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„Guter Journalismus ist in diesen Zeiten wichtiger denn je“

23.06.2025

LMU-Alumna Anja Reschke über ihre Arbeit als Journalistin und Fernsehmoderatorin beim Polit-Magazin „Panorama“

Anja Reschke (51) ist investigative Journalistin, Fernsehmoderatorin und das Gesicht eines der erfolgreichsten Polit-Magazine im deutschen Fernsehen – Panorama – und hat seit zwei Jahren ihre eigene Show „Reschke Fernsehen“ im Ersten. Im Interview berichtet die LMU-Alumna über ihre Studienzeit in München, den Preis der freien Meinungsäußerung, welche Anforderungen junge Journalistinnen und Journalisten erfüllen müssen und darüber, wie die langjährige „Zapp“-Moderatorin die Medienlandschaft in Deutschland in Zukunft einschätzt.

Sie haben in den 90er-Jahren an der LMU Politikwissenschaft mit Geschichte und Sozialpsychologie im Nebenfach studiert. Wie haben Sie Ihre Studienzeit in Erinnerung?

Anja Reschke: Da ich ja Münchnerin bin und mir keine neue Stadt erobern musste, war das keine große Umstellung, ich bin statt in die Schule halt in die Uni gegangen. Da wurde kein großes Ding draus gemacht. Man hat sich nicht besonders um die neuen Studenten gekümmert, es gab keine „Ersti-Woche“, keine extra Begrüßung, man wurde nicht an die Hand genommen. Es gab das Studienverzeichnis, man musste sich stundenlang anstellen, um sich in Kurse einzutragen, und ist zur Vorlesung gegangen, fertig.

Ansonsten spielte sich das Leben rund um die Uni ab, in den Cafés, den Kneipen in der Schelling- oder Türkenstraße oder im Englischen Garten. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir nächtelang gelernt haben. Richtig zu tun hatte man für Hausarbeiten, Zwischenprüfung oder dann die Magisterarbeit. Ich habe den Eindruck, dass da heute viel mehr für die Gemeinschaft gemacht wird. Aber auch viel verlangt wird bei den Bachelor- und Masterstudiengängen.

Porträt einer Frau mit schulterlangem Haar und orangefarbener Bluse, frontal aufgenommen vor unscharfem Hintergrund.

Die Journalistin und Moderatorin Anja Reschke hat an der LMU Politikwissenschaft studiert.

© NDR/Hendrik Lüders

Sie haben Ihr Studium mit 26 Jahren abgeschlossen. Heute haben junge Menschen in diesem Alter oft schon mehrere Jahre Berufserfahrung. Fehlt die Zeit, um sich auszuprobieren?

Wir hatten vermutlich mehr Zeit, uns die Köpfe heiß zu diskutieren. Gleichzeitig habe ich fast während meines ganzen Studiums gearbeitet. Ab 2002 war ich freie Reporterin bei Antenne Bayern und habe meist in der Frühschicht von 5 bis 13 Uhr gearbeitet. Danach habe ich mich um die Uni gekümmert.

In meiner Generation war der Konkurrenzdruck um einen Job viel höher als heute. Dafür ist die heutige Studierendengeneration meinem Eindruck nach politisch und gesellschaftlich viel engagierter, als wir es waren. Im Kampf fürs Klima oder gegen den Rechtsruck der Gesellschaft zum Beispiel. Wir haben uns mehr um uns gekümmert.

Nach Ihrem Politikstudium haben Sie beim NDR volontiert. Heute suchen Redaktionen Data-Analysten, Prompt Engineers und Machine Learning Specialists. Haben Sie sich durch Ihr Studium gut vorbereitet gefühlt?

