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Motivation: Wie Menschen lernen

15.07.2025

Psychologe Martin Daumiller, neuberufen, forscht darüber, wie Motivation Lehren und Lernen beeinflusst. Oft muss er Mythen widerlegen.

Prof. Dr. Martin Daumiller

Prof. Dr. Martin Daumiller

weiß, dass Motiviation komplex ist: „Es gibt nicht das eine Kochrezept, das alle motiviert“. | © LMU

Martin Daumillers Forschungsthema macht ihn zu einem gefragten Gesprächspartner, wo immer er hinkommt. Der Psychologe forscht über ein Thema, das alle angeht: Motivation. „Ohne würden wir gar nichts machen“, sagt er lapidar.

Martin Daumiller, seit Oktober 2024 Professor für pädagogische Psychologie an der LMU, muss oft Vorstellungen widerlegen, die mitunter auf jahrzehntealten Ideen fußen. Etwa, dass es Lerntypen gäbe. Gibt es nicht. Im Gegenteil: Wer glaubt, nur auf eine bestimmte Art gut lernen zu können – sei es visuell, haptisch oder auditiv –, bringt sich selbst um gute Lerngelegenheiten. Entscheidend sei nicht die Sinneswahrnehmung, sondern eine passende Lernstrategie und das Vorwissen, so Daumiller.

Auch dass es vor allem darauf ankomme, intrinsisch motiviert zu sein, stimme nicht. Das sei viel zu kurz gedacht, meint Daumiller. „Intrinsisch motiviert zu sein heißt: Ich tue etwas um der Tätigkeit willen – weil das Lernen selbst mir Freude bereitet. Doch gerade im schulischen Alltag ist das selten der Fall. Vokabeln pauken aus purer Lust an der Sache? Das gibt’s nur selten.“ Aus Sicht der Wissenschaft gebe es vielmehr ein Spektrum an Selbstbestimmtheit. Wer selbstbestimmt lerne, etwa weil man das Thema interessant finde oder das Wissen nützlich für die spätere Berufswahl sei, gehe das Lernpensum motivierter an.

Das zeigt auch gleich, dass von der ebenfalls häufig geäußerten Behauptung, es brauche Druck zum Lernen, wenig zu halten ist. Denn Personen, die autonom entscheiden können, womit sie sich beschäftigen, zeigen oft mehr Einsatz. „Das hängt aber auch von den Voraussetzungen ab und ob die Personen mit der gegebenen Autonomie zurechtkommen oder etwa noch weitere Anleitung benötigen“, schränkt Daumiller ein.

„Sprungbrett für die Promotion“

Einfache Antworten gibt es beim Thema Motivation nicht, das wird im Gespräch mit Martin Daumiller schnell klar. Er selbst jedenfalls hat seine Motivation im Studium aus seinem inhaltlichen Interesse gezogen und sich davon leiten lassen.

„Lernen und wie es funktioniert, hat mich schon immer fasziniert“, sagt Martin Daumiller. Das liegt auch an seinem Hobby – Karate –, mit dem er schon als Kind selbst begonnen und bald Jüngere trainiert hat. „Beim Karatetraining habe ich angefangen, mich damit auseinanderzusetzen, wie Menschen lernen und was ich als Trainer dazu beitragen kann. Dazu brauchte ich notwendigerweise auch die Wissenschaft. Ich wollte wissen: Was steckt dahinter? Wie funktioniert Lernen überhaupt? Und wie ist es möglich, darüber verlässliche Aussagen zu treffen?“

Noch an der Schule verglich er in seiner Seminararbeit in der Kollegstufe eine bayerische und eine englische Volksschule. „Da ging es schon los mit der Bildungsforschung“, meint Daumiller, der zuerst ein Lehramtsstudium aufnahm. Spannend fand er dann vor allem die Psychologieveranstaltungen. Parallel hat er einen Bachelor in Mathematik und einen Bachelor of Education abgeschlossen. Der anschließende Master of Education war dann das „Sprungbrett für die Promotion“.

