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Licht in der Welt

07.08.2017

Das Christentum prägt Kultur und Gesellschaft von Beginn an. Es ist auch die Geschichte einer Verzauberung, sagt der evangelische Theologe Jörg Lauster. Zwei Jahrtausende im Zeitraffer

Eine „Verzauberung der Welt“? Setzen Sie da einen klaren Kontrapunkt zu Max Weber? Lauster: Ja, ich habe das tatsächlich als Gegenbegriff zu seinem Konzept gedacht. Weber hat schon vor fast hundert Jahren mit seiner These von der „Entzauberung der Welt“ als Grundsignatur der Moderne sicher viel Richtiges gesehen. Wenn wir Menschen des 19. Jahrhunderts in ihren Lebensgewohnheiten und vor allem ihrem Lebensgefühl mit denen im Mittelalter vergleichen, lassen sich da in der Tat große Unterschiede in der Welt- und Selbstauffassung feststellen. Aber die These des großen Soziologen Weber ist zu einseitig. Wir können die Moderne nicht einfach nur als eine Verabschiedung von Religion und Transzendenz begreifen. Gerade am 19. Jahrhundert lässt sich zeigen, dass Religion sich transformiert, in der Kunst wirksam wird, in der Musik, auch in der Literatur. Die Religion sucht sich neue Kanäle. Deswegen nutze ich den Begriff „Verzauberung“.

Die Idee des Christentums hat im Kern seit 2000 Jahren Bestand. Allein das ist schon eine singuläre kulturelle Anpassungsleistung. Was macht diese Idee so flexibel und gleichzeitig so stabil? Lauster: Flexibel ist sie aus einer inneren Not heraus, denn sie versucht etwas darzustellen, das größer ist als der Mensch selbst und all seine Ausdrucksformen. Das Christentum basiert in seiner Kernbotschaft auf der Aussage, dass Gott in dieser Welt gegenwärtig ist in unglaublich vielen Spuren, in Zeichen, zentral natürlich in der Person Jesu Christi. Das ist etwas, was Menschen mit ihrer Sprache, ihren Möglichkeiten niemals vollständig zum Ausdruck bringen können. Deswegen braucht man dafür immer neue Formen, das macht die Flexibilität aus. Die Stabilität kommt daher, dass der Bezugspunkt größer ist als das, was Menschen daraus machen können.

Die Anfänge des Christentums liegen im Schatten der Weltgeschichte, Galiläa war ein entlegener Winkel des Römischen Reiches. Wie schaffte es die Religion ins Rampenlicht? Wie konnte die anfängliche Sekte die Kultur Roms über Jahrhunderte prägen? Lauster: Es gibt da ein sehr schönes Buch des französischen Historikers Paul Veyne. Danach hat das Christentum offensichtlich drei Dinge geschafft. Es hat ein ungeheures Potenzial an Sinnstiftung gezeigt und strahlt eine große intellektuelle Leistungskraft aus. Es hat für die Menschen der Antike überzeugende Antworten auf Fragen geliefert hat, die auch die römischen Religionen und die Philosophen hatten, nach der Herkunft des Menschen etwa und nach dem Sinn unseres Lebens. Das Christentum hat zudem eine starke soziale Attraktion ausgeübt. Es hat Klassenunterschiede eingeebnet, es hat ein soziales Netz geknüpft, Christen haben sich um Bedürftige gekümmert. Das Römische Reich kannte so etwas wie ein Fürsorgeprinzip überhaupt nicht. Und das Christentum hat so etwas wie emotionale Wärme in die Religion gebracht. Man konnte beispielsweise zu den Heiligen oder zu Gott selbst beten wie zu einem Gegenüber, sich an ihn wenden. Das ist etwas anderes, als einem antiken Gott einfach nur ein Opfer zu bringen.

Das Römische Reich mit Rom als Zentrum geht in Völkerwanderung und Germanisierung unter, das Christentum nicht. Womit erweist es sich wieder mal als anschlussfähig? Lauster: Die Germanen, Ostgoten und Westgoten haben 200 Jahre nach ihrer Missionierung ein außerordentliches Interesse am Christentum entwickelt, an Theologie, an christlicher Kunst und sehen sich darin sogar als die legitimen Nachfolger Roms, ja sie halten sich sogar für die besseren Gläubigen. Schon die wenigen noch in Ravenna erhaltenen Bauten aus ostgotischer Zeit zeigen, dass Theoderich den Anspruch hat, das Christentum noch besser zu leben, als es die Römer getan haben. Das zeugt von dieser hohen inneren Attraktion. Sie bringt die Germanen dazu, das Christentum zu übernehmen und es kulturell umzusetzen.

Dabei gilt vielen gerade das Frühmittelalter noch als Dark Ages. Sie sprechen indes von „blühender Finsternis“. Was überstrahlt da das Düstere? Lauster: Im Frühmittelalter werden Kulturformen des Christentums ausgebildet, von denen wir heute noch essenziell profitieren. Da ist vor allem das Kloster, ihm haben wir unschätzbar viel an europäischer Bildung zu verdanken, die Weitergabe antiker Texte und insgesamt eine hohe Buch- und Schriftkultur. Das Kloster, darin sind sich auch Protestanten einig, hat so etwas wie eine disziplinierte europäische Lebensführung überhaupt erst geschaffen. Das alles wird mit dem Aufkommen des Benediktinerordens im sogenannten Frühmittelalter grundgelegt – einer Zeit, in der doch mehr Licht ist, als wir gemeinhin annehmen.

