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Kohlmeisen: Wechselnde Umwelt bewahrt Charakterunterschiede

06.07.2021

Eine Langzeitstudie zeigt, dass räumliche und zeitliche Umweltvariationen dafür sorgen, dass erbliche Verhaltensunterschiede bestehen bleiben.

Kohlmeise im Labor der Verhaltensökologen

© Jan Wijmenga

Wie Menschen haben auch Tiere einen individuellen Charakter: Bei Kohlmeisen (Parus major) beispielsweise gibt es Exemplare, die eine neue Umgebung mutig und neugierig erforschen, und eher schüchterne Artgenossen. Diese Verhaltensunterschiede sind erblich. Eine der Schlüsselfragen in der Verhaltensbiologie ist, wie sie in der Gesamtpopulation aufrechterhalten bleiben, ohne im Verlauf der Evolution nivelliert zu werden. „In den letzten Jahren haben Verhaltensökologen Modelle entwickelt, wie dies durch natürliche Selektion erklärt werden könnte. Bisher gab es aber kaum empirische Studien dazu“, sagt Niels Dingemanse, Professor für Verhaltensökologie an der LMU. Im Rahmen einer groß angelegten internationalen Kooperation konnten Alexia Mouchet, Doktorandin bei Dingemanse, und Kollegen nun nachweisen, dass räumliche und zeitliche Schwankungen der Umweltbedingungen dazu führen, dass immer wieder andere Typen im Vorteil sind, sodass die Verhaltensvariationen bestehen bleiben.

Für ihre Studie untersuchten die Wissenschaftler über mehrere Jahre hinweg den Persönlichkeitstyp, das Überleben und die Reproduktionsrate von 3.500 Vögeln, deren Brutplätze über ganz Westeuropa verteilt waren. Dabei fanden sie, dass bestimmte Typen je nach Land und auch je nach Habitat in einem Land unterschiedlich gut gediehen. Dies führten die Wissenschaftler hauptsächlich auf Variationen der Umweltbedingungen zurück, so könnten etwa scheuere Vögel in Gebieten mit vielen Räubern einen Vorteil haben.

Gleichzeitig variierte die Selektion aber auch zeitlich. Welcher Persönlichkeitstyp bevorzugt war, änderte sich danach von Jahr zu Jahr. Der Grund sind vermutlich ökologische Faktoren, die sich gemeinsam verändern, so die Forscher. Die Buchenmast etwa könnte ein solcher ökologischer Schlüsselfaktor sein, der oft über ganz Westeuropa synchronisiert ist.

„Insgesamt tragen die räumliche und zeitliche Variation der Selektion auf bestimmte Persönlichkeitsvarianten gemeinsam dazu bei, dass die Verhaltensunterschiede innerhalb der Art erhalten bleiben“, sagt Dingemanse. Eine größere geographische Varianz der Selektion stellt dabei einen Mechanismus dar, der wahrscheinlich die Entwicklung lokaler Varianten durch Anpassung an die örtlichen Gegebenheiten fördert. Auf lange Sicht gesehen könnte dies zu einer divergenten Entwicklung führen, die jeweils an die lokalen Gegebenheiten angepasste Persönlichkeitstypen hervorbringt. Die Schwankungen von Jahr zu Jahr wirken dieser lokalen Anpassung entgegen und stellen sicher, dass die räumliche Selektion die Variation der Persönlichkeitstypen nicht aufhebt.

„Unsere Studie zeigt, wie wichtig solche Langzeitstudien in verschiedenen Habitaten sind, um die biologischen Prozesse zu verstehen, die die Variation im Tierverhalten aufrechterhalten“, betont Dingemanse.

Alexia Mouchet et al: Heterogeneous selection on exploration behavior within and among West European populations of a passerine bird. PNAS, 2021

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