Klangforschung für die Menschen mit den Menschen
26.06.2025
Das Verbundprojekt „CitySoundscapes“ lädt Interessierte dazu ein, bei Hörspaziergängen die Akustik der Stadt zu erkunden.
26.06.2025
Das Verbundprojekt „CitySoundscapes“ lädt Interessierte dazu ein, bei Hörspaziergängen die Akustik der Stadt zu erkunden.
Die Ampel an der Kreuzung springt auf Grün, ein wartender Bus fährt an, Autos rauschen vorbei, ein Vater spricht mit seinem Kind, während die Tür der Kita zufällt. Leonie Schulz spricht vor einer bunten Geräuschkulisse am Kolumbusplatz – die Geräusche sind für sie aber kein Störfaktor, sondern vor allem ein spannender Forschungsgegenstand. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität München (TUM) und koordiniert dort das Verbundprojekt „CitySoundscapes“, das von Prof. Monika Egerer an der TUM geleitet und gemeinsam mit der LMU und weiteren Projektpartnern durchgeführt wird.
„CitySoundscapes untersucht den Zusammenhang zwischen der Akustik der Stadt, der biologischen Artenvielfalt und dem Wohlbefinden der Bürgerinnen und Bürger,“ formuliert Schulz das übergeordnete Vorhaben des Projekts. „Das Hauptaugenmerk liegt auf der Erforschung von „Soundscapes“ in der Stadt – der auditiven Umgebung, die die menschlichen Erfahrungen maßgeblich beeinflusst.“
Uns interessieren die Beziehungen zwischen biologischer Vielfalt, Klang und menschlicher Gesundheit in städtischen Grünflächen. Dabei geht es uns ganz konkret darum, die Menschen aus der Stadt einzubeziehen.Sophia Baierl
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fokussieren sich auf drei Gebiete in München, die repräsentativ für verschiedene Stadtstrukturen stehen: Die Au, Harlaching und Neuperlach. „Wir untersuchen dort zum Beispiel die Struktur: Wie komplex sind die Grünflächen gestaltet? Welche Art von Pflanzen und Tieren gibt es? Dazu sammeln wir akustische Daten. Das alles werten wir gemeinsam mit Daten zur baulichen Verdichtung und Versiegelung der Stadtviertel aus, um Karten und Modelle zu gestalten, sodass die Ergebnisse in die Stadtplanung einfließen können.“ Das Projekt verfolgt einen interdisziplinären Ansatz und verbindet Erkenntnisse aus der Forstwirtschaft, der Landschaftsökologie, der Stadtplanung, der Umweltpsychologie und Public Health.
Der Kolumbusplatz ist der Startpunkt für einen „Hörspaziergang“, den an dem Projekt beteiligte Forscherinnen der LMU konzipiert haben und in den drei ausgewählten Gebieten regelmäßig anbieten. „Uns interessieren die Beziehungen zwischen biologischer Vielfalt, Klang und menschlicher Gesundheit in städtischen Grünflächen,“ erläutert Sophia Baierl, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung an der LMU. „Dabei geht es uns ganz konkret darum, die Menschen aus der Stadt einzubeziehen.“
Alle Bürgerinnen und Bürger ab 18 Jahren sind eingeladen, sich den von den Wissenschaftlerinnen begleiteten Hörspaziergängen in der Au, Neuperlach oder Harlaching anzuschließen, um auf vorbereiteten Routen für etwa 60 bis 90 Minuten gemeinsam durch ein Viertel zu gehen. An verschiedenen Stationen halten die Teilnehmenden für etwa drei Minuten inne, schließen die Augen und lauschen den Klängen um sich herum. Anschließend füllen sie auf dem Handy oder auf Papier einen Fragebogen aus und teilen darin anonym den Forschenden ihre Wahrnehmung mit: Welches Geräusch dominiert die klangliche Umgebung? Wie wirkt es sich auf mich aus? Empfinde ich die Umgebung eher als hektisch und chaotisch oder als entspannend?