Das sind Werkzeuge. Zuallererst braucht guter Journalismus Menschen, die Sachverhalte verstehen, in Zusammenhang setzen, kritisch hinterfragen können. Als ich mit Politikwissenschaft angefangen habe, wusste ich noch nicht, was ich werden will – bestimmt zum Kummer meiner Eltern. Aber ich muss sagen, dass ich bis heute von meinem Studium profitiere. Es war der Unterbau für all die Fragen, mit denen wir heute zu tun haben. Was ist die Aufgabe eines Staates, was macht eine Gemeinschaft in einem Staat aus, was ist gutes Regieren, darum ging‘s in Politischer Theorie. Welche außenpolitischen Kräfte spielen eine Rolle, welche unterschiedlichen Interessen, wirtschaftliche, soziale, strategische, haben Staaten, wie interagieren sie miteinander, das war Internationale Politik.

Darum geht es aktuell jeden Tag. Das Studium hat mein Verständnis von Demokratie und Staatsform geprägt. Ich bin froh, nicht nur eine zugespitzte Ausbildung gemacht, sondern auch gelernt zu haben, Dinge zu hinterfragen. Für den Beruf wichtige Sachen wie Datajournalismus kann man später immer noch draufpacken.

Seit 2001 moderieren Sie das Fernsehmagazin Panorama – da waren Sie gerade 28 Jahre alt. Wie kam es dazu?

Durch Zufall. Das Leben bietet ja immer wieder Abzweigungen. Ich hatte das nicht geplant. Der Job war vakant, ich hab‘s einfach versucht und wurde genommen. Ich wusste zu Beginn meines Volontariats nicht mal, ob kritischer, investigativer Journalismus überhaupt meins ist. Aber ich habe gemerkt, dass ich mich nicht gerne mit oberflächlichen Antworten zufriedengebe. Ich liebe es, mich in Themen einzuarbeiten, verschiedene Perspektiven zu beleuchten, etwas zu durchdringen. Nur dann kann ich es wieder verdichten, mich auf einen Aspekt konzentrieren.

Und ich habe festgestellt, dass es mir große Befriedigung verschafft, Menschen eine Stimme zu geben, Ungerechtigkeiten oder Ungenauigkeiten zu benennen. Jungen Menschen möchte ich daher sagen: Macht euch nicht so viele berufliche Sorgen. Natürlich braucht man ein bisschen Fortune. Aber am besten ist man in dem Bereich, der einen bewegt und glücklich macht.

Sie sind zweifache Mutter. Wie gelang es Ihnen, die Care-Arbeit trotz Ihres hohen Arbeitspensums zu bewältigen?

In unserer Gesellschaft wird ja leider immer noch zu oft irgendwie selbstverständlich davon ausgegangen, dass es die Mutter ist, die sich um die Kinder kümmert. In meiner Partnerschaft war von Anfang an klar, dass beide gleichermaßen für die Kindererziehung verantwortlich sind. Das empfehle ich auch allen anderen Frauen und Männern. Wir hatten das Glück, dass mein Mann Sportjournalist war und oft am Wochenende gearbeitet hat – wenn ich frei hatte.

Geholfen hat auch die Versorgungsstruktur bei der Kinderbetreuung, die in Hamburg viel besser war als in München. Bis heute ist Bayern bei der Kita-Betreuung nicht gerade vorn dabei. Politische Entscheidungen haben Auswirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung.

Einmal im Monat werden im Newsroom bekannte und renommierte Alumni der LMU vorgestellt. Wenn Sie selbst eine bekannte Alumna oder einen bekannten Alumnus kennen, melden Sie sich gerne bei uns.

2015 forderten Sie in einem Kommentar in den „Tagesthemen“ zum Thema Hetze gegen Flüchtlinge dazu auf, Haltung zu zeigen. Der Clip ging viral und erreichte in nur 24 Stunden vier Millionen Views – nicht nur von positiv gesinnten Usern. Was haben Sie daraus gelernt?

