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Quantenphysik: Neue Erkenntnisse über Magisches-Winkel-Graphen

22.05.2025

Ein Team um LMU-Physiker Dmitri Efetov konnte zeigen, dass sich zwei zueinander verdrehte Graphenlagen wie Schwer-Fermionen-Metalle verhalten. Das eröffnet Möglichkeiten für die Entwicklung neuer Anwendungen.

Verdreht man zwei Graphenschichten in einem bestimmten Winkel zueinander, entsteht ein supraleitendes Material, das eine Vielzahl weiterer exotischer Quantenphasen ausbilden kann. Daher ist dieses erst 2018 entdeckte „Magic-angle-twisted Graphen“, wie das Material im Englischen genannt wird, ein idealer Kandidat für neuartige Quantengeräte. Bislang versteht man allerdings noch nicht im Detail, wie dieses ungewöhnliche Verhalten zustande kommt.

Ein internationales Team um den LMU-Physiker Dmitri Efetov hat diesbezüglich nun Fortschritte gemacht: Mittels Messungen zur Wärmeleitfähigkeit konnten die Forschenden nachweisen, dass sich die verdrehten Graphendoppellagen wie sogenannte Schwer-Fermionen-Metalle verhalten. Diese Klasse an kristallinen Materialien kennt man schon lange. Es gibt für sie daher auch etablierte theoretische Modelle, um ihr Verhalten zu beschreiben. Das Wissen lässt sich nun auf Magic-angle-twisted Graphen anwenden, was bei der Entwicklung neuartiger Anwendungen helfen könnte.

Prof. Dmitri Efetov (Mitte) mit Kollegen in seinem Labor an der LMU

© Jan Greune / LMU

Graphen ist eine Form des Kohlenstoffs, die nur eine Atomlage dick ist und daher zu den sogenannten zweidimensionalen Materialen zählt. Es hat zahlreiche faszinierende Eigenschaften, die unter anderem darauf beruhen, dass die Elektronen darin zu masselosen, sogenannten Dirac-Fermionen werden, die sich extrem schnell bewegen. „Das zugehörige Forschungsfeld ist mittlerweile gut etabliert; für die Arbeiten zu Graphen gab es bereits 2010 den Nobelpreis“, sagt Efetov.

Anders sieht es bei „Magic-angle-twisted Graphen“ aus. „Man hat das Material erst vor sieben Jahren entdeckt, und sein Verhalten ist noch nicht vollständig verstanden.“ Dabei ist das Konzept vergleichsweise simpel: „Man nimmt einfach zwei Graphenschichten, stapelt sie aufeinander und verdreht sie so ein bisschen gegeneinander“, erklärt Efetov.

Anspruchsvolle Herstellung

Im Detail ist die Herstellung dann aber doch anspruchsvoll, weil man extrem präzise arbeiten muss. Die Schichten haben etwa eine Kantenlänge von einem Mikrometer und der Verdrehungswinkel muss exakt 1,1 Grad betragen, nicht mehr und nicht weniger – das ist sozusagen der „magische Winkel“. Das Team um Efetov hat mehrere Jahre gebraucht, um einen wirklich zuverlässigen Produktionsprozess zu etablieren.

In den korrekt zueinander verdrehten Schichten entstehen schließlich Elektronen, die sehr stark miteinander wechselwirken. „Die Elektronen verlangsamen sich dadurch und verhalten sich wie ein Kollektiv“, sagt Efetov. Das hat zur Folge, dass das Material supraleitend wird, also elektrischer Strom ohne Widerstand darin fließt. Im Gegensatz zu anderen Supraleitern ist die Anzahl der Elektronen, die zu dem Zustand beitragen, sehr gering. Daher kann schon ein einziges Photon mit niedriger Energie den supraleitenden Zustand erheblich stören. Diese Eigenschaft nutzte das Team 2024, um damit niederenergetische Photonen aus dem Infrarotbereich nachzuweisen. „Das war die erste Anwendung des Materials“, sagt Efetov, Mitglied im Münchner Exzellenzcluster MCQST.

LMU-Physiker Dmitri Efetov, hier in seinem Büro an der LMU, untersucht das Verhalten von zueinander verdrehten Lagen von Graphen.

© Jan Greune / LMU

Sensitiver Einzelphotonendetektor

Je nach Temperatur, Magnetfeld und angelegter Spannung können sich aber noch eine Vielfalt weiterer korrelierter Zustände herausbilden, die dem Material andere Eigenschaften verleihen. „Es gab die Vermutung, dass dieses Verhalten genau dem von Schwer-Fermionen-Systemen entspricht“, sagt Efetov. In diesen gibt es zwei Arten von Elektronen: zum einen ‚schwere´ Elektronen, die sich gut lokalisieren lassen, und zum anderen ‚leichte´, sehr bewegliche Elektronen: „Die einen verharren quasi an Ort und Stelle, während die anderen durch das Gitter flitzen“, erklärt Efetov. Beide Arten von Elektronen wechselwirken jedoch stark miteinander, woraus das ungewöhnliche Verhalten der Schwer-Fermionen-Metalle resultiert.

Bislang fehlte ein experimenteller Nachweis, dass sich in den zwei gegeneinander verdrehten Graphenlagen genau das Gleiche abspielt. Also suchte das Team nach einem Experiment, mit dem sich die These überprüfen lässt; ihre Wahl fiel auf Messungen der thermischen Leitfähigkeit: „Dieser Wert reagiert viel sensitiver auf die Art der Elektronen als der elektrische Widerstand: Für leichte Elektronen kriegt man ein sehr starkes Signal, für schwere Elektronen ein sehr schwaches“, erklärt der Fachmann.

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2:21 | 22.05.2025

Mithilfe eines Laserlichts heizten die Forschenden bestimmte Bereiche der Graphenschichten auf. „Die ‚heißen´ Elektronen fließen dann in kältere Regionen; man erzeugt quasi einen thermisch induzierten Fotostrom“, so Efetov. Die entstehenden Spannungsunterschiede konnten die Forschenden durch angebrachte winzige Elektroden auslesen. Gemäß der Vorhersage beobachteten sie ein vollkommen unterschiedliches Verhalten des Materials bei niedrigen beziehungsweise hohen Temperaturen. Dieses lässt sich durch das unterschiedliche Zusammenspiel zwischen leichten und schweren Elektronenzuständen erklären ­– genau wie in Schwer-Fermionen-Metallen.

„Unsere Ergebnisse verknüpfen also das Feld der Schweren-Fermionen-Systemen mit dem der verdrehten Graphendoppellagen“, sagt Efetov. Aus diesem Grund könne man bereits etablierte theoretische Methoden nutzen, um das Verhalten des Magic-angle-twisted graphen vorherzusagen. „Auf lange Sicht wird ein grundlegendes Verständnis des Materials dazu beitragen können, weitere Anwendungen zu entwickeln“, hofft der Physiker.

Rafael Luque Merino, Dmitri K. Efetov et. al., Interplay between light and heavy electron bands in magic-angle twisted bilayer graphene. In: Nature Physics, 2025.

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