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Lässiger Siegfried

22.04.2024

Eine Ringvorlesung beleuchtet Nibelungen-Filme im Wandel der Zeit. Ein Interview mit Germanist Christoph Petersen über eine alte Geschichte und neue Perspektiven.

Das Nibelungenlied

wurde 1924 von Fritz Lang verfilmt. Der Wandel der Zeit lässt sich seither auch an den Darstellungen des Helden Siegfried zeigen | © IMAGO / Bridgeman Images

Mittelalterliche Wildwest-Helden und eine Krimi-Aktrice als Brünhild: Eine Ringvorlesung des Instituts für Deutsche Philologie der LMU erörtert Verfilmungen der Nibelungensage im Spiegel der Gesellschaft. Im Interview erklärt Germanist Dr. Christoph Petersen, der die Veranstaltung initiiert hat, wie Inszenierung und Figurenbesetzung die Sage verändern.

Wie beliebt ist das Nibelungenlied als Filmmaterial?

Christoph Petersen: Sehr beliebt! Schon 1924 wurde es zum ersten Mal von Fritz Lang auf die Leinwand gebracht. Das hundertste Jubiläum in diesem Jahr nehmen wir, in Kooperation mit dem Filmmuseum und der Hochschule für Fernsehen und Film München, zum Anlass für eine Ringvorlesung, in der es um die bekanntesten filmischen Interpretationen der Nibelungensage vor sich wandelnden gesellschaftlichen Prämissen geht: von Langs Stummfilm über den italienischen Film Sigfrido aus den Fünfzigerjahren und einen Zweiteiler von Harald Reinl aus den Sechzigern bis zu einem TV-Film von Regisseur Uli Edel aus dem Jahr 2004.

Wie nimmt die Ringvorlesung die Filme in den Blick?

Sie betrachtet sie vor allem aus der Warte der Mediävistik, aber auch der Neueren deutschen Literatur sowie der Film- und Theaterwissenschaften. Ich selbst spreche über den Nibelungenfilm von Reinl zwischen Adenauerzeit und Abenteuerlust. Professorin Andrea Sieber von der Uni Passau hält einen Vortrag über verfilmte Nibelungen-Mythen von Regisseuren wie Quentin Tarantino. Und die LMU-Germanistin Dr. Corinna Dörrich erörtert Nibelungische Frauenbilder im Wandel der Zeit. Grundsätzlich betrachtet die Ringvorlesung dabei Fragen des Inhalts, der Rollenbesetzung und der Inszenierung der Filme.

Ritt durch weite Landschaft

30 Apr

Nibelungen in Bewegung. Die Verfilmung der Heldensage im gesellschaftlichen Wandel

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Was fällt etwa bei der Inszenierung auf?

Im Film von Reinl wird bei Siegfrieds Reise nach Island, wo er Königin Brünhild als Ehefrau für König Gunther werben soll, ein Ritt durch eine weit gezogene Landschaft gezeigt, mit Hügeln, Bergen und markanten Felsformationen. Im Nibelungenlied selbst spielen Landschaftsbeschreibungen dagegen keine große Rolle. Die ausführliche Filmszene, aufgenommen in einer Totalen, weckt Assoziationen mit Weite, Abenteuerlichkeit und ungeahnten Möglichkeiten – und bei mir persönlich mit einem amerikanischen Western. Es sind Bilder, die ein Publikum im 20. Jahrhundert ansprechen und die Geschichte aus dem Mittelalter in einen neuen Zusammenhang stellen.

Welche Bedeutung spielt die Rollenbesetzung?

Ebenfalls in dem Sechzigerjahre-Film spielte Karin Dor die Brünhild. Durch ihre früheren Rollen in Edgar-Wallace- und Karl-May-Filmen war sie auf einen Typus festgelegt: den der begehrenswerten Frau, die in Gefahr gerät und gerettet werden muss. Die Brünhild im Nibelungenlied ist aber das genaue Gegenteil: Eine zwar schöne, aber auch unglaublich starke Königin, die Männer im Kampf bezwingen müssen, um sie als Ehefrau zu werben. Die Besetzung der Rolle verändert daher die Figur.

Ein anderes Beispiel ist die Verfilmung von 2004, in der Siegfried aus dem seit Jahrhunderten etablierten Bild des blond-germanischen, unbesiegbaren Heldentyps herausgerückt wird und mit einer ungezwungenen Art, saloppen Sprache und schulterlangen dunklen Haaren zu einem Womanizer wird.

Vom Wert der Treue

Wie zeigt sich inhaltlich ein gesellschaftlicher Wandel?

In dem Film aus den Sechzigerjahren fallen Sätze, die in der Sage selbst nicht vorkamen, mit denen die uneingeschränkte Treue Hagens gegenüber seinem König infrage gestellt wird. Dies geschah wohl vor dem Hintergrund der noch nicht lange vergangenen Naziherrschaft.

Dazu muss man wissen, dass die mittelalterliche Adelsgesellschaft insbesondere vom Wert der Treue bestimmt war, die etwa den Zusammenhalt des Personenverbandes sicherstellte, und auch das Nibelungenlied beeinflusste. Allerdings wird sie dort auch als problematisch verhandelt: Das Festhalten an ihr führt in den Untergang.

