Lernen mit ADHS: „Ihr seid nicht alleine”
21.10.2025
Ein Workshop für Studierende zeigt die Stärken von Personen mit ADHS auf und gibt Tipps für Prüfungen und Studium.
21.10.2025
Ein Workshop für Studierende zeigt die Stärken von Personen mit ADHS auf und gibt Tipps für Prüfungen und Studium.
© IMAGO / YAY Images
Mit dreißig Jahren bekam Ayda Grossmann die Diagnose AD(H)S, da studierte sie gerade Lehramt an der LMU. Mittlerweile hält sie Workshops zu dem Thema. Im Interview spricht die ehemalige LMU-Studentin über ihre eigenen Erfahrungen, gibt Tipps und erklärt, wieso AD(H)S auch Vorteile haben kann.
Jahrzehntelang dachte Ayda Grossmann, sie sei faul, würde sich nicht genug anstrengen, dann bekam sie inmitten ihres Lehramtstudiums endlich eine Diagnose: ADS, eine Unterform von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung). Grossmann gründete daraufhin die erste AD(H)S-Peergroup der LMU. Bis heute treffen sich dort Studierende und tauschen sich aus. Dieses Wintersemester kommt Grossmann zurück an die LMU und hält eine Workshop-Reihe zum Thema Studieren mit ADHS: von Prüfungen über Last-Minute-Lernen bis zu Hausarbeiten.
Frau Grossmann, Sie selbst haben ADS, eine Unterform von ADHS, bei der die Unaufmerksamkeit im Vordergrund steht. Wie hat das Ihr Leben als Studentin damals beeinflusst?
Ayda Grossmann: Wenn man eher der hyperaktive Typ ist, hat man zum Beispiel ein Problem damit, fokussiert zu sein, man arbeitet an vielen Dingen gleichzeitig und bringt nichts zu Ende. Mir ist es hingegen unglaublich schwergefallen, in die Gänge zu kommen.
Ein Extrembeispiel von damals: Ich sitze an meinem Schreibtisch, meine Skripte und ein Glas Wasser vor mir, das Handy ist weggelegt, damit es nicht stört, der Laptop ist an – ideale Voraussetzungen also. Alles, was ich jetzt noch tun müsste, ist anfangen. Aber mein Hirn sagt: Nö. Ich sitze also da und es passiert: nichts. Eigentlich liebe ich es, zu lernen. Ich will anfangen, ich habe Lust anzufangen, aber mein Hirn gehorcht mir nicht. Also sitze ich da, wie eingefroren, und warte, bis mein Hirn aus der Starre erwacht. Manchmal klappte das durch externe Geräusche, durch einen Wecker oder lautes Autohupen. Ich saß aber auch schon mal eine Stunde lang einfach nur da und hatte großen innerlichen Druck, weil dieser Zustand ein massiver Kampf und eine starke Erfahrung von Fremdbestimmung ist.
Jahrzehntelang dachte ich, ich sei einfach faul und würde mich nicht genug anstrengen. Mit der Diagnose fiel so viel Schwere von mir ab. Es war nicht meine Schuld. Das war eine enorme Erleichterung.
Jetzt sind Sie zurück an der LMU und halten dieses Wintersemester eine Veranstaltungsreihe zum Thema Studieren mit AD(H)S. Gab es während Ihres Studiums Momente, in denen Sie sich solche Workshops gewünscht hätten?
Absolut. Es gab damals einfach nichts. Ich war gerade 30 und hatte das Gefühl, ich muss noch mal komplett neu starten. Ja, ich hatte tolle Medikamente, die gewirkt und mir geholfen haben, aber keine Ahnung, wie ich meine Emotionen regulieren sollte oder wie ich damit umgehe, dass ich jetzt tatsächlich konzentriert arbeiten kann. In den USA ist die Forschung schon sehr viel weiter, also las ich viele amerikanische Bücher und Fachartikel, lernte Strategien und sammelte mir so mein Wissen zusammen. Das will ich jetzt weitergeben.
Es gibt nicht die eine Lernmethode für alle, AD(H)S ist sehr individuell.Ayda Grossmann
Die Workshops heißen „Lernen mit ADHS I & II“ und „Hausarbeiten schreiben mit ADHS“. Im zweiten Workshop geht es speziell um das „Last-Minute-Lernen” vor Prüfungen. Gibt es dabei einen häufigen Fehler, den Studierende mit AD(H)S machen?