Bereits ab dem zweiten Semester war er als Tutor früh eingebunden in die Lehre. „Das hat mir enorm viel Spaß gemacht. Ich konnte das inhaltliche Interesse und die Leidenschaft am Unterrichten kombinieren.“ Nach dem ersten Staatsexamen fürs Lehramt entschied sich Daumiller zu promovieren, gefördert durch ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes, mit einer Arbeit über Motivation von Lehrenden an Hochschulen.

Ab da ging die akademische Laufbahn los. Daumiller blieb an der Universität Augsburg, zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann als Akademischer Rat und Oberrat. Forschungsaufenthalte führten ihn unter anderem in die USA und nach Südkorea. 2024 übernahm er eine Gastprofessur zu Lehr-Lernpsychologie in der Schule an der Universität Wien, bevor er im Herbst desselben Jahres den Ruf an die LMU annahm. „Im Fach Psychologie ist die LMU exzellent. Für mich ist es immer schon ein Traum gewesen, an die LMU zu kommen. Umso schöner, dass es geklappt hat.“

Austausch mit der Praxis

Das erste Semester als Professor an der LMU sei „toll“ gewesen und habe viel Spaß gemacht. Die Studierenden seien sehr wissbegierig. In der Lehre profitiert Martin Daumiller von seiner Lehramtsausbildung. „Ich bin mit einem Bein in der Schule. Das merken die Studierenden.“ Auch bei ihm zuhause drehen sich viele Gespräche darüber, da seine Frau Lehrerin ist.

An der LMU zeigt sich ebenfalls, wie fruchtbar eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis sein kann. Ein vom Department Psychologie erstmals durchgeführter Praxistag mit schulpsychologischen Fachkräften stieß auf große Resonanz. Martin Daumiller integriert zudem den regelmäßigen Austausch mit einer erfahrenen Schulpsychologin in seine Lehre – und freut sich, wie so ein Format „nicht nur die Studierenden inspiriert, sondern auch den fachlichen Dialog mit der Praxis lebendig hält“.

Daumiller selbst gibt viele Fortbildungen für Lehrkräfte und kennt die tägliche Herausforderung, motiviert zu sein und zu motivieren. „Tritt man als Lehrender in einen Raum und blickt in offene, erwartungsvolle Gesichter, geschieht etwas mit einem – ganz anders, als wenn die Motivation im Raum von vornherein gering ist.“ Leider sei zudem der Transfer wissenschaftlicher Kenntnisse in den Schulalltag nicht so einfach. Das liegt zum einen am Forschungsgegenstand selbst. Motivation sei komplex. „Es gibt nicht das eine Kochrezept, das alle motiviert.“

Zudem ist es für Lehrkräfte nicht leicht, auf dem aktuellen Wissensstand zu bleiben.„Unsere Absolventinnen und Absolventen kommen top ausgebildet an die Schulen. Aber dann passiert häufig zu wenig“, sagt Daumiller. Eine Möglichkeit sieht er neben einer stärkeren Verzahnung von Schule und Universität darin, wissenschaftliche Evidenz verständlicher zu kommunizieren, damit Lehrkräfte leichter dabeibleiben können.

Motivation in der Schule

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In seinen ersten wissenschaftlichen Arbeiten hat sich Martin Daumiller mit dem Lernen mit digitalen Medien beschäftigt. Aktuell untersucht er in einem Kooperationsprojekt mit der Universität Augsburg (Professor Markus Dresel) und der TU München (Professorin Tina Seidel), wie sich die Motivation der Lehrenden auf die Schülerinnen und Schüler auswirkt. Dabei werden auch neue Technologien eingesetzt, die zum Beispiel Augenbewegungen erfassen. „Wir untersuchen mittels Eye-Tracking, was Lehrkräfte anders machen, je nachdem wie motiviert sie sind und welche Ziele sie haben.“

Erste Ergebnisse zeigen, dass Lehrkräfte abhängig von ihrem jeweiligen Ziel, zum Beispiel schwächere Schülerinnen besonders zu fördern oder für mehr Ruhe zu sorgen, unterschiedlich in die Klasse blicken und ihren Fokus auf bestimmte Personen legen. „Das zeigt, wie Motivation als Filter funktioniert und bereits meine Wahrnehmung beeinflusst, aber auch wie ich sie interpretiere.“

