News

„Religion – ein Thema, das angeht“

30.01.2024

Professorin Mirjam Schambeck ist neue Inhaberin des Lehrstuhls für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts.

Antisemitismuskritische Bildung zählt zu Professorin Mirjam Schambecks Forschungsschwerpunkten. „Dass dieses Thema uns in seiner gesellschaftlichen Brisanz so brutal eingeholt hat, schockiert uns“, sagt sie im Hinblick auf den Israel-Gaza-Krieg. Als neue Inhaberin des Lehrstuhls für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Katholisch-Theologischen Fakultät der LMU erforscht sie unter anderem, wie man Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten und insbesondere Lehrerinnen und Lehrer befähigen kann, Antisemitismen zu erkennen und dagegen vorzugehen.

Schambeck studierte Katholische Theologie, Germanistik, Religionswissenschaft und Philosophie an der Universität Regensburg und promovierte ebendort im Fach Dogmatik und Dogmengeschichte. 2005 folgte die Habilitation in Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts, ebenfalls an der Uni Regensburg. Seit 2006 ist Schambeck Professorin für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts, zunächst an der Universität Bamberg, sodann an der Ruhr-Universität Bochum. Vor ihrem Ruf nach München 2022 wirkte sie zehn Jahre lang als Lehrstuhlinhaberin für Religionspädagogik an der Universität Freiburg.

Nach dem Studium arbeitete die Franziskanerin in Brasilien und Bolivien, betreute dort Straßenkinder, war in Favelas tätig und lebte mit einem indigenen Volksstamm in Bolivien. Zurück in Deutschland baute sie ein franziskanisches Jugendhaus auf, war Referentin in der Erwachsenenbildung und arbeitete als Religionslehrerin an verschiedenen Schularten.

Professor Miriam Schambeck vor einem Bücherregal. Sie trägt eine Brille und eine orangenes Kostüm

Professorin Miriam Schambeck

© LMU/LC Productions

Zeitzeugen in der Virtual Reality

Heute zählt zu ihren wichtigsten Forschungsschwerpunkten die antisemitismuskritische Bildung. „Bei einer Exkursion nach Auschwitz vor einigen Jahren hatte ich den Eindruck, dass die Holocaust-Edukation bei den jungen Menschen angekommen ist“, so Schambeck. „In den letzten Jahren wurde ich leider eines anderen belehrt. Unsere vor allem auf Kognition zielende Bildung scheint nicht zu greifen. Wir müssen versuchen, Lernmöglichkeiten zu finden, die das immersive Moment, also das Eintauchen in andere Wirklichkeiten, erlauben." Zudem fände sie es wichtig, Holocaust-Edukation um andere Dimensionen zu erweitern. Es muss deutlich werden, „dass jüdisches Leben ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft in Deutschland ist.“ Mit LMU-Kollegen ist sie dabei, „antisemitismuskritische Bildungsprozesse zu modellieren, mit denen sich Einstellungen und Verhaltensweisen tatsächlich ändern lassen“.

In Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik (Heinrich-Hertz-Institut) und der Filmuniversität Babelsberg plant das Team Virtual-Reality(VR)-gestützte Zeitzeugenprojekte. „VR-Applikationen zu Auschwitz sollen dabei so gestaltet sein, dass Schülerinnen, aber auch Lehramtsstudierende in diese Themen eintauchen können, ohne überwältigt zu werden“, so Schambeck. „Eine Idee sind zusätzliche virtuelle Räume, in die man sich zum Nachdenken zurückziehen kann.“ Als Pädagogin interessiert Schambeck zudem die Sichtweise jüdischer Jugendlicher. „Anberaumt ist daher eine VR-Applikation, in der eine Jugendliche ihr Zimmer zeigt – mit den üblichen Teenie-Postern, aber auch religiösen Items wie einer Menora, also dem siebenarmigen Leuchter des Judentums.“

Bekenntnisorientierung versus Religionskunde

Ein zweiter Fokus Schambecks gilt der interreligiösen und der interkonfessionellen, ökumenischen Bildung. „Einzigartig an der LMU ist, dass wir hier jeweils eine Evangelisch-theologische und eine Katholisch-theologische Fakultät und daneben eine Lehreinheit für orthodoxe Theologie haben“, so die Religionspädagogin. „Gemeinsam wollen wir die Studierenden zu einem Unterricht befähigen, der das Gemeinsame des Christlichen in den Vordergrund stellt und dennoch das Besondere der konfessionellen Stile achtet.“ Bei einer gemeinsamen Fachtagung, die von der LMU und der Uni Bamberg im Februar veranstaltet wird, soll es um die Zukunftsfähigkeit des Religionsunterrichts gehen und die Frage, wie er konfessionell-kooperativ ausgerichtet werden kann.

Für die Zukunft wünscht sich Schambeck einen nicht nur christlich-kooperativen, sondern auch religions-kooperativen Religionsunterricht. Angesichts des Religionsplurals müssen Schülerinnen und Schüler befähigt werden, wie sie mit dieser Verschiedenheit umgehen. Dazu ist religiöse Bildung nötig, die es erlaubt, die Religion in je ihrem Verständnis kennenzulernen. „Jüdinnen und Juden etwa sind – theologisch gesehen – die älteren Geschwister der Christinnen und Christen. Die Musliminnen und Muslime bilden die zweitgrößte Religionsgruppe in Deutschland.“ Ein weiteres Forschungsthema Schambecks ist die Zukunft des Religionsunterrichts.

„Ob der Religionsunterricht wie bisher bekenntnisorientiert, also aus einer bestimmten religiösen Position heraus erteilt wird oder einer religionskundlichen, also dass Religion auf Infomaterial reduziert wird – darüber wird gesellschaftspolitisch heftig debattiert.“ Sie selbst plädiert für die bekenntnisorientierte Form. „So legt man Diskursstandpunkte offen, was im Endeffekt demokratischer ist.“ Grundsätzlich hält Mirjam Schambeck den Religionsunterricht für ein unverzichtbares Fach. „Allein schon, um über Lebensüberzeugungen zu sprechen. Wo sonst in der Schule ist dazu Platz?“

Wonach suchen Sie?