News

Gender Pay Gap: „Es geht darum, wie Arbeit organisiert ist“

01.03.2024

Weniger Stunden, weniger Gehalt: Warum Frauen in Deutschland noch immer weniger Einkommen haben als Männer und was das für ihre Rente bedeutet. Ein Interview mit Ökonom Moritz Drechsel-Grau.

Foto eines Wolkenkratzers bei Nacht, durch die Fenster sind Büroräume zu sehen.

Lange Arbeitstage

werden in vielen Jobs erwartet, sind mit Familie jedoch schwierig zu vereinbaren. Das ist oft Grund für einen Karriereknick. | © Melinda Nagy/Adobe Stock

Dr. Moritz Drechsel-Grau ist Wissenschaftler an der Volkswirtschaftlichen Fakultät der LMU und forscht über Ungleichheit. Zum Weltfrauentag am 8. März erläutert er, wie viel Frauen in Deutschland im Schnitt weniger verdienen als Männer und woran das liegt.

Wie steht es um die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt zwischen Frauen und Männern in Deutschland im Jahr 2024?

Moritz Drechsel-Grau: Es hat sich leider in den letzten Jahrzehnten nicht wirklich viel getan. Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern auch in vielen anderen Ländern. Die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen ist sehr persistent. Der durchschnittliche Stundenlohn von Frauen liegt laut Statistischem Bundesamt heute etwa 18 Prozent unter dem der Männer. Im Jahr 2000 war es mit 21 Prozent nicht viel mehr. Der Großteil dieser Lücke liegt daran, dass Frauen tendenziell in schlechter bezahlten Jobs arbeiten.

Das liegt unter anderem daran, dass Frauen viel häufiger in Teilzeit arbeiten. Bei den jährlichen Arbeitseinkommen ist der Unterschied zu Männern mit knapp 40 Prozent dementsprechend noch viel größer.

News

Studie: Teilzeitarbeit ist wichtiger Treiber des Gender Wage Gap

Weiterlesen

Warum holen die Frauen nicht weiter auf?

Die große Zunahme bei der Erwerbstätigkeit von Frauen war in den 1980ern und -90ern. Die Einkommenslücke hat sich damals also etwas verringert, weil mehr Mütter angefangen haben, überhaupt wieder zu arbeiten. Aber es gibt noch immer sehr viele Frauen, die in Teilzeit arbeiten.

Ich glaube, es geht neben familiären Rollenbildern darum, wie unsere Arbeitswelt organisiert ist. Die Frage ist: Wie gut lassen sich Führungspositionen mit viel Verantwortung vereinbaren mit Familie? Man sieht deutlich, dass Frauen, wenn das erste Kind kommt, einen massiven Knick haben bei der Wahrscheinlichkeit, Vollzeit zu arbeiten, und auch bei den Einkommen. Und Männer eben nicht.

Liegen Frauen und Männer vor der Familiengründung beim Gehalt noch gleichauf?

Ja, genau. Bis zum Alter von etwa 30 Jahren entwickeln sich die Einkommen von Männern und Frauen sehr ähnlich. Mit dem ersten Kind sinkt die Einkommenskurve der Frauen dramatisch. In der Literatur gibt es dafür den Begriff der „Child Earnings Penalty“: der Einkommensverlust, der nach der Geburt des ersten Kindes eintritt, wird hier als „Bestrafung“ bezeichnet. Für Männer ist der quasi null. Für Frauen sind es auch zehn Jahre nach Geburt des ersten Kindes noch über 50 Prozent im Vergleich zum letzten Jahr vor der Geburt.

Es gibt Unterschiede über Länder hinweg. In Skandinavien ist die „Child Earnings Penalty“ kleiner als hier. Deutschland und Österreich sind sehr schlecht im internationalen Vergleich.Das ist einerseits auf Normen und Rollenbilder zurückzuführen. Andererseits aber auch, und das bedingt sich gegenseitig, auf das fehlende Angebot an guter Kinderbetreuung.

