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Lehr- und Lernräume der Zukunft: Immersive Methoden im DaF-Unterricht

04.08.2025

Almut Ketzer-Nöltge erforscht, wie virtuelle Technologien den Deutschunterricht für internationale Lernende verbessern können.

WG-Castings sind mittlerweile Standard, vor allem in Städten wie München mit dem begrenzten Angebot an bezahlbarem studentischem Wohnraum. Ein solches Casting kann schon für Muttersprachler eine Herausforderung sein. Wie viel schwieriger aber wird es, wenn man aus dem Ausland kommt und die deutsche Sprache noch nicht gut beherrscht beziehungsweise gerade erst lernt?
Almut Ketzer-Nöltge, seit Herbst vergangenen Jahres Professorin für Deutsch als Fremdsprache, kurz DaF, an der LMU, versucht hier zeitgemäße Lösungen zu entwickeln.

Lächelnde Frau mit dunklen Haaren in hellblauem Kleid und weißem Blazer steht im sonnigen Park mit Bäumen im Hintergrund.

Virtuelle WG-Castings, 360°-Videos und passgenaue Lernmaterialien – Almut Ketzer-Nöltge erforscht, wie immersive Technologien den DaF-Unterricht internationaler gestalten und verbessern können.

© LMU/LC Productions

Sprache ist mehr als Wörter und Sätze

„Ich habe mit meinen Studierenden in Leipzig mittels immersiver 360-Grad-Videotechnologie ein WG-Casting simuliert. Die Methode hat einen ganz anderen Lerneffekt als herkömmliche Sprachlernmethoden, weil die Lernenden zum Beispiel sehen können, wenn sich Personen auf bestimmte Gegenstände im Raum beziehen oder wie sie miteinander agieren.“

Das sei wichtig, betont Ketzer-Nöltge, weil Sprache auch viel mit Eintauchen, Erleben und Interagieren in der konkreten Situation und Umgebung sowie mit Körpersprache zu tun habe.

Das Prinzip ist nicht kompliziert: Das Casting wird mit einer 360-Grad-Kamera aufgezeichnet und den Lernenden über ihr Smartphone verfügbar gemacht. Diese klemmen das Gerät zum Beispiel in ein günstiges Cardboard und können virtuell an einer bestimmten Sprachsituation teilnehmen. So haben die Lernenden das Gefühl, selbst direkt dabei zu sein. „Smartphones sind heute so leistungsfähig, dass es im Vergleich zu Virtual Reality (VR) auch ein relativ kostengünstiges Verfahren ist“, erklärt Ketzer-Nöltge.

Linguistische und psychologische Aspekte

Die sprachlich-linguistische und die kognitive Ebene von Sprache und Lernumgebungen interessieren Ketzer-Nöltge sehr. Nach ihrem DaF-Studium an der Universität Leipzig promovierte sie in Erfurt im Bereich Psychologie zu kognitiven Aspekten des Sprachenlernens. „Ich habe so eine ganz andere methodische Ausbildung durchlaufen, was bei meiner Forschung sehr hilfreich ist“, sagt sie.

Als Postdoc zurück am Herder-Institut der Universität Leipzig lag der Fokus ihrer Forschung vor allem auf der Mediendidaktik. „Das war insofern folgerichtig, als ich mich in der Psychologie auch mit Instruktionspsychologie beschäftigt und unter anderem zur Gestaltung von multimedialen Lernumgebungen gelehrt und geforscht habe.“ Dieses mediendidaktische Know-how brachte sie in ihr Fach Deutsch als Fremdsprache ein – etwa wie im Fall der digitalen Immersion oder immersiven Medien. „Sprachenlernen ist kontextgebunden. Dieser Kontext und entsprechend authentische Spracherfahrung lassen sich so am besten erzeugen.“

Grundlagenforschung: Was lenkt Lernende ab?