Dr. Michaela Coenen leitet den Fachbereich Gesundheitsförderung und Prävention am Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung der LMU München. Sie hat als wissenschaftliche Leiterin die Hörspaziergänge mitgeplant. Im Zentrum steht die Frage, welche Beziehungen bestehen zwischen den Klängen auf Grünflächen, akustischem Komfort und Erholung, und wie diese Effekte durch soziale Faktoren beeinflusst werden. „Bisher fokussiert Forschung immer sehr stark auf Lärm und seinen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit,“ sagt Coenen. „Wir wollen uns jetzt anschauen, ob es zum Beispiel auf ausgewählten Grünflächen auch Klänge und Geräusche gibt, die sich positiv auswirken.“
Dabei untersucht das Team vor allem die Zusammenhänge zwischen der strukturellen Komplexität von Grünflächen, ihren Soundscapes und ihrer Biodiversität: Wo befinden sich in der Stadt Orte mit hoher Biodiversität, hohem akustischem Komfort und hohen Erholungseffekten mit positivem Effekt auf das Wohlbefinden? Wie können solche Räume in der Stadtplanung umfassend gefördert werden? Dabei gehe es um einen ganz praktischen Ansatz, erklärt Coenen. „Wir machen in diesem Projekt nicht nur Forschung für die Menschen, sondern vor allem mit den Menschen. Die Ergebnisse aus den Fragebögen fließen direkt in die Auswertung ein und bilden damit die Basis für die Handlungsempfehlungen, die wir später im Gesamtteam durchführen mit dem Ziel, praxistaugliche Empfehlungen für Städte und Kommunen zu entwickeln.“
Am Kolumbusplatz herrscht um die Mittagszeit eindeutig der Verkehrslärm vor. Bereits ein kleines Stück weiter, abgeschirmt von einigen Bäumen am Rande einer Grünfläche, ist die Geräuschkulisse deutlich verändert: Hier herrscht weniger Autolärm, dafür sind brummende Maschinen von einer Baustelle in der Nähe zu hören. Aber auch: viele Vögel, der Wind in den Bäumen, Menschen, die sich auf ihren Spaziergängen durch den Park unterhalten.
Bisher fokussiert Forschung immer sehr stark auf Lärm und seinen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit. Wir wollen uns jetzt anschauen, ob es auch Klänge und Geräusche gibt, die sich positiv auswirken.Michaela Coenen
Noch eine Station weiter, nahe einem kleinen Bach, der durch die Grünfläche verläuft, nehmen die Naturgeräusche noch einmal merklich zu. Der Verkehrslärm ist hier noch zu hören, aber weiter in den Hintergrund gerückt. Still ist es auch hier nicht, doch die Naturgeräusche sind stärker wahrnehmbar – ein Mix aus urbanem Sound und Klängen aus der Natur, der von den meisten Teilnehmenden als erholsamer empfunden werden dürfte als der Verkehrslärm am kaum 500 Meter entfernten Kolumbusplatz.
Wer Interesse hat, die akustische Umgebung der Stadt selbst zu erforschen und den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über den anonymen Fragebogen Feedback zu den eigenen Sinneswahrnehmungen zu geben, kann sich online über die Termine informieren und sich für einen Hörspaziergang in der Au, in Harlaching oder in Neuperlach anmelden.
Verschiedene Partnerinnen und Partner aus Wissenschaft, Verwaltung, Kunst, Naturschutz und Bürgerinitiativen sind an dem Verbundprojekt beteiligt.
Neben der LMU und der Technischen Universität München (TUM) sowie der Technischen Universität Berlin, sind unter anderem das Referat für Klima- und Umweltschutz der Landeshauptstadt München, Green City e.V. und der BUND Naturschutz mit im Boot. Im Rahmen der Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA) wird „CitySoundscapes“ vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt gefördert.
Die Initiative unterstützt dabei im Sinne einer „transformativen“ Wissenschaft den zielgerichteten Austausch zwischen Forschung, Politik, Wirtschaft, Land- und Forstwirtschaft, Naturschutz und Zivilgesellschaft.