Es kommt darauf an, was für ein ADHS-Typ man ist. Manche Menschen können in den letzten zwei Wochen unglaublich gut lernen, das ist deren Sweet Spot. Dann gibt es AD(H)S-ler wie mich, die in den letzten zwei Wochen in totale Panik verfallen und eine Art Lernanfall bekommen, also wie ein Fressanfall, nur mit Lernmaterialien: Alles wird sich panisch und chaotisch hineingestopft. Dann fühlt man sich zwar gut vorbereitet, merkt aber in der Prüfung, dass dem gar nicht so ist. Auf der anderen Seite hat mir der Zeitdruck beim Schreiben von Hausarbeiten oder beim Auswendiglernen vor Multiple-Choice-Klausuren sehr geholfen. Es gibt also nicht die eine Lernmethode für alle, AD(H)S ist sehr individuell.
Geht es in den Workshops also auch viel darum, sich und sein Hirn besser kennenzulernen?
Auf jeden Fall. Ich werde keine Liste mit Methoden aushändigen und mich dann verabschieden. Solche Listen findet man in jedem Selbsthilfebuch und bei jeder Google-Suche. Damit alleine ist niemandem geholfen. Ich werde viel mit Ressourcenorientierung arbeiten. Jeder Mensch mit AD(H)S hatte schon mal eine Lernerfahrung, bei der er oder sie sich dachte: Das hat gut geklappt. Und da will ich einhaken. Was genau hat gut geklappt? Wie warst du drauf? Wie hast du geschlafen? Was hast du gegessen? Wie sah dein Arbeitsplatz aus?
Es geht darum, ein Gefühl dafür zu bekommen, was klappt, aber auch zu lernen, dass mal etwas nicht klappen darf – ohne dass danach die Welt untergeht. Ich darf Pause machen und eine andere Methode ausprobieren, größere Karteikarten nehmen, die Farbe verändern. Wir Menschen mit AD(H)S haben sehr früh eins auf die Finger bekommen, weil wir erst mal ausprobieren, weil wir nicht den direkten Weg gehen. Diese Erfahrung will ich wieder rückgängig machen. Wir brauchen einen großen Teil unserer mentalen Kraft auf, weil wir gegen unser eigenes Hirn kämpfen – das muss nicht sein.
Ayda Grossmann | © privat
Und dieses Gehirn funktioniert ja nicht schlechter, sondern einfach anders. Deswegen die Frage: Gibt es auch Vorteile, die Studierende mit AD(H)S für sich nutzen können?
Definitiv. Es gibt viele Stärken, meistens ist eine besonders ausgeprägt. Bei mir ist es die adaptive Problemlösekompetenz. Ich bin sehr gut im Probleme lösen. Nicht alle Menschen wollen auf ihre Probleme aufmerksam gemacht werden, das musste ich erst in den Griff bekommen. Aber mittlerweile weiß ich, dass es eine riesengroße Stärke ist. Es gibt auch AD(H)Sler, die unglaublich empathisch sind, oder solche, die eine große Auffassungsgabe haben, sehr schnell begreifen, wie Dinge funktionieren. Egal ob Kalligrafie, Nähen oder Klettern, die meistern das dann sehr schnell. Ich finde das toll, weil man alles ausprobieren kann, ohne jahrelang zu lernen, bewundernswert! Da kann man wirklich sagen: Der Himmel ist deine Grenze.
Schauen wir vom Himmel in die Zukunft: Die Workshops sind vorbei – was hoffen Sie, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gelernt haben?
Ich hoffe, dass die Studierenden mehr Hoffnung und ein größeres Selbstbewusstsein in sich tragen. Sie sollen mit der Gewissheit hinausgehen, dass sie nicht kaputt oder zu faul oder zu blöd sind, sondern dass es Methoden und Denkweisen gibt, die ihnen helfen können. Denn eins ist ganz klar: Sie sind mit ihren Problemen nicht alleine.
Lernen mit ADHS I – „Den Überblick behalten“ (27.10. um 16-18 Uhr s.t., Ludwigstr. 27):
Dieser Workshop behandelt die Fragen, wie das Gehirn lernt und wie eine entsprechende Lernsituation aussehen sollte. Es werden Lernmethoden vermittelt mit dem Ziel, nicht den Überblick zu verlieren.
Lernen mit ADHS II – „Die Prüfung steht vor der Tür“ (19.01. um 16-18 Uhr s.t., Ludwigstr. 27):
Der zweite Teil baut auf Teil I auf, allerdings mit einem klareren Bezug auf die akute Prüfungsphase. Der Fokus liegt hierbei auf Lernmethoden speziell für das Last Minute Lernen und den Umgang mit der Prüfungssituation selbst.
Hausarbeiten schreiben mit ADHS (am 11.02. um 12-14 Uhr s.t., Ludwigstr. 27):
Hier wird ein Fahrplan für Hausarbeiten vorgestellt. Dieser umfasst alles von Themafindung, Recherchearbeit und dem Schreiben mit einer Checkliste.
Die Anmeldung erfolgt per Mail an: Behindertenberatung@Verwaltung.Uni-Muenchen.DE