News

Rechtsextreme Schockmomente

13.03.2024

Wo zeigt sich Rechtsextremismus in Bayern? Wie reagiert die Politik darauf? Dazu startet ein Verbundprojekt an bayerischen Hochschulen.

Das neue Forschungskonsortium ForGeRex (Forschungsverbund für Gegenwartsanalysen, Erinnerungspraxis und Gegenstrategien zum Rechtsextremismus in Bayern) wirft einen interdisziplinären und institutionsübergreifenden Blick auf den Rechtsextremismus in Bayern. Dr. Britta Schellenberg, Professor Klaus H. Goetz und Doktorandin Paulina Seelmann vom Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der LMU gehen in ihrem Teilprojekt der Frage nach, wie sich politisches Denken und Handeln durch besonders schwere rechtsextrem motivierte Gewaltverbrechen verändern.

Denkmal für die Todesopfer des rassistischen Attentats am Olympia-Einkaufszentrum.

Das Denkmal "Für Euch" erinnert an die Opfer des rassistischen Attentats am Olympia-Einkaufszentrum.

© IMAGO / ZUMA Wire / Sachelle Babbar

Was genau ist Rechtsextremismus und wie sieht er aus?

Schellenberg: Das ist gar nicht so einfach zu definieren und diese Frage wird auch innerhalb der Politikwissenschaft heiß diskutiert. Wir verstehen Rechtsextremismus als eine Ideologie der Ungleichwertigkeit. Antisemitismus und Rassismus, aber auch ein übersteigerter Nationalismus sind dabei wichtige Elemente. Dabei wollen Rechtsextreme das demokratische System schwächen oder beseitigen. Rechtsextremismus und seine Erscheinungsformen verändern sich aber auch im Laufe der Zeit. Wir werden im Verbund gemeinsam eine aktuelle Bestandsaufnahme und Begriffsbestimmung vornehmen.

Goetz: Es entwickeln sich stetig neue Phänomene, die dem Bereich Rechtsextremismus zuzuordnen sind und dem Begriff neue Dimensionen hinzufügen. Die Reichsbürger-Szene hat im letzten Jahrzehnt an Bedeutung zugenommen, vor 30 Jahren hat man noch mehr über Altnazis diskutiert. Mit den sozialen Medien verfügen Rechtsextremisten über Verbreitungskanäle, die es früher noch nicht gegeben hat.

Seelmann: Dass solche Ausprägungen sich ständig verändern, ist für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler keine große Überraschung, in der Praxis jedoch eine enorme Herausforderung für die Politik. Aufgabe der Sozialwissenschaften ist es, diese unterschiedlichen Ausprägungen möglichst gut empirisch zu erfassen und zu erklären. Nur so können politische Akteure sich einen fundierten Überblick darüber verschaffen, was sich im rechtsextremen Milieu eigentlich tut. Darauf basierend kann Politik möglichst effektive Maßnahmen entwickeln. Rechtsextremismus gibt es schon lange, aber das Phänomen, seine Symbolik und Erscheinungsformen wandeln sich stetig und die Politik hängt häufig hinterher.

Was ist das Verbundprojekt ForGeRex?

Schellenberg: Um Rechtsextremismus zu verstehen, muss man die Netzwerke und Akteure vor Ort und deren Hintergründe kennen. Was diese regionale und lokale Forschung betrifft, sind Bayern und andere Bundesländer noch relativ unterversorgt. Das Verbundprojekt ermöglicht es uns nun, diese Lücke zu schließen und gleichzeitig die gewonnenen Erkenntnisse in die bundesdeutsche und internationale Forschung einzubringen und zu diskutieren.

Seelmann: Am Forschungsverbund sind elf Universitäten mit insgesamt neun Teilprojekten beteiligt. Input von so vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Perspektiven und Disziplinen zu bekommen, ist sehr bereichernd. Wir wollen fundierte Empfehlungen für politische Beratung, Präventionsarbeit und die politische Bildungsarbeit erarbeiten. Unser konkretes Teilprojekt beschäftigt sich dabei mit Framing und Politikgestaltung.

Was ist Framing?

Goetz: Wenn es um die Diskussion von Maßnahmen geht, muss man sich zunächst darüber verständigen, was das Problem eigentlich ist. Was meinen wir mit den Begriffen Rechtsextremismus, Terrorismus oder Rassismus? Diesen Vorgang nennt man Framing. Er entscheidet darüber, wie Gesellschaft und Politik auf ein Thema blicken und darauf reagieren. Es geht letztendlich darum, welche Deutung von Problemen sich durchsetzt.

