Eine neue Filmreihe des religionswissenschaftlichen Teams der LMU und des Forschungsverbunds „For Family“ zeigt ab 21. Oktober, wie religiöse Traditionen die Familienbilder im Kino prägen. Und lädt anschließend zur Diskussion ein.
Die Bedeutung der Kirchen schwindet, nicht aber der Einfluss der Religion: Das zeigen die im Film so beliebten Familiengeschichten besonders deutlich. Mal kritisch, mal affirmativ greifen sie Motive aus verschiedenen religiösen Traditionen auf, beschäftigen sich mit Schuld, Hoffnung und Neuanfang und verhandeln so immer wieder aufs Neue die Frage, was Familie eigentlich ist. Behagliches Nest? Oder doch eher die Hölle der Herkunft, die man verlassen muss, um sich selbst zu finden?
Spannender Stoff nicht nur für Cineasten, sondern auch für das religionswissenschaftliche Team der LMU, das im Forschungsverbund „For Family“ untersucht, wie religiöse Werte die Inszenierung der Familie im Film beeinflussen.
„Mich interessiert, welche Fragen und Probleme vor dem Hintergrund der Familie ausgehandelt, welche gesellschaftlichen Konstellationen im Film gespiegelt werden“, erklärt Daria Pezzoli-Olgiati, Inhaberin des Lehrstuhls für Religionswissenschaft und -geschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät. „Welche Leitbilder werden gezeigt, welche Visionen entwickelt?“
Handverlesen und aktuell
Mit „Irrgärten und Auswege“ hat das Team eine Filmreihe konzipiert, die sich ganz dem Familienbild im zeitgenössischen Kinofilm widmet. In enger Zusammenarbeit mit dem Schwabinger Leopold Kino werden jeden Dienstagnachmittag im Wintersemester handverlesene Filme im Kino zu sehen sein. Anschließend besteht im Hauptgebäude der LMU Gelegenheit, mit Expertinnen und Experten unterschiedlicher Fachrichtungen über die Filme zu diskutieren.
Emanzipation aus der Polyandrie
Gezeigt werden ausschließlich aktuelle Autorenfilme – keine Mainstreamproduktionen, sondern insgesamt zwölf unabhängige Filme aus aller Welt, in denen etwa der tibetische Buddhismus, unterschiedliche christliche, islamische und jüdische Traditionen die Vorstellung von Familie prägen.
„Shambala“ (2023, Nepal, Regie: Min Bahadur Bham) eröffnet die Reihe. Die Produktion inszeniert eine komplexe Familiensituation im Himalaya: Die junge Pema heiratet drei Brüder. Als der Älteste verschwindet, sieht die Tradition der Polyandrie vor, dass seine Brüder ihn ersetzen. Doch Pema bricht aus alten Mustern aus. So erzählt der „sehr filmische Film“, der, wie Pezzoli-Olgiati sagt, zwischen Traum und Realität schwebt, mit aller Ruhe eine erstaunliche weibliche Emanzipationsgeschichte vor fantastischer Bergkulisse.
Können Eltern ihrem Kind verzeihen?
Andere Beiträge fragen nach Schuld und Vergebung. So etwa der Dokumentarfilm „Jenseits von Schuld“ (2024). Die Münchner Regisseurinnen Katharina Köstner und Kathrin Nemec begleiten darin die Eltern des Krankenpflegers Niels H., der in zwei Krankenhäusern Hunderte von Menschen ermordet haben soll und in 80 Fällen verurteilt wurde. „Die theologische Relevanz hängt bei dieser Dokumentation mit der Frage von Schuld und Zuwendung zusammen“, erklärt Pezzoli-Olgiati. „Was sagen die Taten der Kinder über die Eltern aus? Spiegelt sich Schuld vom Kind auf die Eltern zurück? Welche Verpflichtung haben die Eltern gegenüber ihrem Sohn? Und: Kann man einem Serienmörder vergeben?“
„Close“ wiederum (2022, Belgien/Frankreich/Niederlande, Regie: Lukas Dhont) ist ein aufwühlendes Coming-of-Age-Drama. Erzählt wird von den beiden 13-jährigen Freunden Léo und Rémi, deren enge Freundschaft unter dem misstrauischen Blick der Mitschüler zu zerbrechen droht – mit tragischen Folgen.
Neue Rollen, neue Freiheit
Im italienischen Überraschungserfolg „C‘è ancora domani“, auf Deutsch „Morgen ist auch noch ein Tag“ (2023, Italien, Regie: Paola Cortellesi) blickt die Regisseurin ins Rom der Nachkriegszeit. Delia, Ehefrau und Mutter, leidet unter patriarchaler Gewalt – und findet schließlich doch Wege, ihre Rolle neu zu definieren. In Italien überholte das Schwarz-Weiß-Drama in den Kinos sogar Blockbuster wie Barbie oder Oppenheimer – ein bewegendes Porträt weiblicher Selbstermächtigung und gesellschaftlichen Wandels.
Auch „Ma vie de Courgette“ (2016, Schweiz/Frankreich, Regie: Claude Barras), „Women Talking“ (2022, USA, Regie: Sarah Polley) und „Le bleu du caftan“ (2022, Marokko/Frankreich, Regie: Maryam Touzani) stellen Familie aus unterschiedlichsten Perspektiven als herausforderndes krisenhaftes Gefüge dar, das zu neuen Modellen und Lebensentwürfen führt.
Wenn Fürsorge dazwischenfunkt …
Besonders eindrücklich verhandelt die Komödie „Broker“ (2022, Südkorea, Regie: Hirokazu Kore-eda) das Thema: Zwei Kleinkriminelle betreiben eine anonyme Babyklappe, in der Mütter ihr Neugeborenes abgeben. Die Gauner versuchen, aus dem unrechtmäßigen Verkauf der Babys Profit zu schlagen. Doch der geplante Deal scheitert an einem ganz und gar unganovenhaften Gefühl: der Fürsorge. Nicht Blutsverwandtschaft trägt hier die Familie, sondern Verbindung, Verantwortung und Zuneigung.
So bietet die Filmreihe einen informativen, interdisziplinären Überblick darüber, wie vielfältig und religiös geprägt Familienbilder sein können, lädt aber auch dazu ein, eigene Vorstellungen zu überdenken. Und – vielleicht – neue Perspektiven zu entwickeln, die weit übers Kino hinaus wirken können.
Termine
Die Filme der Reihe „Irrgärten und Auswege. Familienbilder im Kino“ werden ab dem 21. Oktober 2025 jeweils dienstags um 15:30 Uhr im Leopold Kino in der Originalsprache mit deutschen Untertiteln gezeigt. Anschließend findet von 18:15 bis 19:45 Uhr an der LMU eine Filmbesprechung mit Fachleuten und anschließender Publikumsdiskussion statt. Den Auftakt macht ein Einführungsvortrag mit Diskussion am 14. Oktober um 18:15 Uhr (Geschwister-Scholl-Platz 1, Raum M 110).
Informationen, Trailer und die Vorstellung der Referierenden gibt es hier.