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Hochdotierte ERC-Grants für drei LMU-Wissenschaftler

17.03.2022

Quantensysteme, die Anpassungsfähigkeit von Pathogenen und historische Stadtentwicklung: Der Europäische Forschungsrat vergibt Consolidator-Grants für innovative Projekte.

Der Wirtschaftshistoriker Davide Cantoni, der Mathematiker Phan Thành Nam und der Molekularbiologe Nicolai Siegel haben erfolgreich zusammen mit der LMU je einen Consolidator-Grant eingeworben. Für Davide Cantoni und Nicolai Siegel ist es bereits der zweite ERC-Grant in ihrer Karriere. Die Auszeichnung ist mit einer Förderung von bis zu zwei Millionen Euro für einen Zeitraum von fünf Jahren dotiert. Mit Consolidator Grants unterstützt der Europäische Forschungsrat (ERC) exzellente Wissenschaftler dabei, ihre innovative Forschung weiter auszubauen und zu konsolidieren. Grundlage für die Entscheidung des ERC bei der Vergabe der prestigeträchtigen Grants ist die wissenschaftliche Exzellenz der Antragsteller sowie des beantragten Projekts.

Wie formten sich Großstädte im 19. Jahrhundert und was lässt sich daraus für das Heute lernen? Das untersucht der Wirtschaftshistoriker Davide Contoni für einige Aspekte auch am Beispiel Münchens.

© SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo

Mehr zu den neuen ERC-Projekten

Prof. Davide Cantoni, PhD., ist Wirtschaftswissenschaftler und Lehrstuhlinhaber am Seminar für Wirtschaftsgeschichte der LMU.

Als im 19. Jahrhunderte die Großstädte wuchsen, standen die Bewohner schon vor ähnlichen Herausforderungen, wie wir sie auch heute kennen: mit disruptiven Effekten neuer Technologien umzugehen, große Zahlen an Zuzüglern zu integrieren und Epidemien wirkungsvoll bekämpfen zu können. In seinem neuen ERC-Projekt CityRising (The City Rising: Inequality and Mobility in a Growing Metropolis of the 19th Century) wird Davide Cantoni untersuchen, wie München diese Aufgaben in der Phase zwischen 1823 und 1914 hat bewältigen können, wie die Stadt ihren Bewohnerinnen und Bewohner den Raum und die Möglichkeiten zu ökonomischem und sozialem Aufstieg gab. Grundlage ist neues reiches Daten-und Archivmaterial, das Schlüsse auf Individualebene zulässt. Die Studie gliedert sich in drei Abschnitte. Im ersten Teil wollen die Wissenschaftler die Auswirkungen eines „technologischen Schocks“ – der Einführung von Massentransportmitteln – auf die räumliche Struktur der Stadt untersuchen. Sie zeigen, welche Verteilungseffekte die Agglomeration von Wohnen und Gewerbe hatte. Daten zum Schulbesuch der Bewohner geben Aufschluss darüber, wie diese Reorganisation der Stadt die soziale Mobilität beeinflusste. Im zweiten Teil will Cantoni untersuchen, wie sich Angehörige der lange Zeit marginalisierten jüdischen Bevölkerung in die wachsende Stadt integrierten und in das gebildete Bürgertum aufstiegen. Er untersucht die Bedingungen, die beispielsweise über berufliche Spezialisierung und Erfolg entschieden, analysiert Strategien von Assimilation. Im dritten Teil wird der Wirtschaftshistoriker zeigen, wie der Anschluss an Wasserversorgung und Kanalisation die soziale Geographie der Stadt veränderte.

Davide Cantoni studierte an der Universität Mannheim und der University of California at Berkeley, USA; promoviert wurde er an der Harvard University, Cambridge, USA. Seit 2011 ist er Professor an der LMU. Cantoni wird bereits mit einem Starting Grant gefördert für ein Projekt zur Demokratiebewegung in Hong Kong. 2019 wurde er mit dem renommierten Gossen-Preis als bester Ökonom unter 45 Jahren im deutschsprachigen Raum ausgezeichnet.

Phan Thành Nam ist Professor für Mathematik an der LMU. In seiner Forschung interessiert er sich besonders für quantenmechanische Vielteilchen-Systeme und ihre Eigenschaften. Insbesondere beschäftigt er sich mit Näherungsmethoden bei der Lösung sogenannter Schrödinger-Gleichungen.

