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Kleine Sprache, große Bühne

19.12.2023

Bedrohte Sprachen vor dem Aussterben zu bewahren: Auch das ist Aufgabe linguistischer Forschung. In einem internationalen Kongress tauschten sich Forschende aus aller Welt darüber aus, wie Sprachen erhalten werden können.

„Small languages on the big stage“: So lautete der Titel des internationalen Kongresses, den Studierende der Graduate School Language & Literature organisiert haben. Das 29. LIPP-Symposium bot kleinen, vom Aussterben bedrohten Sprachen eine Bühne. Schneechaos und Bahnstreik konnten der hybriden Tagung nur wenig anhaben: Rund hundert Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus 29 Ländern, darunter Kenia, Nigeria, Indien und Taiwan, fanden online und vor Ort zusammen, um ihre Erfahrungen mit der Erforschung gefährdeter Sprachen zu teilen. „Wir wollten ein Forum schaffen, auf dem Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus aller Welt zeigen können, wie sie an kleinen Sprachen arbeiten“, so Dr. Tobias Weber, einer der Organisatoren des Kongresses.

Ausgedacht, geplant und durchgeführt hat den diesjährigen Kongress ein kleines Team von Promovierenden der Klasse für Sprache der Graduiertenschule. Zu den Sponsoren zählen der Fachinformationsdienst Linguistik und der Lincom-Verlag. Vom Titel und Programm des Symposiums sei er auf Anhieb begeistert gewesen, erklärte Professor Hans-Jörg Schmid, Dekan der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften, in seiner Begrüßung. Über die Relevanz des Themas besteht ja auch kein Zweifel: Von rund 7.100 Sprachen, die auf diesem Planeten gesprochen werden, sterben laut The Language Conservancy neun pro Jahr aus. Die UNESCO hat darum für 2022 bis 2032 die internationale Dekade der indigenen Sprachen ausgerufen.

Ob eine Sprache benutzt wird, entscheidet die Politik

Die Gründe, warum Sprachen verloren gehen, sind vielfältig. Ob eine kleine Sprache anerkannt, in Schulen unterrichtet, in Behörden genutzt und allgemein gefördert wird, entscheidet letztlich die Politik. Häufig reißt die Weitergabe der Sprache aber bereits in den Familien ab. Wörter, die die Älteren noch selbstverständlich nutzten, sind für die Jüngeren kaum noch zu verstehen. Kompetente Sprecher und Sprecherinnen sterben. Fremdwörter dringen in die bedrohte Sprache ein, Internet und Social Media verändern sie. Und weil viele kleine Sprachen nur mündlich tradiert werden, etwa in Liedern, Geschichten und Ritualen, lassen sie sich nicht einfach aus herkömmlichen Lehrbüchern nachlernen.

Der Verlust ist schmerzlich: „Wenn eine Sprache stirbt, geht auch die Gemeinschaft der Menschen verloren, die sie gesprochen haben“, so Tobechukwu Precious Friday im Abstract ihres Vortrags. „Wir verlieren ihr Wissen und die Perspektive, aus der sie die Welt sehen.“ Zum Schutz von Sprachen und Sprachgemeinschaften arbeitet die Nigerianerin an dem weltweiten Projekt Wikitongues mit. Hier dokumentieren Ehrenamtliche seit 2014 bedrohte Sprachen in Audio- und Videoaufnahmen.

Teilnehmende am Lippsymposium posieren unter einem vielfarbigen Handschirm

Kleine Sprachen, ihre Vielfalt und ihre Bedrohungen: Damit haben sich die Teilnehmenden auf dem 29. LIPP-Symposium im Dezember befasst.

© Monika Goetsch

Hoffnungsschimmer für die Erhaltung und Verjüngung kleiner Sprachen

Voraussetzung dieser anspruchsvollen linguistischen Feldarbeit sind vertrauensvolle Kontakte und ein sensibler Umgang mit kulturellen Unterschieden. Manche Rettungsansätze kommen, wie Weber erklärt, aus den Sprachgemeinschaften selbst. Andere werden von der Politik oder größeren NGOs angeschoben. Von einem ambitionierten Revitalisierungsversuch in der Lausitz berichtete Maximilian Hassatzky. Dort soll Niedersorbisch, derzeit von weniger als 400 Menschen gesprochen, gestärkt werden. Zweisprachiger Schulunterricht und Abendkurse waren bei der Erhaltung der Sprache nicht erfolgreich genug. Niedersorbisch sprechen nur noch weniger als 400 Menschen. Das Projekt ZORJA („Morgenröte“) will das ändern: Seit September lernen hier zwölf Erwachsene die niedersorbische Sprache.

Zehn Monate lang widmen sie dem Spracherwerb je dreißig Wochenstunden. Stipendien unterstützen sie dabei. Eine luxuriöse Situation. Mit so viel Zeit, Geld und Engagement sind Revitalisierungsprojekte selten ausgestattet. Dabei spielen kompetente „Neusprecher“ für die Wiederbelebung stark gefährdeter Sprachen eine besonders wichtige Rolle, wie Hassatzky erklärte. Er sieht in Projekten wie ZORJA einen „Hoffnungsschimmer“ für die Erhaltung und Verjüngung kleiner Sprachen.

Anderswo muss weiter um die Zukunft kleiner Sprachen gebangt werden. „Linguistische Evolution ist unvermeidlich”, so die von den Philippinen stammende Professorin Obie Noe B. Madalang. Äußerst knapp werde es für Kankana-ey, die nordphilippinische Sprache, die er erforscht. Schnell müsse man Volksmärchen, Gesänge und Rituale aufzeichnen, um das Verschwinden aufzuhalten. Aber auch jenseits von Dokumentation und Lernprojekten bestehen innovative Möglichkeiten, alte Traditionen mit den Anforderungen der Gegenwart zu versöhnen und so kleine Sprachen zu stärken. Etwa, indem man in ihnen Gebrauchsanweisungen oder Textverarbeitungsprogramme verfasst. Auch Meme-Seiten im Internet präsentieren inzwischen Minderheitensprachen, zum Beispiel das Katalanische oder Ladinische. Und manchmal kommen verschiedene Sprachen in einem gemeinsamen künstlerischen Ausdruck zusammen, wie die aktuelle Forschung an Arab-Jewish Mizrahi Pop in Israel bestätigt.

„In den Vorträgen wurde deutlich: Hier geht es nicht allein um Fragen der Linguistik“, so Weber, „Sprache ist inhärent politisch.“ Für ihn mit das Schönste an der Konferenz: Die informellen Gespräche und das Netzwerk, das sich aus den Kontakten entwickelt. Sein Fazit nach einem Jahr Symposiumsvorbereitung: „Das Interesse, solche Formate beizubehalten, ist groß. Man braucht auch künftig einen Raum, in dem sich engagierte, kritische Stimmen austauschen können.“


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