Und die Frauen haben keine Chance, diesen Einbruch wieder aufzuholen?Das ist schwierig. Die Gehälter erholen sich tendenziell nach dem Wiedereinstieg in den Beruf, viele Frauen steigen aber in Teilzeit ein, sodass sich die Einkommen nicht wirklich erholen. Es gibt eben viele Jobs, die man momentan in Teilzeit nicht machen kann, und dadurch eine Grenze in der Karriereentwicklung.

Wie sieht es mit den Selbstständigen aus?

Es gibt auch sehr große Gehaltsunterschiede bei Personen, die nicht abhängig beschäftigt sind. Bei Selbstständigen und Unternehmern sind die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen sogar noch größer als bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Die Einkommensungleichheit zwischen den Geschlechtern ist, wenn man nur Arbeitseinkommen aus abhängiger Beschäftigung ansieht, zwischen 2001 und 2016 leicht gesunken. Betrachtet man alle Einkommen, also auch solche aus selbstständiger Arbeit und Gewinneinkünfte von Unternehmen, dann sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sogar gestiegen.

Wie hoch liegen diese Durchschnittseinkommen?

Für unsere Analyse lagen leider nur Daten bis 2016 vor. Das Durchschnittsgehalt eines abhängig beschäftigten Mannes war 2016 bei etwa 45.000 Euro, das einer Frau bei knapp 28.000 Euro. Der durchschnittliche selbstständige Mann verdient mehr als 100.000 Euro, die Frau liegt bei knapp 50.000 Euro. Bei Unternehmern ist der Durchschnitt bei Männern bei etwa 76.000, bei Frauen wieder knapp 50.000 Euro.

Warum Care-Arbeit ungleich verteilt ist

Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern, damit Frauen weniger Nachteile auf dem Arbeitsmarkt haben und sich der Abstand verringert?

Man kommt immer wieder zurück auf die Frage, wie Care-Arbeit zwischen Paaren aufgeteilt wird. Das hängt einerseits davon ab, welche Präferenzen die Menschen haben, was sich nicht so gut beeinflussen lässt. Aber es gibt schon Politikmaßnahmen, die Rahmenbedingungen setzen können. Sinnvoll wäre auch, das Arbeitsumfeld so zu strukturieren, dass es auch mit Familienverpflichtungen, die in Deutschland leider noch immer sehr ungleich verteilt sind zwischen Männern und Frauen, möglich ist, Positionen anzunehmen, die hoch bezahlt sind.

Moritz Drechsel-Grau blickt in die Kamera

Moritz Drechsel-Grau

sagt, man komme beim Gender Pay Gap immer wieder zurück zur Frage, wie Paare die Care-Arbeit aufteilen. | © Kristijan Matic Fotografie

Welche Maßnahmen wären das seitens der Politik zum Beispiel in Deutschland?

Ein Hebel, an dem man auf jeden Fall ansetzen kann, und meiner Meinung nach auch sollte, ist das Ehegattensplitting, da es massive Anreize dafür setzt, dass sich Paare die Care-Arbeit ungleich aufteilen. Wenn der Vater bereits die bessere Position hat und mehr Geld verdient, begünstigt das Steuersystem diesen Unterschied sogar. Es macht dann Sinn für Paare zu sagen: Eine Person übernimmt die Care-Arbeit und die andere arbeitet weiter.

Diese Form der Einkommensbesteuerung haben andere Länder, wo die Einkommensungleichheit zwischen Mann und Frau geringer ist, zum Beispiel in Skandinavien, bereits in den 1970er-Jahren abgeschafft. Man könnte dann darüber nachdenken, das Ehegattensplitting in eine Förderung von Familien umzuwandeln, die an Kinder geknüpft ist und nicht an den Ehestatus.

Und was müssten Unternehmen tun?

