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Hymne an Babylon entdeckt

01.07.2025

Das bislang unbekannte Loblied stammt aus der Zeit um 1000 vor Christus. LMU-Altorientalist Enrique Jiménez findet mit Künstlicher Intelligenz 30 weitere zugehörige Manuskripte.

Fragment einer Tontafel mit Keilschrift

Die Keilschrifttafel mit der neuentdeckten Hymne

© Anmar A. Fadhil, Department of Archaeology, University of Baghdad. With the permission of the Iraqi Museum and the State Board of Antiquities and Heritage

LMU-Altorientalist Enrique Jiménez hat im Rahmen seiner Kooperation mit der Universität Bagdad einen Tausende Jahre lang verschollenen Text wiederentdeckt. „Es handelt sich um einen faszinierenden Hymnus, der Babylon in seiner größten Blütezeit beschreibt und Einblicke in das Leben seiner Einwohner und auch seiner Einwohnerinnen gibt.“

Babylon wurde etwa 2000 vor Christus im damaligen Mesopotamien gegründet. Die einst größte Stadt der Welt war eine kulturelle Metropole, in der Werke verfasst wurden, die heute zur Weltliteratur zählen.

Texte wurden damals in Keilschrift auf Tontafeln geschrieben, die heute nur in Bruchstücken erhalten sind. Ziel der Kooperation mit der Universität Bagdad ist es unter anderem, Hunderte Keilschrifttafeln aus der berühmten Bibliothek Sippar zu entschlüsseln und der Nachwelt zu erhalten. Dort soll Noah sie als Schutz vor der Sintflut versteckt haben, bevor er in die Arche stieg.

Enrique Jiménez digitalisiert im Projekt „Electronic Babylonian Literature“ alle Keilschrift-Textfragmente, die weltweit bislang entdeckt wurden, und nutzt Künstliche Intelligenz, um zusammengehörige Fragmente zu entziffern. „Mithilfe unserer KI-gestützten Plattform konnten wir 30 weitere Manuskripte identifizieren, die zur wiederentdeckten Hymne gehören – ein Prozess, der in der Vergangenheit Jahrzehnte gedauert hätte“, sagt Jiménez, Professor für altorientalische Literaturen am Institut für Assyriologie der LMU. Dank dieser weiteren Texte konnte das Loblied auf der Tontafel, das stellenweise lückenhaft war, komplett entschlüsselt werden.

Hymne bietet neue Einblicke in Babylons Stadtgesellschaft

Zwei Männer stehen vor der Replik des Ischtar-Tors in Babylon

Enrique Jiménez und sein Kollege Anmar Fadhil stehen vor der Replik des Ischtar-Tors.

Es markiert den Eingang zur archäologischen Stätte Babylons. Sie halten eine Tafel mit Auszügen des entdeckten Textes. | © Junko Taniguchi

Diese weiteren zahlreichen Fundstellen lassen darauf schließen, dass der Text damals sehr verbreitet war. „Die Hymne wurde von Kindern in der Schule kopiert. Es ist außergewöhnlich, dass ein damals so beliebter Text bis heute unbekannt war.“ Das Loblied stammt vermutlich vom Anfang des ersten Jahrtausends vor Christus und umfasst 250 Zeilen.

„Die Hymne wurde von einem Babylonier geschrieben, der seine Stadt loben wollte. Der Autor beschreibt die Gebäude in der Stadt, aber auch, wie der Euphrat den Frühling bringt und die Felder grün werden. Das ist spektakulär. Denn aus Mesopotamien sind nur wenige Beschreibungen der Natur überliefert“, sagt Enrique Jiménez.

Auch die Informationen über die Frauen aus Babylonien, ihre Rolle als Priesterinnen und die damit verbundenen Aufgaben erstaunen die Fachwelt, da darüber bislang keine Texte bekannt waren. Die Hymne gibt zudem Einblicke in das Miteinander der Stadtgesellschaft. So werden die Bewohnerinnen und Bewohner als respektvoll gegenüber Ausländern beschrieben.

Blick auf die antike Stadt Babylon

Die Ruinen der antiken Stadt Babylon

Babylon liegt etwa 85 Kilometer südlich der irakischen Hauptstadt Bagdad. Die antike Stätte zählt zum Weltkulturerbe der UNESCO.

© imago/DuanxMinfu

Auszug aus der neuentdeckten Hymne

Die folgenden Zeilen stammen aus der neu entdeckten Hymne. Sie beschreiben den Fluß Euphrat, an dem Babylon damals lag:

The Euphrates is her river – established by wise lord Nudimmud –
It quenches the lea, saturates the canebrake,
Disgorges its waters into lagoon and sea,
Its fields burgeon with herbs and flowers,
Its meadows, in brilliant bloom, sprout barley,
From which, gathered, sheaves are stacked,
Herds and flocks lie on verdant pastures,
Wealth and splendor – what befit mankind –
Are bestowed, multiplied, and regally granted.

Die deutsche Übersetzung lautet:

Der Euphrat, der die Stadt durchfließt,
den schuf Nudimmuds, der Weisheit Herr,
Bewässert die Ebene, durchtränkt das Röhricht,
Ergießt seine Wasser in Lagune und Meer.
Auf seinen Feldern blüht es und grünt’s,
Es schillern die Auen vor frischem Getreide;
Dank ihm türmt das Korn sich zu Mieten und Haufen,
Wächst Gras hoch empor, den Herden zur Weide,
Mit Reichtum und Pracht, der Menschheit gebührend,
(Ist alles) in herrlicher Fülle bedacht.

Übersetzung: „electronic Babylonian Library“

Publikation:

Anmar A. Fadhil und Enrique Jiménez: Literary texts from the Sippar Library V: A hmyn in praise of Babylon and the Babylonians. Doi:10.1017/irq.2024.23 In: IRAQ 2025, Cambridge University Press.

Mehr zur Forschung von Prof. Enrique Jiménez:

Electronic Babylonian Literature: Spiel mit dem Anfang der Weltliteratur

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