Historischer Flügel: „Man wird fast ein bisschen süchtig nach diesem Klang”
07.05.2025
Am 9. Mai findet ein besonderes Konzert an der LMU statt: Dmitry Ablogin spielt auf einem Flügel, gebaut von Beethovens Freundin Nanette Streicher. Im Interview spricht Musikwissenschaftler Hartmut Schick über die Bedeutung des Instruments.
Es gibt nur wenige historische Flügel aus der Beethoven-Zeit, auf denen noch öffentlich gespielt werden kann. Die LMU besitzt einen von ihnen. Interview mit dem Leiter des Instituts für Musikwissenschaft, Professor Hartmut Schick:
Der Hammerflügel wurde 1825, also vor genau 200 Jahren, von Nanette Streicher in Wien gebaut, seit gut sechzig Jahren gehört er dem Institut für Musikwissenschaft. Was macht ihn so besonders?
Hartmut Schick: Er klingt, als würde man ein ganzes Orchester hören. Damals herrschte noch nicht das Ideal, dass die Flügel vom untersten bis zum obersten Ton die gleiche Klangfarbe produzieren sollen. In den unteren Tonlagen kann der Flügel wie ein Fagott klingen, in den oberen wie eine Flöte und in der Mitte fast wie eine Klarinette. Dazu kommt die oberschlägige Mechanik, das heißt, die Hämmerchen schlagen nicht – wie üblich – von unten nach oben gegen die Saiten, sondern von oben nach unten, der Klang wird dadurch kräftiger.
Die Klavierbaufirma von Nanette Streicher hat das Patent zu dieser Bauweise im Jahr 1823 angemeldet. Unser Instrument ist der 19. Flügel, der dort nach diesem Prinzip gebaut wurde, alle früheren 18 sind verloren gegangen. Unseren Recherchen zufolge handelt es sich also um den ältesten Flügel mit sogenannter oberschlägiger Mechanik, der sich weltweit erhalten hat.
Der Flügel klingt, als würde man ein ganzes Orchester hören.
Hartmut Schick, Professor für Musikwissenschaft
Hartmut Schick ist Lehrstuhlinhaber für Musikwissenschaft und Institutsleiter an der LMU.
Nanette Streichers historischer Flügel - seit 1963 im Besitz der LMU.
Wie ist er von Wien nach München an die LMU gekommen?
Wie er von Wien weg kam, wissen wir nicht. Die früheste Spur, die wir haben, führt nach Bremen, zur Klavierbauwerkstatt Rabus. Mein Vor-Vorgänger, der Musikwissenschaftler Thrasybulos Georgiades, hat im Jahr 1963 eine Annonce geschaltet: „Gut erhaltener Flügel der Beethoven- oder Schubertzeit zu kaufen gesucht.” Darauf meldete sich der Klavierbauer Rabus und es wurde verhandelt.
Für 10.000 D-Mark kam das Instrument an die LMU und wurde für Konzerte, aber auch für den ganz normalen studentischen Unterricht benutzt. Das kann man sich heute gar nicht mehr so recht vorstellen, dafür ist er viel zu kostbar und empfindlich.
Jetzt dürfen die Studierenden nicht mehr spielen?
Na ja, in besonderen Fällen dürfen sie ihn unter Aufsicht ausprobieren.
Wie ging es weiter mit dem Flügel?
Als ich vor 25 Jahren an die LMU kam, stand der Flügel ungestimmt, stumm und kaputt in der Bibliothek. Eigentlich wurde er nur noch als Ablagefläche benutzt. Der übliche Gang von solchen Instrumenten ist der ins Museum, wo sie optimal konserviert, aber nicht mehr gespielt werden. Mir war es aber wichtig, dass das Instrument wieder zum Leben erweckt wird, denn ein Instrument, das nicht klingt, ist tot.
Die Universitätsgesellschaft spendete zu meinem Dienstantritt glücklicherweise 40.000 D-Mark, mit denen wir den Flügel grundlegend restaurieren lassen konnten. Robert Brown, ein darauf spezialisierter Klavierbauer aus Oberndorf an der Salzach, zog neue Klaviersaiten auf, stellte den Resonanzboden wieder her, und im Jahr 2021 konnte man den Flügel tatsächlich wieder spielen.
Unsere ersten Konzerte fanden im Hörsaal statt und nicht in der Großen Aula, weil es immer heißt, dass historische Instrumente viel leiser wären als moderne Konzertflügel. Irgendwann probierten wir ihn in der Aula aus.
Unser Instrument von 1825 klingt noch viel schlanker. Es ist fast schon grazil im Klang und trotzdem kräftig genug. Der Flügel füllt die Aula mühelos.
