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Judentum zwischen Lifestyle und Ruinenkneipen

06.07.2015

Am Strand von Marbella, wo sich jüdische Touristen zum Beten und Bräunen treffen, in hippen Restaurants Londons, in denen „Koscher food“ zum modernen Lifestyle gehört oder in den Ruinenkneipen im jüdischen Viertel Budapests haben Studierende der LMU n...

Nach Istanbul, London, Budapest, Marbella, Warschau, Umeå und Reykjavik sind Studierende der LMU gereist, um dort jüdische Lebenswelten und Identitäten zu entdecken. Die Reise ist Teil eines studentischen Forschungsprojekts: Zwölf Studierende des Masterstudiengangs Volkskunde/ Europäische Ethnologie haben sich über ein Jahr hinweg mit mit den Forschungsansätzen einer modernen jüdischen Volkskunde beschäftigt und sich selbst auf die Suche nach jüdischer Kultur in Europa gemacht. Die Ergebnisse ihrer ethnologischen Feldforschung stellen sie nun im Jüdischen Museum München aus.

Budapest – jung, jüdisch, hip „Immer wenn ich im jüdischen Stadteil Zsidonegyed in Budapest unterwegs war, habe ich gedacht: Jetzt bist du im Berliner Szeneviertel Kreuzberg gelandet“, erzählt die Studentin Julia Jattke, die zusammen mit ihrer Kommilitonin Rabea Beschta in Budapest nach jüdischem Leben gesucht hat. Gefunden haben sie ein hippes Viertel, das inzwischen aus seiner jüdischen Vergangenheit Kapital schlägt. Waren die sogenannten Ruinenkneipen vor einigen Jahren noch ein Geheimtipp in der alternativen Szene Budapests, stehen sie heute in jedem Stadtführer – und nur noch wenige alteingesessene Budapester verirren sich dorthin. Entstanden sind die Ruinenkneipen durch illegale Besetzung eigentlich abbruchreifer Häuser, in denen seit dem Fall der Mauer jüdisches Leben wiederentdeckt wird. Und das ausgerechnet dort, wo sich zur Zeit des Nationalsozialismus auch das jüdische Ghetto Budapests befand.

In nur fünf Tagen haben Julia und ihre Kommilitonin Rabea versucht, das Viertel mit den teilweise verfallen Häusern, Graffiti und den zahlreichen Clubs und Kneipen „aufzusaugen“, um diese Eindrücke dann so realitätsnah wie möglich an die Besucher der Ausstellung weiterzugeben. Dazu bauen sie sogar eine der Ruinenkneipen im Jüdischen Museum nach und versuchen so, den provisorischen Charme dieser Bars nach München zu holen.

„How do you Jew?“ Bei dem Lernforschungsprojekt „Jüdisches Europa heute“ sollten Studierende bewusst die Universität verlassen, um sich neue Arbeitsfelder zu erschließen, erklärt Dr. Daniel Habit vom Institut für Volkskunde, der das Forschungsprojekt in seinem Seminar initiierte. Die Idee dahinter: „Die Studierenden können intensiv forschen und diese Erfahrungen dann für größere Kreise in einer Ausstellung erfahrbar machen.“ Für die Studierenden sei das eine gute Gelegenheit, die gesamte Ausstellung zu begleiten – von der Auswahl der Forschungsorte bis zur Umsetzung im Museum.

Dabei gehe es vor allem darum, wie jüdische Kultur heute gelebt wird: „Es geht um das ‚How do you Jew?‘ und nicht um die Frage ‚Who is a Jew?‘“, so Habit. Im schwedischen Umeå untersuchten die Studierenden beispielsweise die These des schwedischen Sozialpsychologen Lars Dencik, der von einem „Swedish Smorgabord‘ Judaism“ spricht: Smorgabord ist das schwedische Wort für „kaltes Buffet“ – eine Metapher dafür, dass die jüdischen Schweden relativ frei wählen, welche Traditionen sie in ihren Alltag integrieren möchten. Laut der Studie Denciks geben 73 Prozent der befragten jüdischen Schweden an, regelmäßig Schabbat zu feiern – und rund 37 Prozent erklärten, gleichzeitig auch Weihnachten zu feiern. „Geschichten wie diese haben den Studierenden gezeigt, dass es bei diesem Forschungsprojekt auch um grundsätzliche Fragen geht: Was ist eigentlich eine religiöse Identität? Und wie gehe ich damit um?“, berichtet Habit.

Marbella: Beten und Bräunen Mit einem eher ungewöhnlichen Ort jüdischen Lebens beschäftigten sich die Studentinnen Lisa Kattner und Katharina Ohl: Sie reisten nach Marbella, um dem jüdischen Tourismus auf die Spur zu kommen. „Grund für unsere Reise nach Marbella war ein Artikel in der Jüdischen Allgemeinen mit dem Titel ‚Beten und Bräunen‘“, erklärt Lisa. Jeden Sommer verdreifache sich die jüdische Gemeinde in dem Badeort, wenn viele Juden dort Urlaub machen – aber auch wichtige Feste wie Bar Mizwa feiern. „Spannend fanden wir, dass es in Marbella kaum Restaurants gibt, die koscheres Essen anbieten - und viele wussten auch gar nicht, was wir damit meinen", erzählte die Studentin. „Wer jedoch auf der Suche nach koscherem Essen ist, kann sich an die jüdische Gemeinde in Marbella wenden, die außerdem einen koscheren Cateringservice anbietet." cdr

Die Ausstellung „Jüdisches Europa heute. Eine Erkundung“ ist vom 8. Juli 2015 bis zum 14. Februar 2016 im Jüdischen Museum München zu sehen. Weitere Informationen unter www.juedisches-museum-muenchen.de

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