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Religionsunterricht mit Zukunft

23.04.2024

Konfessionell-kooperative Modelle sollen den Religionsunterricht stärken und zukunftsfest machen. Interview mit Professorin Mirjam Schambeck vom Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der LMU.

Frau Professorin Schambeck, der Religionsunterricht in bayerischen Grundschulen wird nicht zugunsten von Deutsch und Mathe gekürzt, obwohl laut Statistik die Zahl der Kinder sinkt, die daran teilnehmen. Sollen mit dem konfessionell-kooperativen Religionsunterricht Schülerinnen und Schüler zurückgewonnen werden?

Schambeck: Da muss man differenzieren. Es ist zwar wahr, dass die Zahl der getauften Schülerinnen und Schüler, die in Grundschulen am Religionsunterricht teilnehmen, zurückgeht. Zugleich aber steigt die Zahl der sogenannten konfessionslosen Schülerinnen und Schüler, die teilnehmen. Rund zehn Prozent derjenigen, die am Religionsunterricht teilnehmen, sind nicht getauft. Der Religionsunterricht nimmt dem Ethikunterricht nicht die Schüler weg; aber das Fach Religionslehre hat nach wie vor bei Kindern und auch bei Eltern einen guten Ruf, ist beliebt und wird gewählt.

Wie sehen das die Kinder und ihre Lehrkräfte?

Schambeck: Empirische Untersuchungen sind hier eindeutig: Kinder lieben den Religionsunterricht. Hier ist es möglich, über die großen Fragen ihres Lebens nachzudenken. Hier geht es darum, das Fragen zu lernen, das Nachdenken, auf die anderen und deren Ansichten zu hören und zu überlegen. Hier geht es um Gott und die Welt und was trägt, wenn nichts mehr hält und trägt. Das wird seit den Mega-Krisen, in denen wir uns befinden, immer wichtiger.

Und der Ethik-Unterricht?

Schambeck: Wissenschaftlich arbeiten wir zusammen mit anderen Bildungsakteuren an einem starken Ethik-Unterricht und damit auch an einem qualitätsvollen Studienfach, das Ethik-Lehrkräfte qualifiziert. Momentan ist das in Bayern noch nicht an so vielen Standorten möglich und zudem noch nicht auf dem Niveau, das dem Lehramtsstudium im Fach Theologie entspricht.


Porträt von Prof. Mirjam Schambeck, die vor einem Bücherregal steht.

Professorin Mirjam Schambeck

© LMU/LC Productions

Für die Ausbildung im Hinblick auf einen konfessionell-kooperativen Religionsunterricht bietet die LMU gute Voraussetzungen. Hier gibt es die Katholisch- und die Evangelisch-Theologische Fakultät und die Ausbildungseinrichtung für Orthodoxe Theologie. Sie wissen am besten, was die Konfessionen noch trennt und was sie gemeinsam haben und wie sie gemeinsam die Vorteile nutzen können. Welche sind das?

Schambeck: Zunächst ist nüchtern festzuhalten, dass die Unterschiedenheit der Konfessionen kaum noch jemanden interessiert. Das ist weithin auch bei Religionslehrkräften der Fall. Außerdem sind wir in den letzten Jahrzehnten in der ökumenischen Theologie enorm nach vorne gekommen. Vieles, das früher kirchentrennend war, ist entkräftet, auch wenn schmerzliche Trennungen noch immer bestehen. Das Organisationsmodell eines konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts setzt auf diesen Errungenschaften auf. Evangelische, katholische und orthodoxe Schülerinnen und Schüler lernen gemeinsam und werden für den Religionsunterricht nicht mehr getrennt. Auch konfessionslose und andersgläubige Schüler sind eingeladen. Im Wissen um das gemeinsame Christliche kommen im Unterricht die Konfessionen im Sinne von Gaben in den Blick. Was bringt jede Konfession an Besonderem ein? Was kann man davon lernen? Was bedeutet dies, um den christlichen Glauben zu verstehen, und wie hilft dies, sich in Bezug auf Religion positionieren zu lernen?