Das war wirklich eine Offenbarung. Ich kannte bis dahin natürlich auch andere Instrumente und viele Klaviere aus dem 19. Jahrhundert, nur fand ich die nie wirklich toll, denn insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts baute man die Flügel immer schwerer, um große Konzertsäle zu füllen. Das ist bis heute kein Klang, der mir gefällt.
Unser Instrument von 1825 klingt noch viel schlanker. Es ist fast schon grazil im Klang und trotzdem kräftig genug. Der Flügel füllt die Aula mühelos. Das ist wirklich enorm und spricht auch für die tolle Akustik dort. Selbst in der letzten Reihe hört man alles ganz exakt, ein wunderbarer Konzertsaal.
Es gab auch schon mehrere Aufnahmen dort. Der Pianist Tobias Koch hat sämtliche Beethoven-Bagatellen auf unserem Flügel eingespielt und Dmitry Ablogin, der auch unser nächstes Konzert spielen wird, hat während der Corona-Zeit Beethovens Diabelli-Variationen in der Aula eingespielt. Ablogin ist regelrecht verliebt in diesen Flügel.
Da ist er ja nicht der einzige. Der Schriftsteller E.T.A Hoffmann besaß selbst einen Streicher-Flügel und schrieb über dieses Instrument: „Aus dem schönen Streicherschen Flügel schwebten Töne hervor, die wie duftende Traumgestalten das Gemüt umfingen” und im Jahrbuch der Tonkunst von 1796 heißt es, dass sich alle jene, die "Nahrung für die Seele suchen", ein Streicher-Instrument besorgen sollten. Woher kommt diese Magie?
Die Flügel von der Klavierbaufirma Streicher waren im 19. Jahrhundert unter den Klaviervirtuosen immens beliebt. Ludwig van Beethoven hat sie über alles geliebt, aber auch Robert Schumann und seine Frau Clara haben auf ihnen gespielt. Selbst Johannes Brahms hat sich 1858 noch einen Flügel von Streicher gekauft.
Nanette Streicher war eben eine bemerkenswerte Frau. Sie war die Tochter eines berühmten Augsburger Klavier- und Orgelbauers, der sie schon sehr früh an den Klavierbau heranführte. Mit sieben Jahren trat sie zum ersten Mal als Pianistin auf, mit acht Jahren spielte sie Mozart vor. Nach dem Tod ihres Vaters übernahm Nanette, die damals noch Stein hieß, die Firma, führte sie später sogar alleine weiter und heiratete den besten Freund von Schiller: Johann Andreas Streicher, ebenfalls ein sehr interessanter Musiker. Sie zog nach Wien, baute ihre Klavierbaufirma mit über 20 Angestellten auf und lud zu Salons, in denen alles, was Rang und Namen hatte, ein- und ausging - auch Beethoven. Mit dem war sie befreundet, wohnte zeitweise sogar in derselben Straße und gab ihm auf dessen Bitte häufig Tipps für die Erziehung seines Neffen und seine Haushaltsführung.
Nanette Streicher führte ihre Firma 30 Jahre lang - ohne ihren Mann, der war nur Mitarbeiter bei ihr. Das ist schon eine bemerkenswerte Karriere, auch deswegen ist dieser Flügel etwas Besonderes.
Wir haben das einzige Instrument, dass man tatsächlich hören kann – und sollte.
Hartmut Schick, Professor für Musikwissenschaft
Sehr sensibles Instrument
Gibt es noch weitere Streicher-Exemplare?
In Bayern gibt es noch zwei weitere oberschlägige Flügel von Streicher, einer steht im Deutschen Museum, den anderen findet man im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Aber: Keiner von beiden stammt noch aus der Beethoven-Zeit und sie werden beide nicht mehr gespielt. Wir haben das einzige Instrument, dass man tatsächlich hören kann – und sollte.
Allerdings ist unser Streicher-Flügel ein sehr, sehr sensibles Instrument, zwischendrin kann schon mal ein Ton ausfallen und meistens muss in der Konzertpause nachgestimmt werden, das ist alles eine Gratwanderung. Aber wenn dieses Instrument dann in der großen Aula klingt, sind die Leute immer völlig verzückt. Ich finde, man wird fast ein bisschen süchtig nach diesem Klang und dem enormen Farbenreichtum.
Am 9. Mai spielt Dmitry Ablogin auf dem Streicher-Flügel das
Konzert „Beethoven und die Frühromantik”
. Das Konzert findet um 19:30 Uhr in der Großen Aula der LMU statt. Der Eintritt ist frei.