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Gentherapie auf klinische Sicherheit erprobt

29.04.2020

Eine von Naturwissenschaftlern und Medizinern aus Tübingen und München entwickelte Gentherapie zur Behandlung einer Form der kompletten Farbenblindheit hat sich in einer ersten Studie am Patienten als sicher und prinzipiell wirksam erwiesen.

Bei kompletter Farbenblindheit können Menschen von Geburt an keine Farben unterscheiden, leiden aber auch unter einer stark reduzierten Sehschärfe und hoher Blendungsempfindlichkeit. Ursache ist ein Defekt an den Zapfen-Lichtrezeptoren in der Netzhaut des Auges, die für das Sehen im Tageslicht und von Farben zuständig sind. Von der kompletten Farbenblindheit, die auch als Achromatopsie bezeichnet wird, sind in Deutschland rund 3.000 Menschen betroffen. Die Achromatopsie kann bisher nicht ursächlich behandelt werden.

Bei etwa einem Drittel der Achromatopsie-Patientinnen und -Patienten liegt der Defekt im CNGA3-Gen. Für diesen Gendefekt hat ein Team des Forschungsinstituts für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Tübingen und der Departments für Pharmazie und Ophthalmologie der LMU eine gentherapeutische Behandlung entwickelt. Bei der Gentherapie wird die gesunde Version des CNGA3-Gens über ein harmloses Virus direkt in die Netzhaut der Patienten eingeschleust. Nach einigen Wochen können die Netzhautzellen die gesunde Version des CNGA3-Gens nutzen und das entsprechende intakte Protein bilden, das die Funktion der defekten Zapfen wiederherstellen soll. Die dabei verwendeten Genfähren, sogenannte Adeno-assoziierte Viren, wurden an der LMU von Professor Stylianos Michalakis und Professor Martin Biel entwickelt.

An der Universitätsaugenklinik Tübingen ist nun die erste klinische Studie zu dieser Therapie am Menschen abgeschlossen worden. In der Studie wurde in der Universitätsaugenklinik in Tübingen das jeweils schlechtere Auge von neun Achromatopsie-Patienten im Alter von 24 bis 59 Jahren operativ durch Injektion des gentherapeutischen Wirkstoffes unter die Netzhaut behandelt. „Die Probanden hatten in der Folge keine wirkstoffbezogenen Gesundheitsprobleme, und ihre Netzhaut wies keine dauerhaften Veränderungen auf“, berichtet Professor Dominik Fischer, der Leiter der klinischen Studie. Das Hauptanliegen dieser ersten klinischen Studie sei damit erreicht, die Behandlung könne als sicher eingestuft werden. Auch bei der Wirksamkeit sei ein deutlich positiver Effekt zu verzeichnen. Die visuelle Funktion der Patienten habe sich etwas verbessert, sowohl bei der Sehschärfe, als auch beim Kontrast- und Farbensehen.

„Die jetzt durchgeführte Studie ist ein wichtiger erster Schritt und Meilenstein hin zu einer kurativen Therapie der Achromatopsie und wir erwarten noch bessere Behandlungserfolge in der Zukunft“, sagt Professor Bernd Wissinger vom Tübinger Forschungsinstitut für Augenheilkunde, der gemeinsam mit Martin Biel vom Department Pharmazie der LMU das RD-CURE Gesamtprojekt zur Entwicklung der Gentherapie bei erblichen Netzhauterkrankungen leitet.

Aus Sicherheitsgründen waren die behandelten neun Patienten im Erwachsenenalter und wiesen damit eine bereits mehr oder minder stark vorgeschädigte Netzhaut auf. „Zudem verlieren die das Sehen verarbeitenden Anteile des Gehirns im Erwachsenenalter zunehmend an Plastizität“, wie Professor Marius Ueffing, Direktor des Tübinger Forschungsinstituts für Augenheilkunde, betont. „Da das Gehirn von Achromatopsie-Betroffenen nie gelernt hat, Farbsehen zu verarbeiten, ist diese Plastizität eine notwendige Voraussetzung dafür, die neugewonnene Farbsehfähigkeit der Netzhaut in einen echten Seheindruck umzusetzen.“ Da die Studie gezeigt hat, dass die Therapie sicher ist, könnte es daher in Zukunft angezeigt sein, Betroffene so früh zu behandeln, dass eine hohe Plastizität des Gehirns und eine noch nicht vorgeschädigte Netzhaut den Behandlungserfolg vergrößern können.

Nach Einschätzung der Wissenschaftler sollte die neue Gentherapie analog zum kürzlich zugelassenen Gentherapiemedikament Luxturna daher bereits im Kindesalter durchgeführt werden, um die bestmögliche Wirkung zu entfalten. „Da sich die verwendeten Genvektoren als sicher erwiesen haben, ist eine Folgestudie an pädiatrischen CNGA3 Patienten möglich und sinnvoll“, erläutert Stylianos Michalakis vom Department für Augenheilkunde der LMU.

Die Studie, die von der Tistou und Charlotte Kerstan Stiftung gefördert wurde, „ist das Ergebnis einer seit vielen Jahre bestehenden und sehr erfolgreichen Kooperation zwischen Tübingen und München“, betont Martin Biel. Vor wenigen Tagen erhielt das Tübinger Department für Augenheilkunde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung die Zusage für die Finanzierung einer Folgestudie, in der die Behandlung von Kindern und die Anwendung des Vektors in beiden Augen vorgesehen ist. Auf dem Weg zu einer Therapie der CNGA3-Achromatopsie geht es also weiter. (Universitätsklinikum Tübingen/LMU)JAMA Ophthalmology 2020

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