst habe 15 Jahre im Ausland gelebt und hatte immer das Gefühl, dass Diversität in einer Arbeitsgruppe sehr dazu beiträgt, innovative Lösungen zu finden", erzählt er. „Es freut mich daher sehr, dass sich Wissenschaftler aus aller Welt für unsere Arbeit interessieren und bereit sind, den oft nicht ganz leichten Weg nach München auf sich zu nehmen."

Gerade zu Beginn der Forschungsinitiative gab es auch noch einige Stolpersteine zu überwinden. Genau als der Auswahlprozess für das neue Doktoranden-Programm Anfang des Jahres 2020 begann, breitete sich die Corona-Pandemie auf der ganzen Welt aus. Die Bewerbungsgespräche konnten zwar virtuell durchgeführt werden. „Doch der Lockdown führte in den meisten europäischen Ländern zur Schließung von Botschaften und Flughäfen. Die bereits identifizierten Kandidaten saßen in ihren Ländern fest, unfähig, in die Gastländer zu reisen und ihre Projekte zu beginnen", erzählt Lara Hassan, Netzwerk-Managerin von Cell2Cell.

Erst gegen Ende des Jahres 2020 konnten alle Doktoranden endlich in ihre Gastländer einreisen. Daher sind Keneskhanova, Sreechakram, Mazumder und Yadav umso glücklicher, mittlerweile gut in München angekommen zu sein. Hier erzählen sie von ihrer Faszination für Biologie, ihren Gründen, an der LMU forschen zu wollen, und warum internationale Zusammenarbeit für sie so wichtig ist.

„Unzählige Möglichkeiten, als Forscher und Individuum zu wachsen“

Zhibek Keneskhanova

„Als ich in der Mittelschule war, habe ich meine Schulbücher vor den Prüfungen immer unter mein Kopfkissen gelegt, in dem Glauben, dass das Wissen irgendwie in mein Gehirn übertragen wird“, erzählt Zhibek Keneskhanova und lacht. Vielleicht war es tatsächlich ihr Trick mit dem Buch – vermutlich aber eher ihre Begeisterung für Biologie, weshalb sie heute ihren PhD beim Cell2Cell-Projekt von Prof. Nicolai Siegel macht. Dafür zog sie von Kasachstan, wo sie auch ihren Bachelor und Master an der Nazarbayev University absolvierte, nach München.

Aber warum gerade die LMU? Zum einen war Keneskhanova während ihrer Vorstellungsgespräche begeistert von dem Forschungsprojekt und den Menschen im Labor. Und: „Die lebendige wissenschaftliche Gemeinschaft an der LMU spielte eine sehr wichtige Rolle bei meiner endgültigen Entscheidung, die Promotion hier zu beginnen. Die Universität bietet unzählige Möglichkeiten, um als Forscher und als Individuum zu wachsen.“

Keneskhanovas Forschungsgruppe untersucht die Genom-Architektur und Antigen-Variation im afrikanischen Trypanosoma brucei als Modellorganismus. „T. brucei ist ein Erreger der Schlafkrankheit beim Menschen und der Nagana bei Nutztieren. Es hat eine sehr effiziente Strategie der Immun-Evasion adaptiert: Es variiert periodisch sein Oberflächen-Antigen, um eine vollständige Beseitigung durch das Wirtsimmunsystem zu vermeiden, was zu einer persistenten Infektion führt.“ Zhibek Keneskhanovas PhD-Projekt konzentriert sich auf die Untersuchung der molekularen Ereignisse, die dem Antigenwechsel in den Parasiten zugrunde liegen, und die Frage, was die Häufigkeit beeinflusst, mit der der Parasit sein Oberflächenantigen wechselt.

