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Mega-Beben erstmals detailliert simuliert

14.11.2017

Münchner Wissenschaftler haben auf dem Höchstleistungsrechner SuperMUC das Sumatra-Erdbeben, das den verheerenden Tsunami an Weihnachten 2004 auslöste, erstmals detailliert simuliert und neue Einblicke in dessen Abläufe gewonnen.

Das Sumatra-Andamanen-Erdbeben an Weihnachten 2004 war eines der stärksten und zerstörerischsten Erdbeben der Geschichte. Es löste einen verheerenden Tsunamis im Indischen Ozean aus, bei dem mindestens 230.000 Menschen starben. Der genaue Ablauf des Bebens wirft immer noch viele Fragen auf. Mehr Einblicke in die geophysikalischen Abläufe verspricht nun eine Bruchmechanik-Simulation, die ein Team aus Geophysikern, Informatikern und Mathematikern der Technischen Universität München (TUM) und der LMU auf dem Höchstleistungsrechner SuperMUC des Leibniz-Rechenzentrums (LRZ) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt hat. Die Arbeit wird jetzt auf der International Conference for High Performance Computing, Networking, Storage and Analysis (SC17) in Denver, USA, präsentiert.

Genaue Vorhersage praktisch unmöglich

Wenn Erdplatten an den Nahtstellen der Erdkruste aufeinander treffen und untereinander abtauchen, entstehen in diesen sogenannten Subduktionszonen in regelmäßigen Abständen starke Erdbeben. Allerdings ist nicht bekannt, unter welchen Bedingungen solch ein „Subduktionsbeben“ einen Tsunami welcher Größe auslöst – eine genaue Vorhersage ist praktisch nicht möglich.

Erdbeben sind hochkomplizierte physikalische Vorgänge. Während sich die mechanischen Prozesse des aufreißenden Gesteins auf einer Skala von einigen Metern abspielen, hebt und senkt sich die gesamte Erdoberfläche über hunderte Kilometer. Während des Sumatra Erdbebens erstreckte sich der Erdbebenherd über mehr als 1500 Kilometer (etwa die Distanz München–Helsinki oder Los Angeles–Seattle), die größte Bruchlänge, die jemals beobachtet wurde. Der Meeresboden wurde durch das Beben innerhalb von zehn Minuten um bis zu zehn Meter angehoben.

Simulation mit über 100 Milliarden Freiheitsgraden

Um das gesamte Erdbeben zu simulieren, zerlegten die Wissenschaftler das Gebiet, das sich von Indien bis nach Thailand erstreckt, in ein dreidimensionales Gitter mit über 200 Millionen Zellen und mehr als 100 Milliarden Freiheitsgraden.

Die Größe der einzelnen Zellen variierte dabei, je nachdem, welche Auflösung benötigt wurde: An der Erbebenquelle waren die Zellen sehr klein, um die komplizierten Reibungsprozesse aufzulösen, ebenso nahe der Oberfläche, wo es topographische Besonderheiten und relativ langsame seismische Wellen gibt. In Bereichen mit wenig Komplexität und schnellen Wellen wurden die Zellen entsprechend größer gewählt.

Zur Berechnung der Ausbreitung der seismischen Wellen mussten auf den kleinsten Zellen mehr als drei Millionen Zeitschritte berechnet werden. Als Datenquelle nutzte das Team alle verfügbaren Informationen über die geologische Struktur der Subduktionszone und über die Beschaffenheit des Ozeanbodenssowie Laborexperimente zum Gesteinsbruchverhalten.

Zusätzlich zur Plattengrenze berücksichtigten die Wissenschaftlerdrei verzweigte Verwerfungen, sogenannte „SplayFaults“, die in Verdacht stehen, einen besonders starken Einfluss auf die Tsunami-verursachende Verformung des Ozeanbodens zu haben.

Fast 50 Trillionen Rechenoperationen

„Um die Simulation auf SuperMUC überhaupt und in vertretbarer Zeit durchführen zu können, waren letztlich fünfJahre Vorarbeit zur Optimierung unserer Erdbeben-Simulations-Software SeisSol nötig – noch vor zwei Jahren hätten wir die 15-fache Rechenzeit für diese Simulation benötigt“, erläutert Informatik-Professor Michael Bader von der TUM.

Alle algorithmischen Komponenten, von der Ein- und Ausgabe der Daten über die numerischen Algorithmen zur Lösung der physikalischen Gleichungen bis hin zur parallelen Implementierung auf tausenden von Multicore-Prozessoren, mussten für den SuperMUC optimiert werden.

Trotzdem rechnete die Sumatra-Simulation fast 14 Stunden auf allen 86.016 Rechenkernen des SuperMUC, und führte dabei fast 50 Trillionen Rechenoperationen (beinahe 10^15 Operationen pro Sekunde, oder ca. 1 Petaflop/s, ein Drittel der theoretischen Spitzenrechenleistung) aus.

Größte und längste Erdbebensimulation

„Uns ist die größte und mit etwa acht Minuten Dauer längste Erdbebensimulation dieser Art gelungen sowie das erste physikalische Szenario eines realen Subduktions-Bruchprozesses überhaupt“, sagt die LMU-Geophysikerin Dr. Alice-Agnes Gabriel. „Durch das gleichzeitige Berechnen des komplizierten Brechens mehrerer Verwerfungssegmente und der Ausbreitung seismischer Wellen im Untergrund konnten wir spannende Einsichten in die geophysikalischen Abläufe des Bebens gewinnen.“

„Insbesondere die verzweigten ,splayfault', die man sich als Pop-up Brüche neben dem bekannten Subduktions-Graben vorstellen kann, führen zu langgezogenen, ruckartigen Erhebungen des Meeresbodens und damit zu einem erhöhtem Tsunami-Risiko“, erläutert die Geophysikerin weiter. „Dass wir solch realistische Geometrien in physikalische Erdbeben-Modelle einbeziehen können, ist momentan weltweit einzigartig”.

Gefördert wurde das Projekt von der Volkswagen Stiftung (Projekt ASCETE), von Intel (im Rahmen eines Intel Parallel Computing Center) sowie durch das Leibniz Rechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.(TUM/LMU)

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