Damals hatte sich viel angestaut und ich war plötzlich im Zentrum des Orkans. Love- und Shitstorms haben sich vor zehn Jahren noch auf weniger Personen verteilt. Heute wissen die Leute, was sie in welchem sozialen Netzwerk erwartet, und können in der Regel besser damit umgehen. Als Grundfaustregel kann ich sagen: Mancher Shitstorm ist ein Scheinriese. Hater sind einfach nur lauter und haben oft Trollarmeen im Hintergrund. Man sollte den Diskussionsraum nicht den Pöblern überlassen.

Sie haben 17 Jahre lang das Medienmagazin Zapp moderiert. Künstliche Intelligenz, Fake News, intransparente Algorithmen bei Social Media: Sorgen Sie sich um unsere Medienlandschaft?

Ja. Das Netz ist getrieben von Clicks und Aufregung. Es sind Algorithmen, die bestimmen, wohin unsere Aufmerksamkeit gelenkt wird. Da lobe ich mir doch tatsächlich das gute alte lineare Fernsehen. In einer Welt, in der die Errungenschaften der Aufklärung und Säulen der Demokratie anfangen zu bröckeln, bin ich froh, dass wir selbst bestimmen können, was gesendet wird.

 

2023 haben Sie mit Reschke Fernsehen im Ersten Ihre eigene Sendung bekommen, die auch beim jüngeren Publikum gute Quoten erreicht. Wie bringen Sie junge Menschen dazu, von TikTok zum Fernsehen zu wechseln?

Die gucken uns eher in der Mediathek oder auf Youtube. Mehrere Zielgruppen zu bedienen, ist eine Herausforderung. Wie viele Memes von Social Media kann ich in die Sendung bauen, ohne ältere Zuschauer zu verwirren? Wer ist unser Sidekick, eine junge Influencerin, mit der klassische Fernsehzuschauer nichts anfangen können, oder ein Schauspieler, den man nur kennt, wenn man linear Krimis guckt. Wir versuchen immer den Spagat. Ich habe aber festgestellt, dass am Ende vor allem zählt, ob das Thema relevant ist. Da unterscheiden sich Jung und Alt nicht so. Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte – es hängt davon ab, ob sie gut recherchiert ist und wie man sie erzählt.

Würden Sie jungen Menschen also auch in der aktuellen Zeit empfehlen,

Inzwischen hat jeder die Möglichkeit, zu senden, seine Sicht, seine Meinung vielen anderen zugänglich zu machen. Aber ich glaube, dass Menschen schon merken, wo Substanz oder Recherche dahintersteckt und was einfach nur so dahingesagt ist. Wir erreichen als Medienschaffende nicht alle 83 Millionen Menschen im Land, aber auch nicht wenige. Ich bin überzeugt, dass junge Menschen auf Social Media nicht nur Fun und Fast Food konsumieren – das zeigt auch unser Jugendformat STRG_F.

Es gibt ein Bedürfnis nach seriösen Informationen, nach Einordnung. Guter Journalismus wird entsprechend immer seinen Platz haben. Die Enthüllungen des CORRECTIV-Magazins zur sogenannten „Remigration“ haben Anfang 2024 Millionen Menschen auf die Straße getrieben. Ich kann mich nicht erinnern, wann zuletzt eine Story solche Auswirkungen hatte.

Ihr Vater war Wirtschaftsprofessor an der Fachhochschule München. Sie waren im Hochschulrat der Europa-Universität Flensburg. Überlegen Sie mit Ihrer Erfahrung, selbst eine Lehrtätigkeit in Ihrer alten Heimat zu übernehmen?

Ich habe Hamburg im Herzen, aber ich vermisse Bayern und seine Berge jeden Tag. Daher kann ich mir gut vorstellen, eines Tages wieder zurückzukommen. Warum nicht als Dozentin? Zumal ich auch wirklich gerne mit jungen Menschen arbeite. Mich interessiert, was sie denken. Ich habe vor ein paar Jahren drei Vorlesungen in Wien im Rahmen der Theodor-Herzl-Dozentur für Poetik des Journalismus gehalten. Das hat mir Riesen-Spaß gemacht.

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