Internationale Kooperation findet Keneskhanova für ihre Forschung besonders wichtig: „Das Netzwerk bringt Menschen aus der ganzen Welt zusammen. Deshalb ist die internationale Zusammenarbeit das Herzstück des Erfolgs des gesamten Netzwerks. Jeder Student hat die Möglichkeit, die erforderliche Ausbildung in einem der teilnehmenden Labore zu erhalten. Wir teilen Ideen, Wissen und Begeisterung miteinander, was das ITN zu einer sehr engen Gemeinschaft macht.“

„Erst kürzlich haben wir alle erfahren, wie wichtig internationale Zusammenarbeit ist“

Prateek Yadav

Prateek Yadav ist schon ziemlich viel in der Welt herumgekommen: „Ich liebe es zu reisen“, gesteht der aus Indien stammende Doktorand. „Ich bin einmal durch zwölf Länder und 65 Städte in einem Jahr gereist.“ Schon während seines Bachelorstudiums war er international unterwegs und absolvierte viele Praktika, zum Beispiel an der University of Michigan (USA) und WIS (Israel), und hatte die Möglichkeit, seine Masterarbeit am Helmholtz Zentrum/TU München zu schreiben.

„Mein akademischer und forschungsbezogener Hintergrund hat meinen Appetit geweckt, in der Biologie weiterzumachen, und ich habe mich entschieden, ein PhD-Programm in der Parasitenbiologie zu beginnen.“ Seine Wahl fiel auf die LMU und die Forschungsgruppe von Nicolai Siegel: „Die hochmoderne Spitzentechnologie an der LMU und den angeschlossenen Instituten wird meine Doktorarbeit und letztlich meinen beruflichen Werdegang maßgeblich prägen. Außerdem habe ich die Möglichkeit, mich mit Profis und erfahrenen Personen auf dem Gebiet auszutauschen.“

Die Frage, die Yadav während seiner Promotion zu beantworten versucht, lautet: Wie verändert sich die Genomarchitektur während eines Wechsels in der Expression von Oberflächenglykoproteinen in Trypanosoma brucei? „Antigene Variation ist eine der primären Strategien, die von vielen Pathogenen genutzt wird, um der Immunantwort des Wirts zu entgehen. Sie bezieht sich auf die Fähigkeit des Erregers, die Identität der dem Wirtsimmunsystem angezeigten Proteine zu modifizieren, wodurch es für den Wirt schwierig wird, den Erreger zu entfernen. T. brucei enthält die größte Anzahl der beschriebenen Oberflächenantigene. Das variante Oberflächenglykoprotein (VSG) ist das prominenteste und hat mehr als 2500 Isoformen. Unser Ziel ist es, die Genomarchitektur während des VSG-Switchings in T.-brucei-Zellen durch die Etablierung eines CRISPR-Cas9-basierten Imaging-Systems zu visualisieren.“

Einer der Aspekte des Cell2Cell PhD-Programms, der Yadav am meisten gefällt, ist die Förderung der internationalen Zusammenarbeit. „Durch die Zusammenarbeit wird die Basis von Wissen für alle zugänglich. Und erst kürzlich haben wir alle erfahren, wie wichtig internationale Zusammenarbeit ist. Sie hilft dabei, globale Probleme wie eine Pandemie zu bewältigen.“

„Die ideale Plattform, um mein Ziel zu verfolgen“

Um herauszufinden, wo Agnisrota Mazumders Interesse für Epigenetik herkommt, muss man ganz zum Anfang zurückgehen. Nicht zum Beginn ihres Studiums. Auch nicht zum Tag ihrer Einschulung. Noch viel weiter: Zum Tag ihrer Geburt. „Meine Neugier kommt von dem Umstand, dass meine Schwester und ich Zwillinge sind“, erzählt sie. „Ich habe mich deswegen schon früh gefragt, warum eineiige Zwillinge zwar die gleichen Gene von ihren Eltern erben, aber trotzdem unterschiedliche körperliche Charakteristika und Veranlagungen für Krankheiten haben.“

Ihr Weg brachte Agnisrota Mazumder aus ihrer Heimatstadt Kalkutta in Indien, wo sie auch ihren Bachelor absolvierte, für ihren Master an die Central University of Kerala an die Malabarküste im Südwesten Indiens und schließlich im Rahmen des Cell2Cell-Doktorandenprogramms zum Braun Lab an die LMU. Dort forscht sie im Team von Dr. Sigurd Braun daran, den Mechanismus zu entschlüsseln, der die Ausbreitung von Heterochromatin innerhalb von Subtelomeren reguliert.

