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Schichtwechsel: Schlaf und Immunsystem

12.07.2024

Wenn das Licht aus ist und wir schlafen, läuft unser Immunsystem auf Hochtouren. Luciana Besedovsky will die Mechanismen dahinter aufklären. Aus dem Forschungsmagazin EINSICHTEN

Versuchsperson im Schlaflabor, mit EEG-Elektroden verkabelt

Voll verkabelt für die Forschung

Mit EEG-Elektroden am Kopf verbringt eine Probandin die Nacht im Schlaflabor. | © Alessandra Schellnegger / LMU

„Schlafen Sie gut?“ Das sind wir alle schon einmal gefragt worden, vielleicht auch von unserem Hausarzt oder unserer Hausärztin. Gesunder Schlaf ist offenbar wichtig – aber warum eigentlich? Die nächtliche Bettruhe ist viel mehr als ein bloßer Stand-by-Modus, in dem unser Körper darauf wartet, bis es wieder hell wird. „Schlaf hat einen sehr umfassenden Einfluss auf unsere Gesundheit und unser Immunsystem“, sagt Luciana Besedovsky. Wer ständig zu wenig schläft, hat ein höheres Risiko, einen Infekt zu bekommen. Schlaf ist sogar überlebensnotwenig, wie frühe Tierstudien aus den 80er Jahren zeigen, in denen ein Zusammenbruch der körpereigenen Verteidigungsmechanismen nach mehreren schlaflosen Wochen gefunden wurde. Besedovsky erforscht solche Zusammenhänge zwischen Schlaf und dem Immunsystem bei Menschen und leitet seit 2021 die Arbeitsgruppe „Schlaf und Immunologie“ an der LMU.

Doch was passiert da genau im Körper, während wir schlafen? Diese Frage treibt Luciana Besedovsky an. „Man könnte vielleicht sagen: Unser Immunsystem lernt im Schlaf“, sagt die Wissenschaftlerin. Genau wie unser Gehirn Erlebnisse im Langzeitgedächtnis verankert, wenn wir schlafen, merkt sich auch das Immunsystem die Verteidigung gegen bisher unbekannte Krankheitserreger. Mehrere Studien konnten beispielsweise zeigen, dass sich erholsamer Schlaf nach einer Impfung positiv auf die entstehende Immunität auswirkt. Menschen, die in der Nacht nach einer Impfung schlafen durften, bildeten etwa doppelt so viele Antikörper wie diejenigen, die 24 Stunden lang wach bleiben mussten.

Schlafwandelnde T-Zellen

Eine große Rolle spielen hierbei die sogenannten T-Zellen. Sie bilden einen wesentlichen Teil des Gedächtnisses unseres Immunsystems. Wenn sie einmal mit einem Krankheitserreger in Kontakt gekommen sind, vermehren sich diejenigen T-Zellen, die genau diesen Erreger erkennen, und merken sich so dessen Aussehen. Bei der nächsten Infektion mit dem gleichen Keim können diese sogenannten Gedächtnis-T-Zellen schneller die Abwehr einleiten. Auf diesem Prinzip basieren auch Impfungen, bei denen den T-Zellen harmlose Teile eines Krankheitserregers präsentiert werden, was die Zellen aktiviert und zur Teilung anregt.

Dieser Vorgang findet in den Lymphknoten statt. Doch dort halten sich die T-Zellen nicht ständig auf. Sie patrouillieren auch durchs Blut, um in verschiedene Gewebe zu gelangen und dort nach Eindringlingen zu suchen. Im Schlaf verlassen einige der Zellen den Blutkreislauf und wandern – so die Vermutung – in die Lymphknoten. Wenn wir jedoch nicht schlafen, stört das diese Wanderung und es verbleiben mehr T-Zellen im Blut.

Doch begeben sich die T-Zellen während des Schlafs wirklich in die Lymphknoten oder verschwinden sie irgendwo anders im Körper? Während ihrer Zeit als Gruppenleiterin in Tübingen ist Besedovsky dieser Frage nachgegangen. Dafür hat sie gute Schläfer ins Labor eingeladen, die ohne Probleme durchschlafen. An zwei Versuchstagen verbrachten die Teilnehmenden 24 Stunden überwacht im Schlaflabor. Alle vier Stunden stand eine Blutabnahme an. Um 23 Uhr durften die Teilnehmenden in der einen Sitzung schlafen gehen, in der anderen Sitzung mussten sie im Bett wachbleiben. Während der Nacht nahmen die Forschenden sogar jede Stunde Blut ab. Dank eines Katheters, der über einen Schlauch durch ein dünnes Loch in der Wand hindurch in ein Vorzimmer reichte, konnte Blut abgenommen werden, ohne dabei jemanden zu wecken.

Im Schlaflabor werden Blutproben und die Hirnaktivität untersucht

Gute Nacht, genau überwacht

Um mehr über den Zusammenhang zwischen Schlaf und Immunsystem zu erfahren, analysiert Luciana Besedovsky die Hirnaktivität und das Blut der Versuchspersonen.