Der Einsatz von immersiven Medien ist vielversprechend für das Erlernen der Sprache. Allerdings gibt es einige Herausforderungen: „Man weiß relativ wenig darüber, wie sich die Aufmerksamkeit in solchen Settings verteilt. Es gibt zahlreiche visuelle Reize oder Dinge, die die kognitive Kapazität oder Ressource der Lernenden ablenken können“, erläutert Ketzer-Nöltge.

Hier sieht sie großen Bedarf an Grundlagenforschung – und ihren zweiten großen Forschungsschwerpunkt: „Wir planen derzeit ein Projekt, in dem wir eine Lernumgebung so aufbauen, dass wir die Elemente einzeln manipulieren und dadurch untersuchen können, was man jeweils sieht und hört – und wie das auf die Aufmerksamkeit oder die kognitive Verarbeitung wirkt. Ziel ist es, Lernumgebungen so zu gestalten, dass sie für das Fremdsprachenlernen wirklich zuträglich sind.“

Dies sei recht komplex, da unterschiedliche Ebenen zu berücksichtigen seien – etwa technische Aspekte wie die Art der Rezeption: Nutzt man eine VR-Brille, oder sitzt man vor dem Bildschirm und bewegt sich per Maus durch die virtuelle Umgebung? Was passiert, wenn Untertitel eingeblendet werden und man auch lesen kann oder sogar muss, was gesprochen wird? „Wir wissen im Fall der immersiven Medien noch nicht, welche Auswirkungen das aufs Lernen von Sprachen hat. Auch ist es nötig und zudem wichtig, einzubeziehen, wie die Herausforderungen bei Deutschlernenden in unterschiedlichen Ländern und Unterrichtskontexten sind.“

Almut Ketzer-Nöltge arbeitet zudem an der Weiterentwicklung der Plattform „Deutsch Uni Online“ (DUO), deren wissenschaftliche Leitung sie mit ihrem Wechsel an die LMU übernommen hat. Mithilfe von DUO können sich Deutschlernende weltweit auf ein Studium in Deutschland vorbereiten. „Wir hoffen hier auch bald immersive Medien einsetzen zu können, wie zum Beispiel eine 360°-Grad-Tour des LMU-Hauptcampus“, sagt sie.

Internationale Vernetzung

Aus diesen Gründen ist ihr die internationale Vernetzung ihres Forschungsbereichs sehr wichtig. „Als DaF sind wir hier ja geradezu prädestiniert“, sagt sie. „Wir bauen ein Netzwerk auf, um uns mit unterschiedlichen Standorten weltweit zu vernetzen, an denen Deutsch unterrichtet und Deutschlehrende ausgebildet werden“, erläutert Ketzer-Nöltge.

Ziel dabei ist die Entwicklung von Unterrichts- und Lehrmaterialien beziehungsweise die Anpassung solcher Materialien an die jeweils spezifischen Lernvoraussetzungen. Bisher sei es so, sagt die Sprachwissenschaftlerin, dass Verlage Lehrmedien entwickeln, die möglichst weltweit einsetzbar sind. Almut Ketzer-Nöltge findet das nicht ausreichend: „Die Lernsettings unterscheiden sich in den verschiedenen Ländern zu stark voneinander, um nur solche allgemeingültigen Medien zu verwenden.“ Daher sei es wichtig, zusätzlich passgenaue Materialien für den jeweiligen Kontext zu erstellen, um den spezifischen Anforderungen gerecht zu werden.

Auch das Thema „Service Learning“ spielt hierbei eine wichtige Rolle: „Dabei geht es darum, zu schauen, wo es einen besonderen Bedarf gibt und wie man unter anderem durch Seminare Hilfe leisten kann – zum Beispiel bei einem Sprachkurs in Vietnam mit Berufsbezug. Dabei sollen Studierende Lehr- und Lernmaterialen für zielgruppenspezifische Kontexte entwickeln, die dann auch in der Praxis verwendet werden können. So findet neben dem Erwerb theoretischer Grundlagen auch ein Transfer in die Praxis statt.

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