Dafür kommt Schizosaccharomyces pombe zum Einsatz, ein Hefepilz, der sich durch Zellteilung vermehrt. „An ihm lassen sich Genveränderungen aufgrund seines einfach gestrickten Genoms leicht vornehmen“, erklärt die Epigenetikerin. Indem sie Chromatin, das Material, aus dem Chromosomen bestehen, im Zellkern anfärbt, kann Agnisrota Mazumder Veränderungen im Genom beobachten und vielleicht irgendwann Rückschlüsse auf die Frage ziehen, die sie ursprünglich motivierte, sich mit Epigenetik zu beschäftigen.

Ausschlaggebend für ihre Entscheidung, an die LMU zu kommen, war nicht nur das Renommee der Universität oder die Lage im Herzen Münchens. Für Mazumder war es das internationale Forschungsumfeld: „Das Ausbildungsnetzwerk ermöglicht es mir, mit vielen führenden Köpfen der Chromatinbiologie in ganz Europa zu interagieren. Ich glaube, dass dies die ideale Plattform ist, die es mir ermöglicht, mein Ziel zu verfolgen, eine Spezialistin für Chromatinbiologie und Bioinformatik zu werden.“

Kooperationen mit Frankreich, Ungarn, Israel

Dass Vishnu Suma Sreechakram heute im Rahmen des Cell2Cell-Programms an der LMU forschen würde, hätte er sich früher nicht träumen lassen. Aus einem einfachen Grund: Biologie, geschweige denn Genetik, hatte er ursprünglich gar nicht vor zu studieren. „Mein erstes Jahr an der Universität wollte ich eigentlich Mathematik studieren. Meine Liebe zur Biologie habe ich nur durch Zufall entdeckt“, erinnert er sich. „Zum Glück war meine Universität so flexibel, dass ich mein Hauptfach mittendrin wechseln konnte.“

Auch er wuchs, wie einige seiner Cell2Cell-Kolleginnen und -Kollegen, in Indien auf. Nach seinem Abschluss entschied er sich, sich für das Programm zu bewerben. Eine Entscheidung, die hauptsächlich auf dem guten Ruf und der Forschungsstärke der LMU basierte. „Die LMU ist weltweit eine der angesehensten Universitäten“, erklärt er. „Ich habe schon viele spannende Studien von Forschungsgruppen der LMU in angesehenen wissenschaftlichen Zeitschriften gelesen. Das hat mich dazu gebracht, die Forschung im Rahmen meiner Doktorarbeit in München zu betreiben.“

Im Braun Lab am Biomedizinischen Centrum der LMU untersucht er nun, wie Zellen auf Umwelteinflüsse reagieren und wie sich in diesem Zusammenhang Genom und Phänotyp verändern. Seine Experimente mit Schizosaccharomyces pombe könnten eines Tages darüber Auskunft geben, welche Umwelteinwirkungen Genomveränderungen zur Folge haben und welche Mechanismen den Veränderungen zugrunde liegen.

Für seine Forschung greift er auch auf das weitreichende Cell2Cell-Netzwerk und die Kontakte des Braun Labs zurück. So plane er momentan Kooperationen mit Forschungslaboren in Ungarn, Frankreich und Israel. „Internationale Zusammenarbeit ist essenziell für die Forschung in unserem Bereich. Forscherinnen und Forscher von verschiedenen Standorten bringen ganz unterschiedliche Skill-Sets mit. Und das Cell2Cell-Netzwerk bringt sie bei einer gemeinsamen Fragestellung zusammen.“

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