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Im Nano-Aquarium: Infrarot-Supermikroskopie lebender Zellen

24.11.2021

Physiker der LMU haben eine Methode entwickelt, um chemische Muster auf ungefärbten lebenden Zellen im Nanometerbereich sichtbar zu machen.

Im Nano-Aquarium:

Fußabdruck einer Krebszelle (links), Infrarotaufnahme des gleichen Objekts (rechts).

Jeder mag es, Fische in einem Aquarium aus nächster Nähe zu beobachten und Details wie ihre bunten Hautmuster zu bewundern. Ganz ähnlich haben Physiker der LMU nun eine Art Nano-Aquarium für Zellen und Bakterien entwickelt. Mit ihrer neuartigen Präparationsmethode gelang es, mit Hilfe eines chemischen Nanoskops Muster in der chemischen Zusammensetzung lebender Zellen in ihrer natürlichen wässrigen Umgebung sichtbar zu machen. Die Forscher konnten sogar das Wachstum und die Entwicklung einer einzelnen Zelle filmen. Diese Innovation eröffnet neue Wege zur Untersuchung einzelner lebender Zellen in ihrer Umgebung. „Sie hat Potenzial für Forschung zur Bekämpfung von Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer“, sagt LMU-Physiker Fritz Keilmann.

Das Gerät analysiert die chemische Zusammensetzung entlang einer Zelloberfläche mit Hilfe lokaler Infrarotspektren und macht daraus hochpräzise Infrarotbilder. Die Auflösung liegt dabei weit unter der Grenze der klassischen optischen Mikroskopie. Das Gerät erzeugt direkt unter der metallischen Nadelspitze eines sogenannten Rastersondenmikroskops (AFM) einen winzigen Infrarot-Superfokus, 20 Nanometer breit und vierzig Nanometer in der Tiefe, und rastert über die Probe. Die Forscher verwenden für das Abtasten ihrer wässrigen Probe langwelliges Infrarotlicht, denn nur dort weisen alle in Zellen vorkommenden Moleküle spezifische Absorptionslinien auf. „Wir nennen das auch molekulare Fingerabdruckspektren“, sagt Keilmann, Mitglied im Center for NanoScience der LMU. Gemessene Spektren können automatisch bestimmten Molekülgruppen zugordnet werden.

Fußabdruck einer Zelle

Keilmanns Team entwickelte die Technik, die auch bereits kommerziell erhältlich ist. Der Clou der aktuellen Arbeit ist eine Art superdünnes Nano-Aquarium-Fenster, durch welches der Superfokus des Mikroskops quasi hindurchscheinen kann und mittels Rückstreuung an den Molekülen die lokale chemische Zusammensetzung der Zellen abbildet. Das Nano-Aquarienfenster ist trotz seiner unglaublich geringen Dicke von nur zehn Nanometern (nur etwa 30 Atomlagen) sogar noch bei einer Breite von 0,2 Millimetern ausreichend robust. Selbst wenn die Forscher mit einer Pipette lebende Zellen auftropften, brach es weder durch diesen Aufprall noch durch das Wachstum und die Bewegung der anhaftenden Zellen. Das dünne Fenster verformt sich lokal leicht je nach Adhäsionskraft (oder Klebekraft) der anhaftenden Zelle. Dieser Effekt führt zu einem deutlich erkennbaren Fußabdruck der Zelle im AFM-Bild. Diese Aufnahme ergänzt somit das Infrarotbild der chemischen Zusammensetzung.

Die Infrarot-Nanoskopie-Gruppe am Lehrstuhl von Prof. Stefan Maier im Nanoinstitut der LMU will künftig mit Biologen zusammenarbeiten, um interdisziplinäre Fragestellungen in den Lebenswissenschaften anzugehen. Mögliche Bereiche wären Zellmigration und die Differenzierung von Stammzellen. Vielleicht lassen sich sogar Aggregationssprozesse von Proteinen in situ beobachten, die eine Schlüsselrolle bei Alzheimer- und anderen neurodegenerativen Erkrankungen spielen. Über die Lebenswissenschaften hinaus könnte das Nano-Aquarium auch helfen, rein chemische, wässrige Prozesse besser zu verstehen, wie etwa die Korrosion von Stahl im Beton oder den räumlich-zeitlichen Ablauf einer chemischen Reaktion in nächster Nähe zu einem nanometrisch kleinen Katalysator.

K.J. Kaltenecker, T. Gölz, E. Bau und F. Keilmann. Infrared‐spectroscopic, dynamic near‐field microscopy of living cells and nanoparticles in water. Scientific Reports 2021.

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