Dabei geht die Christianisierung Europas nicht ohne Gewalt ab. Bilden Gewalt und Glaube so gesehen eine Einheit? Lauster: Das ist eine diffizile Frage. Das Christentum ist nicht erst heute, sondern von seinen Ursprüngen her eigentlich eine Friedensreligion. In der jesuanischen Verkündigung spielt der Aufruf zum Frieden eine eminent wichtige Rolle. Tatsächlich aber hat das Christentum Funktionen kultureller Zivilisierung übernommen und war damit immer auch ein Instrument von Herrschenden. Karl der Große etwa hat das Christentum zweifelsohne eingesetzt, um sein Herrschaftsgebiet zu erweitern. Die Binnenmissionierung, der Krieg Karls gegen die Sachsen, ist eine der ersten große Wellen der Gewalt im Christentum. Die zweite sind die Kreuzzüge – der Versuch, die christlichen Stätten zurückzugewinnen und das Christentum gegen andere Weltreligionen durchzusetzen.

Unterscheiden sich die Kreuzzüge von blanker Eroberungspolitik? Zeigt sich darin nicht doch ein bellizistischer Kern des Christentums? Lauster: Nein, ich sehe die Kreuzzüge als Entgleisungen, als Wesensverfälschungen des Christentums, nicht als Phänomene, die sich aus einer inneren Notwendigkeit des Glaubens erklären. Natürlich ist Religion ein potentes Mittel, Menschen zu instrumentalisieren. Die Kreuzzüge sind nicht nur Eroberungskriege, sondern regelrechte Volksbewegungen. Die Menschen sind gerne und freiwillig ins Heilige Land gezogen, weil sie sich himmlischen Lohn davon versprochen haben, weil sie der Sache Christi etwas Gutes tun wollten. Mit Gewalt und Eroberung, das Christentum durchzusetzen, darin liegt aus unserer Sicht heute die Entgleisung.

Getötet wird weiter im Namen Christi, Gläubige verfolgen Abweichler, Ketzer, später wütet die Inquisition. Lauster: Die großen innerchristlichen Verfolgungswellen – sicher dienen sie als soziales Ventil, aber natürlich auch zur Sicherung kirchlicher Machtansprüche. Ketzerverfolgung ist eine Form religionskultureller Autoaggression, die bezeichnenderweise dann einsetzt, als sich der nach außen gerichtete Missionsdrang durch die Christianisierung weiter Teile Europas abschwächt. Hinter der Inquisition steht ein uns heute fremdes, damals aber durchaus als rational, ja als fortschrittlich angesehenes Anliegen: Man führt überhaupt erst ein Verhör, eine Befragung ein, um die Wahrheit herauszufinden. Anders gewendet: Niemand soll schuldlos nur aufgrund von Vorwürfen oder Gerüchten verurteilt werden. Die Inquisition hat aber diese an sich rationale und gute Idee einer Befragung durch Gewaltanwendung ins Böse pervertiert. Es ist, wenn man so will, eine Form grausamer Vernunft.

Es bleibt eine paradoxe Gleichzeitigkeit: Während die ersten Scheiterhaufen brennen, leuchtet die Kultur: Es werden Universitäten aus dem Geist des Christentums gegründet, es entstehen grandiose Kirchenbauten. Gibt es beispielsweise so etwas wie eine Theologie der Kathedrale? Lauster: Die Frage ist in der Forschung sehr umstritten. Sicher haben die Baumeister von gotischen Kathedralen kein theologisches Handbuch gehabt, das sie dann in Stein gemeißelt hätten. Aber es sind Ideen, die sie beschäftigten und für die sie eine bauliche Entsprechung suchen. Die Idee des göttlichen Lichts, das in der Welt scheint und wirkt – deswegen der sich verjüngende Aufbau der Kathedralen, diesem Licht entgegen. Das setzt natürlich technologische Revolutionen voraus: Die gotische Kathedrale mit ihren Kreuzrippen und Spitzbögen ist aus der romanischen Kirche entstanden, weil es Baumeistern gelungen ist, die schweren Steinmassen statisch abzufangen. Eine Rolle spielen auch die Formen der Volksfrömmigkeit, des Sich-in-der-Welt-Befindens. Romanische Kirchen stehen für das Wehrhafte, die Kirche ist einer Burg mit Wehrtürmen sehr ähnlich, sie ist der letzte Schutzraum, den der Mensch in einer an sich bösen, zumindest chaotischen Welt finden kann. Die gotische Kathedrale zeugt schon von einer anderen Zivilisationsstufe. Die unmittelbare Bedrohung der Menschen ist geringer, Gott erscheint dem Menschen zugewandt, man baut eher auf das Licht hin, das göttliche Licht, das in der Welt scheint. So kann man an diesen Kirchen – und dafür ist der Übergang von der Romanik zur Gotik ein schönes Beispiel – zivilisatorische Veränderungen und zugleich unterschiedliche theologische Programme ablesen.

Seite 2: Giotto führt die Emotion und den menschlichen Blick in die Malerei ein

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