Schellenberg: Die Sprachwissenschaft geht davon aus, dass Begriffe Assoziationsketten in unseren Köpfen aktivieren. Ein Frame ist die Art und Weise, wie Sprache und Kommunikation eine bestimmte Sichtweise, Interpretation oder Perspektive auf ein Thema oder Ereignis vermitteln. So ist es beispielsweise entscheidend, ob eine rechtsextreme Tat als „terroristischer Akt“, „persönliches Problem eines Einzelnen“ oder als „Protest“ bezeichnet wird. Wir versuchen im Projekt durch unsere Analysen zu schauen, womit die Begrifflichkeiten Rechtsextremismus und Rassismus verbunden werden und wie sich das über die Zeit hinweg ändert.

News

Neuer Forschungsverbund zum Familienleben in Bayern

Weiterlesen

Wie kommt es zu so einer Veränderung in der Wahrnehmung?

Goetz: Bestimmte Ereignisse können die Sichtweise auf Probleme schnell ändern, wie beispielsweise die Ukraine-Krise gezeigt hat. Innerhalb weniger Wochen war der Diskurs rund um die Sicherheitspolitik in der Bundesrepublik Deutschland ein völlig anderer. Das sehen wir immer wieder in der Politik: Gerade schockartige Ereignisse können innerhalb weniger Wochen, manchmal innerhalb weniger Tage, die Problemwahrnehmung grundsätzlich verändern.

Schellenberg: Ausgangspunkt unserer Analyse sind einschneidende Vorfälle rechtsextremer Gewalt, insbesondere die rassistischen Morde bis zu der Entlarvung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) 2011 und das Attentat im Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) 2016. Diese besonders schweren Gewalttaten haben einen starken Bayern-Bezug: Die Hälfte der NSU-Morde fand in Bayern statt, das OEZ-Attentat in München, es gab auch das Oktoberfestattentat 1980 und weitere Morde, antisemitische oder rassistische Gewalttaten. Das zeigt, wie groß der Handlungsbedarf ist, und zwar nicht plötzlich, sondern schon seit Jahrzehnten. Wir analysieren in unserem Teilprojekt, wie mit Rechtsextremismus und Rassismus in Bayern im Zeitverlauf von 2011 bis 2023 politisch umgegangen wurde, insbesondere infolge solcher Extremereignisse.

Haben Sie Erwartungen, welche Veränderungen diese extremen Gewaltexzesse ausgelöst haben?

Goetz: Wir gehen davon aus, dass die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds und das Attentat im Olympia-Einkaufszentrum politische Schockmomente darstellen. Sie haben, zumindest bei einigen, ein grundlegendes Infragestellen bestehender Praktiken ausgelöst. Das betrifft einerseits die grundlegende Erkenntnis, dass die Gefahr eines terroristischen Rechtsextremismus real und akut ist. Andererseits geht es um den anschließenden Umgang mit dieser Gefahr: Präventionsarbeit, polizeiliche Bearbeitung, Beobachtung durch den Verfassungsschutz, Gefahrenabwehr oder gesellschaftliche Aufklärung.

Seelmann: Wir untersuchen, ob sich in der bayerischen Politik tatsächlich Änderungen in der Problemdefinition und in der Gewichtung dieses Problems ergeben haben. Und wir schauen uns an, ob solche Auslöser eher einen kurzfristigen Effekt haben oder ob sich die Politikgestaltung auch mittel- und längerfristig ändert. Welche Forderungen werden umgesetzt, welche angekündigten Maßnahmen fallen durch den Rost? Wir machen also keine politische Momentaufnahme, sondern erforschen langfristige Entwicklungen im Verlauf von Jahren und Jahrzehnten.

Schellenberg: Dabei zielt unsere Analyse darauf ab, die Einflussmöglichkeiten und Durchsetzungskraft von spezifischen Institutionen in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus sichtbar zu machen. So zeichnen wir eine Grundskizze derjenigen Akteure, die sich an der Debatte beteiligen und konkrete Maßnahmen umsetzen. Ebenso analysieren wir die Frames, die sie dabei verwenden. Spannend wird es sein, nachzuzeichnen, wie sich diese verändern. Es stellt sich die Frage: Wie sieht die Bearbeitung von Rechtsextremismus und Rassismus in Bayern aus? In Bayern besteht großes Interesse daran, mehr Wissen über Strukturen von Rechtsextremismus und die aktuelle Bearbeitungsqualität zu sammeln, um den Umgang mit dieser Gefahr zu verbessern.

Wonach suchen Sie?