Die physikalischen Eigenschaften von Vielteilchen-Quantensystemen werden in der Regel mit Hilfe der Schrödinger-Gleichungen beschrieben. Da die Komplexität der Gleichungen des berühmten österreichischen Physikers jedoch extrem schnell mit der Anzahl der Teilchen wächst, ist es in der Regel unmöglich, diese mit den derzeitigen numerischen Techniken zu lösen. Daher verwenden Physiker in der Praxis oft Näherungstheorien. Diese konzentrieren sich nur auf einige kollektive Verhaltensweisen der beschriebenen Systeme. Die Bestätigung, ob die gewählten Modelle das Verhalten effektiv beschreiben, erhalten Forschende mit Hilfe mathematischer Analysen. Hier setzt der neu bewilligte ERC Consolidator Grant RAMBAS (Rigorous Approximations for Many-Body Quantum Systems) von Prof. Dr. Phan Thành Nam an. Das übergeordnete Ziel seines Projekts ist, einige wichtige effektive Näherungen zu bestätigen, die in der Vielkörper-Quantenphysik verwendet werden. Der LMU-Mathematiker will aufbauend auf seiner Expertise in mathematischer Physik neue Techniken entwickeln, um Korrekturen spezieller Näherungstheorien für verdünnte Bose-Gase zu verstehen und die Erkenntnisse dann auch auf Fermi-Gase anwenden. Ziel ist es, die Grundzustandsenergie, das Anregungsspektrum und die Vielkörper-Quantendynamik in langen Zeitskalen zu untersuchen, um quantenkinetische Gleichungen abzuleiten. Mit Hilfe teilweise neuer mathematischer Techniken aus der Funktionalanalysis, der Spektraltheorie, der Variationsrechnung und Lösung partieller Differentialgleichungen soll RAMBAS die Standardnäherungen von Quantensystemen auf die nächste Stufe heben und so Physikern neue mathematische Werkzeuge an die Hand geben.

Phan Thành Nam studierte Mathematik und Computerwissenschaften an der Vietnam National University in Ho Chi Minh Stadt, erwarb anschließend seinen Master in Angewandter Mathematik an der Universität von Orléans. 2011 wurde Phan Thành Nam an der Universität Kopenhagen promoviert. Nach Forschungsstationen in Frankreich, Österreich und Tschechien kam er 2017 als Professor für Mathematik an die LMU.

© jan greune

Prof. Dr. Nicolai Siegel (Veterinärwissenschaftliches Department/Experimentelle Parasitologie und Biomedizinisches Centrum/Physiologische Chemie der LMU) leitet die Arbeitsgruppe Molekulare Parasitologie. In seiner Forschung interessiert er sich besonders dafür, wie die Variabilität von Krankheitserregern zur erfolgreichen Infektion ihres Wirts beiträgt.

Die Corona-Pandemie hat eindrücklich vor Augen geführt, wie sich die Variabilität von Pathogenen auf das Infektionsgeschehen auswirken kann. Eine gewisse Wandelbarkeit hilft Krankheitserregern, sich zu verbreiten. Wichtig ist aber immer das richtige Maß, denn zu viel oder zu wenig Variabilität ist oft mit negativen Folgen für das Pathogen verbunden. In seinem Projekt switchDecoding will Nicolai Siegel den Mechanismen auf die Spur kommen, die die Heterogenität in Pathogenpopulationen steuern. Dazu wird er am Modell des Erregers der Schlafkrankheit, des einzelligen Parasiten Trypanosoma brucei, untersuchen, auf welche Weise der Parasit immer wieder Oberflächen-Proteine – sogenannte Antigene – verändert, um der Immunabwehr seines Wirts zu entkommen. In einem multidisziplinären Ansatz plant er, Einzelzell-Multiomics, Lineage-Tracing und CRISPR-Cas-basierte Genommanipulationsstrategien zu entwickeln und zu kombinieren, um die Prozesse, Wege und Moleküle zu charakterisieren, die die Antigen-Variation in T. brucei regulieren. Ziel des Projektes ist ein besseres Verständnis, wie sich Erreger an ihre Umwelt anpassen und möglicherweise Resistenzen entwickeln. Dieses Wissen soll dazu beitragen, neue Interventionsstrategien und Medikamente zu entwickeln.

Nicolai Siegel studierte Biochemie an der Brown University in Providence, USA, und der ETH Zürich, Schweiz. Nach seiner Promotion an der Rockefeller University in New York forschte er als Postdoc am Institut Pasteur in Paris. Seit 2012 war Siegel Leiter einer Nachwuchsgruppe am Zentrum für Infektionsforschung (ZINF) an der Universität Würzburg, bevor er 2017 eine Professur für Molekulare Parasitologie an der LMU übernahm. 2016 zeichnete ihn der ERC bereits mit einem Starting Grant aus.

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