In den politischen Bünden und Konflikten des frühen 20. Jahrhunderts, die in den Ersten Weltkrieg führten, wurde dann das Schlagwort der „Nibelungentreue“ geprägt – als höherer Wert, der selbst schlimmstes Unheil in Kauf nimmt. Später führten die Nationalsozialisten die Nibelungentreue ins Feld, um Hitlers Verhältnis zu den Deutschen als unverbrüchlich zu stilisieren – so wie die Könige der Nibelungen gegenüber ihren Vasallen treu waren und umgekehrt. Diese Treue, im Nibelungenlied ein kompliziertes Konzept, wurde dabei falsch verstanden, vereinfacht und für politische Ziele benutzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt die „Nibelungentreue“ aufgrund dieser geschichtlichen Erfahrungen die Konnotation der Unsinnigkeit.

Alte Motive, neue Gründe

Welche anderen Werte bestimmen die Nibelungensage und ihre Verfilmungen?

Für den mittelalterlich-deutschen Adel, insbesondere in der Literatur, war das Ansehen ein wichtiger Wert – in Bezug auf den König oder die Königin selbst, aber auch auf ihre Familie oder ihre Gefolgsleute. Auch Themen der Liebe waren eher von diesem Gedanken bestimmt. Gunther von Worms wirbt um Brünhild von Island, die er nie getroffen hat, weil sie berühmt ist, von anderen begehrt wird und Gunther und dem Königreich von Burgund Ansehen bringen soll.

In heutigen Verfilmungen spielen eher Emotionen oder andere psychologische Beweggründe eine Rolle. Dies zeigt sich auch darin, dass für die zahlreichen Morde in den Nibelungenfilmen oft persönliche Motive angeführt werden.

Wie rechtfertigt Hagen zum Beispiel den Mord an Siegfried?

Im Nibelungenlied selbst ist das wieder eine Frage des Ansehens und der Treue: Weil Siegfried eine Mitschuld an der Beleidigung König Gunthers hat, ist Hagen als Vasall des Königs regelrecht verpflichtet, diese Schmach zu rächen. Hier entsteht etwas Ambivalentes: Einerseits ist der Mord verwerflich. Andererseits gibt es einen – für das mittelalterliche Publikum – nachvollziehbaren Grund: die Königstreue, die Aufrechterhaltung von dessen Ansehen.

Für ein heutiges Publikum ist das alles nicht mehr plausibel. In den Filmen werden deshalb zusätzliche Gründe angeführt: Habgier nach dem Schatz zum Beispiel oder persönliche Eifersucht. Damit werden die – wenn auch unlauteren – Beweggründe für den Mord transparent.

Skandale, zeitlos interessant

Was macht das Nibelungenlied bis heute so faszinierend?

Ein Grund sind sicher die vielen Skandale in der Handlung: der hinterhältige Mord an Siegfried, brutale Rache, die betrügerische „Zähmung” der unbezwingbaren Königin Brünhild zur „braven“ Ehefrau. Und am Ende sterben alle in einem fürchterlichen Massaker … Das Nibelungenlied traut sich, das Problematische problematisch zu lassen und, ohne eine Lösung zu bieten, bis ins Letzte auszureizen. Auch Film, Literatur und Theater haben die Nibelungensage in den letzten 20, 25 Jahren wiederentdeckt – und berücksichtigen heute, dass sie etwas sehr Kompliziertes erzählt.

Viele Aspekte, etwa um das Thema Treue, hinterlassen den modernen Leser, Hörer oder Zuschauer genauso ratlos wie wahrscheinlich die Rezipienten im Mittelalter. Es bleiben Fragen offen, Ambivalenzen, an denen auch wir Germanisten uns immer noch abarbeiten. Aber es sind gerade diese unbewältigten menschlichen und gesellschaftlichen Probleme, die das Nibelungenlied bis heute so interessant machen.

Das Nibelungenlied:

Das Nibelungenlied ist die berühmteste Heldensage der mittelhochdeutschen Literatur. Das Epos, in dem der als unverwundbar geltende Drachentöter Siegfried dennoch getötet wird, worauf Königin Kriemhild Rache schwört und es zum Untergang Burgunds kommt, vereint Inhalte mehrerer Mythen und Sagen. Es wurde um 1200 von einem unbekannten Dichter vielleicht am Hof des Passauer Bischofs aufgeschrieben und gilt als herausragendes Beispiel europäischer Heldenepik, vergleichbar mit der griechischen Troia-Sage.


Infos zur Ringvorlesung:

Die zwölfteilige Ringvorlesung „Nibelungen in Bewegung. Die Verfilmung der Heldensage im gesellschaftlichen Wandel“ findet vom 30. April bis 16. Juli in Hörsaal A 213, Geschwister-Scholl-Platz 1, statt, jeweils dienstags von 18 bis 20 Uhr.

(Ausnahmen: Der Vortrag zu „Sigfrido“ von Professorin Michaela Krützen findet am 14. Mai im Audimax der Hochschule für Fernsehen und Film, Bernd-Eichinger-Platz 1, statt. Der Film „Die Nibelungen“ von Fritz Lang wird am 26. Mai, 17 Uhr, im Filmmuseum München, St.-Jakobs-Platz 1, gezeigt. Der Eintrittspreis beträgt 9 Euro; eine Anmeldung ist nicht nötig.)

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