Bereits in der Grundschule müssen Lehrkräfte abnehmender Motivation entgegenwirken. „Kinder starten oft mit großer Neugier und Freude an der Schule – doch diese Anfangsmotivation nimmt bei vielen rasch ab“, sagt Daumiller. „Zu Beginn überschätzen sich viele Kinder noch, sie glauben, sie könnten alles. Erst mit der Zeit lernen sie, ihre Fähigkeiten realistischer einzuschätzen. Darüber bildet sich dann erst ein Tüchtigkeitsmaßstab der eigenen Anstrengung aus“, erklärt Daumiller. Dass die Motivation dabei nicht zwangsläufig sinken muss, macht er ebenfalls deutlich: „Ob Motivation erhalten bleibt, hängt wesentlich davon ab, wie Lehrkräfte ihren Unterricht gestalten.“

Forschung: Motivation und Autonomie

Daumillers Forschung deckt ein breites Spektrum an Fragestellungen rund um Motivation in Bildungs- und Wissenschaftskontexten ab – von schulischen Lernprozessen über digitale Medien bis hin zu wissenschaftlicher Praxis. Besonders interessiert ihn dabei, wie individuelle Antriebskräfte mit institutionellen Strukturen und kulturellen Kontexten zusammenspielen.

In seiner Forschung zu akademischem Betrugsverhalten zeigt sich dieses Zusammenspiel aus Motivation und Kontext deutlich. „Wenn es einer Person zum Beispiel darum geht, sehr gute Leistungen zu erzielen, führt das nicht automatisch zu Täuschung. Kritisch wird es erst, wenn die Person zugleich annimmt, dass andere ohnehin betrügen – erst dann steigt die Wahrscheinlichkeit für eigenes Fehlverhalten deutlich.“ Einen ähnlichen Effekt kann es haben, wenn nur das Ergebnis bewertet wird und nicht der Weg dahin. „Die Wirkung ein und derselben Motivation hängt stark vom Umfeld ab – und genau dort können wir in der Praxis ansetzen.“

Neben Fragen der wissenschaftlichen Integrität beschäftigt sich Daumiller auch intensiv mit den motivationalen Bedingungen wissenschaftlichen Arbeitens. In einer aktuellen internationalen Studie zur Wissenschaftsfreiheit zeigte sein Team, dass nicht nur strukturelle Garantien, sondern vor allem subjektive Wahrnehmungen von Freiheit entscheidend für Motivation und Wohlbefinden von Forschenden sind. „Wenn Wissenschaftler das Gefühl haben, nicht frei zu sein – ob durch bürokratische Hürden, politisierte Förderlogiken oder echte Zensur –, wirkt sich das auch negativ auf ihre Motivation und ihre psychische Gesundheit aus“, erklärt Daumiller.

KI eröffnet neue Möglichkeiten

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Künstliche Intelligenz eröffnet in Daumillers Forschungsfeld viele Möglichkeiten, wissenschaftliche Erkenntnisse individuell umzusetzen. „Mithilfe digitaler Medien und generativer Intelligenz lassen sich Menschen personalisiert ansprechen, je nachdem was ihnen in der jeweiligen Lernsituation am besten hilft. Da steckt viel Musik drin. Wir sind gerade auf dem Sprung, zentrale Forschungsergebnisse der Instruktionsforschung in adaptive, digitale Lernumgebungen zu integrieren.“

Wesentlich im Bereich der Lehr-Lern-Forschung sei zudem die internationale Zusammenarbeit. „Es ist ein Problem, dass viele Teilnehmende in psychologischen Studien aus westlichen Gesellschaften und oft sogar aus dem Psychologiestudium selbst kommen. Wir Menschen sind aber nicht gleich, sondern verhalten uns je nach Kultur unterschiedlich. Nur durch den Austausch mit Forschenden weltweit können wir tragfähige Modelle menschlichen Verhaltens entwickeln, die individuelle Unterschiede ernst nehmen und nachhaltig bildungswirksam sind.“

Publikation:

Daumiller, M., Böheim, R., Alijagic, A., Lewalter, D., Gegenfurtner, A., Seidel, T., & Dresel, M. (2025). Guiding attention in the classroom: An eye‐tracking study on the associations between preservice teachers' goals and noticing of student interactions. British Journal of Educational Psychology

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