Da geht es darum, wie Arbeit organisiert wird innerhalb eines Betriebs. Für ihre Forschung zur Bedeutung von familienunfreundlichen Arbeitsbedingungen für den Gender Pay Gap hat ja auch Claudia Goldin kürzlich den Wirtschaftsnobelpreis erhalten. Gerade durch den Fachkräftemangel müssen Unternehmen um Beschäftigte kämpfen und ein großes Potenzial sind eben Frauen mit Kindern. Firmen haben einen eigenen Anreiz, Bedingungen dafür zu schaffen, dass sie talentierte Frauen halten können. Die Frage ist, ob das so weit gehen wird, dass es auch ein Modell dafür gibt, Familie und Beruf in den hohen Führungspositionen zu vereinbaren.

Unter den Bedingungen, die wir gerade haben, wird das auch zunehmend für Männer zum Hindernis, die ihre Verantwortung für Kinder wahrnehmen und nicht um 20 Uhr noch in einem Call stecken wollen. Die nächste Frage ist: Warum sollten vor allem Frauen zurückstecken, was Karriere angeht? Das hat dann etwas mit gesellschaftlichen Rollen und Normen zu tun.

Das heißt: Es liegt nicht an der Entscheidung der einzelnen Frau, sondern an strukturellen Faktoren, dass Frauen weniger verdienen?

Die Strukturen beeinflussen natürlich stark, was Frauen und Männer im Einzelfall entscheiden. Die Entscheidung, ob man in einen sozialen Beruf geht oder eine Position im Banking anstrebt, hat natürlich auch mit Präferenzen zu tun. Frauen arbeiten eher in Berufen, die schlechter bezahlt sind. Aber auch da ist es so: Wenn ich weiß, dass ich Familie und Beruf zum Beispiel als Lehrerin besser vereinbaren kann, und mir das wichtig ist, ist es wahrscheinlicher, dass ich diesen Beruf annehme und nicht einen, wo ich im Vorhinein weiß, dass irgendwann Schluss ist, wenn ich nicht abends noch Mails beantworte.

News

Frauen im Alter: Zu viel fürs Amt, zu wenig zum Leben

Weiterlesen

Sieht man diesen Unterschied in der Einkommensentwicklung von Frauen und Männern auch, wenn Frauen schon nach einem Jahr Elternzeit wieder zurückkommen in den Job?

Grundsätzlich wird der größte Teil der Lücke beim Einkommen von Männern und Frauen über die Anzahl der gearbeiteten Stunden erklärt. Es geht also darum, wie früh man in den Job zurückkommt und mit wie vielen Stunden. Viele Frauen in Deutschland arbeiten nur in Minijobs. Das ist auch ein Konzept, das dazu führt, dass eher weniger Stunden pro Woche gearbeitet werden, da es eine Grenze gibt, bis zu der man keine Steuern zahlt und nur wenige Sozialversicherungsbeiträge oder keine.

Das hat natürlich auch langfristige Konsequenzen. Frauen haben viel weniger Rentenpunkte. Daher gibt es auch eine große Lücke, was Altersarmut zwischen Männern und Frauen betrifft. Einfach aufgrund der Tatsache, dass Männer in ihrem Erwerbsleben viel länger und höhere Beträge einzahlen. Das wirkt sich auf die Rente aus.

Heißt das, dass Generationen von Frauen in die Altersarmut laufen?

Oder schon drin sind. Die Generation der Mütter heute deutlich weniger, da viele bereits mehr arbeiten als Frauen vor 30 Jahren. Aber die Tatsache, dass Männer im Alter zwischen 30 und 50 fast durchgehend Vollzeit arbeiten und viele Frauen in Teilzeit sind, wirkt sich natürlich auch auf die Einkommensunterschiede nach dem Erwerbsleben aus.

Publikation:

Moritz Drechsel-Grau, Andreas Peichl, Kai D. Schmid, Johannes F. Schmieder, Hannes Walz, Stefanie Wolter: Inequality and income dynamics in Germany. In: Quantitative Economics 2022

Wonach suchen Sie?