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Paläoanatomie: Auf der Spur der Schafsknochen

23.03.2021

Frühe Schafzüchter vor 10.000 Jahren hatten mit hoher Lämmersterblichkeit zu kämpfen. Dies zeigt eine neue statistische Auswertung der archäologischen Überreste ungeborener und neugeborener Schafe.

Schafherde in Aşıklı Höyük. | © Nadia Pöllath, SNSB / LMU

Schon im 8. Jahrtausend vor Christus lernten die ersten Schafzüchter, dass sich die Haltungsbedingungen ihrer Tiere auf die Sterblichkeit von Lämmern auswirken. Eine internationale Forschergruppe um Nadja Pöllath, Kuratorin an der Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie München, LMU-Paläoanatom Joris Peters, Direktor derselben Staatssammlung, und LMU-Statistiker Sevag Kevork untersuchten in einer Studie Knochen von noch ungeborenen und neugeborenen Lämmern. Diese fanden sich ungewöhnlich zahlreich in der frühneolithischen Siedlung Aşıklı Höyük, der größten und am besten erforschten Siedlung dieser Zeit in Zentralanatolien. Ihr Fazit: Im Lauf der langen Besiedlung (von 8350 bis ca. 7300 v. Chr.) scheinen sich die Überlebenschancen von Lämmern nach ihrer Geburt verbessert zu haben. Dass die Milchlämmer in Aşıklı Höyük im Lauf der Zeit häufiger überlebten, führen die Forschenden auf Verbesserungen in der Viehhaltung zurück. Tiere wurden offenbar vermehrt auf der Weide gehalten. Die Stätte Aşıklı Höyük gibt wertvolle Einblicke in Architektur, Kultur, Ernährung von Mensch und Tier, Vegetation sowie in die Entwicklung von Ackerbau und Tierhaltung in der Frühphase der Jungsteinzeit. Während die Menschen zu Beginn der Besiedlung noch vorwiegend auf die Jagd gingen, um die Bewohner mit Fleisch zu versorgen, wurde später die Tierhaltung wichtig, wobei das Schaf die wichtigste Nutztierart war. Archäologische Spuren wie Dungpakete in und zwischen den Häusern belegen, dass die Bewohner ihre Schafe über längere Zeit innerhalb der Siedlung hielten.

Neues statistisches Modell für das Alter

Grabung in Aşıklı Höyük. | © Nadja Pöllath, SNSB / LMU

Um erforschen zu können, mit welchen Problemen die neolithischen Schafhalter konfrontiert waren und welche Maßnahmen sie zu deren Beseitigung trafen, ist es entscheidend, jeweils das Sterbealter eines Tieres exakt bestimmen zu können. Daraus können die Forscher dann auf mögliche Todesursachen schließen. Traditionelle Altersbestimmungen basieren meist auf der Untersuchung von Zähnen. Um die Entwicklungsstadien junger Schafe – vom Fötus über Neugeborene bis zu Jungtieren – unterscheiden zu können, sind viele Methoden allerdings nicht genau genug.

Um das Alter der Schafsföten und Lämmer so exakt wie möglich bestimmen zu können, haben die Münchner Paläoanatomen nun ein neues statistisches Modell entwickelt. Sie analysierten zunächst die Oberarmknochen (Humerus) von modernen Schafen bekannten Alters in Referenzsammlungen in den USA, Großbritannien, Spanien, Portugal und Deutschland und erstellten daraus ein Vergleichsmodell für neolithische Schafe. So ließ sich das Alter der Lämmer aus Aşıklı Höyük präzise ermitteln. „Unsere Analysen haben wesentlich dazu beigetragen, die Ursachen der Sterblichkeit bei fötalen und jungen Lämmern einzugrenzen“, sagt Nadja Pöllath. „Wir können nun besser verstehen, mit welchen Schwierigkeiten die Menschen während der frühen Schafhaltung und Domestizierung in Aşıklı Höyük konfrontiert waren.“ Todesursachen für Föten und Lämmer waren in erster Linie Infektionen in Verbindung mit Unter- und Mangelernährung. Die Tiere wurden wohl auch in zu engen Gehegen gehalten. Als sie später vermehrt auf Weiden grasen konnten, verbesserte sich ihr Gesundheitszustand. Die archäologischen Daten geben zudem Hinweise darauf, dass gegen Ende der Besiedlungsphase von Aşıklı Höyük auch die Sterblichkeit der Föten zurückging und mehr Lämmer überlebten. „Unsere Forschungen geben erstmals Einblick in das Praxislernen der ersten Schafhalter im neunten und achten Jahrtausend vor Christus“, fasst Peters zusammen.

Journal of Archaeological Science, 2021.

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