Das hat ja auch gesellschaftliche Bedeutung.

Schambeck: Ja, das ist ein Thema, das wir einbringen können. Es ist in einer auch religiös pluralen Gesellschaft von höchster Relevanz. In einer gesellschaftlichen Situation, die von vielen Zerrissenheiten geprägt ist, kann der konfessionell-kooperative Religionsunterricht ein Lernort sein, miteinander in und trotz aller Verschiedenheiten zu lernen. Diese praktizierte „kleine Ökumene“ hilft, vieles zu lernen, das auch in der großen Ökumene der Verschiedenheit der Religionen wichtig ist.


Was sagen die Kirchen dazu?

Schambeck: Ohne die wäre das gar nicht möglich gewesen. Das kultusministerielle Schreiben, das ab Klasse eins und zwei den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht möglich macht, wurde in Absprache mit den Kirchen verfasst. Laut Grundgesetz sind ja die Religionsgemeinschaften mitverantwortlich für den Religionsunterricht.

Es gibt in Bayern schon zwei Modellversuche, wie kommen sie bei Schülern, Eltern und Lehrkräften an?

Schambeck: Der eine Modellversuch findet an beruflichen Schulen statt. Der andere, auf den Sie hier anspielen, an Grundschulen. Beide Modellversuche genießen bei den Beteiligten hohes Ansehen. Schon in dem kurzen Zeitraum seit der Einführung von RUmeK an Grundschulen und trotz relativ hoher Verwaltungshürden nahmen allein im Großraum München 100 Schulen daran teil, Tendenz steigend.

Wie sieht an Ihren Fakultäten die Ausbildung der angehenden Lehrkräfte für den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht aus?

Schambeck: Seit vielen Jahren gibt es in den systematisch-theologischen Fächern in jedem Semester Lehrveranstaltungen, die katholisch, evangelisch und orthodox verantwortet sind. Seit meinem Wechsel an die LMU und seit der Berufung von Ulrike Witten an die Evangelisch-Theologische Fakultät haben wir uns für die Religionspädagogik eine Selbstverpflichtung gegeben, dass in jedem Semester mindestens eine Lehrveranstaltung konfessionell-kooperativ läuft. Im letzten Semester konnten die Studierenden also aus drei wählen.

Ganz neu ist, dass am Zentrum für ökumenische Forschung an der LMU, das von der Katholisch-Theologischen Fakultät, der Evangelisch-Theologischen Fakultät und dem Ausbildungszentrum für orthodoxe Theologie getragen wird, ab diesem Sommersemester der Erwerb eines Zertifikats möglich ist.

Wenn Studierende drei ihrer Lehrveranstaltungen im konfessionell-kooperativen Setting oder im Bereich der ökumenischen Theologie absolviert haben und eine wissenschaftliche Arbeit schreiben, können sie dieses Zertifikat und damit wichtige Zusatzqualifikation erwerben.

Welche Bedeutung hat das?

Schambeck: Das ist wie ein Add-on, das sie in der Bewerbungsmappe anführen können. Es ist kein erstes oder erst recht kein zweites Staatsexamen, aber es zeigt eines: Diese Leute wissen, dass das die Zukunft des Religionsunterrichts sein wird und sie sich dafür qualifiziert haben.

Ist es übertrieben, von einem Meilenstein für den Religionsunterricht zu sprechen, der hier gesetzt wird?

Schambeck: Es ist zu erwarten, dass diese kooperativen Organisationsformen des Religionsunterrichts für alle Schularten kommen. Insofern ist das Zertifikat eine wichtige Qualifikation. Das gilt übrigens auch für Studierende des Pfarramts beziehungsweise Magister-Theologie-Studentinnen und -Studenten, denn sie werden auch an Schulen unterrichten, oder solche, die Pastoralreferentinnen und -referenten werden wollen. Zudem arbeiten die Kirchen schon an Formaten für Lehrkräfte, um sich über Fortbildungen für die neue Unterrichtsform zu qualifizieren.

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