© Alessandra Schellnegger / LMU

Die Analysen der Immunzellen im Blut zeigten, dass sich die T-Zellen stärker in Richtung des Signalmoleküls CCL19 bewegen, wenn die Teilnehmenden nachts schlafen durften. Weil dieser Botenstoff vor allem in den Lymphknoten vorkommt, liegt die Vermutung nahe, dass die T-Zellen tatsächlich dorthin wandern. Vermittelt wird dies durch die beiden Hormone Prolaktin und Wachstumshormon. Diese hormonabhängige T-Zellwanderung konnte die LMU-Forscherin mit ihrem Team auch im Reagenzglas nachbauen. Blockierten die Forschenden Prolaktin und Wachstumshormon, schwächte dies die T-Zell-Migration ab.

Nach der inneren Uhr leben

EINSICHTEN - Licht an

Lesen Sie mehr über Lichtblicke der Forschung in der aktuellen Ausgabe unseres LMU-Magazins EINSICHTEN unter www.lmu.de/einsichten. | © LMU

Dieses Experiment zeigt einen Aspekt dessen, was während des Schlafs mit den Immunzellen in unserem Körper passiert. „Doch es kommt nicht nur darauf an, dass und wie viel wir schlafen, sondern auch, wann wir das tun“, erklärt Besedovsky. Im Idealfall leben wir im Einklang mit unserer inneren Uhr. Die Schlafforschung unterscheidet dabei zwischen Lerchen, die zeitiger wach und am frühen Abend müde werden, und Eulen, die morgens zwar länger schlafen, dafür aber auch bis in die Nacht hinein noch leistungsfähig sind.

Luciana Besedovsky selbst gehört zu den Eulen. „Ich hatte früher oft Schwierigkeiten einzuschlafen. Wenn andere bereits tief schliefen, war ich einfach noch nicht müde genug.“ Morgens, wenn der Wecker klingelte, fühlte sie sich unausgeschlafen. Dieser Chronotyp wird oft als tendenziell faul abgestempelt – völlig zu Unrecht. „Man ist nicht faul, nur weil man spät aufsteht. Die Körper der verschiedenen Chronotypen funktionieren einfach unterschiedlich“, sagt Besedovsky. In der Gesellschaft sei das aber noch nicht angekommen, entsprechende Freiräume lässt der Alltag oftmals nicht. Schon lange fordern Schlafexperten beispielsweise, dass zumindest die weiterführenden Schulen später anfangen, damit Jugendliche ausreichend schlafen können.

„Wo immer es möglich ist, sollten Menschen gemäß ihrer inneren Uhr leben“, plädiert auch Besedovsky. In ihrer Arbeitsgruppe hat sie diesen Grundsatz bereits umgesetzt: Während die Frühaufsteher schon bei Tagesanbruch auf der Matte stehen, kommen die Eulen erst später und arbeiten dann bis in die Abendstunden. Das sei nicht nur angenehmer, sondern nach aktueller Forschungslage sehr wahrscheinlich auch gesünder. „Wir konnten kürzlich zeigen, dass Menschen mit einem späten Chronotyp häufiger eine Erkältung berichten als Menschen mit einem gemäßigten Chronotyp“, so Besedovsky. Ähnliche Ergebnisse fanden sie auch bei Menschen, die unter einem sogenannten „Social Jetlag“ leiden, also an Arbeitstagen und arbeitsfreien Tagen zu unterschiedlichen Uhrzeiten schlafen, was besonders häufig bei späten Chronotypen vorkommt. Menschen mit Social Jetlag berichteten ebenfalls häufiger eine Erkältung als Menschen, die jeden Tag in etwa zur gleichen Uhrzeit ins Bett gehen. „Ob das aber wirklich am Schlafverhalten liegt oder vielleicht an anderen Faktoren, kann man mittels solcher Assoziationsstudien nicht direkt beantworten. Das wollen wir mit unseren Laborstudien näher untersuchen.“

Testperson im Schlaflabor
© Alessandra Schellnegger / LMU

Schlaflabor zu Hause

Doch auch die haben Grenzen. Denn in der fremden Umgebung eines Schlaflabors kann es sein, dass der Schlaf anders ist als in der gewohnten Umgebung. Den Effekt kennt jeder, der in der ersten Nacht im Hotelzimmer nicht so gut zur Ruhe kommt wie zu Hause. Um die Aussagekraft von ihren Schlaf-Immun-Studien weiter zu verbessern, hat die LMU-Wissenschaftlerin daher Schlaf-Messungen inklusive Blutentnahmen zu Hause etabliert: Ein Stirnband mit einem integrierten EEG misst die Schlafphasen. Ein kleiner Stich in die Fingerkuppe reicht für die Blutentnahme aus. Dank dieses Set-ups können Experimente jetzt auch in den heimischen Schlafzimmern stattfinden.

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Bisher hat Luciana Besedovsky vor allem gute Schläfer untersucht, jetzt will sie sich erstmals auch Menschen mit leichten Schlafstörungen widmen. „Interessanterweise finden wir einfacher Versuchspersonen mit leichten Schlafproblemen als Menschen mit einem gänzlich gesunden Schlaf“, berichtet sie. Die Zahl der von Schlafstörungen Betroffenen ist tatsächlich deutlich gestiegen, um ein Drittel allein in den vergangenen zehn Jahren, ergaben Daten der Krankenkassen für Deutschland. Der Alltag in der modernen Gesellschaft macht unsere Tagesrhythmen unregelmäßiger, führt zu Bewegungsmangel. Und das künstliche Licht von Glühbirne und Smartphone-Display lässt uns nicht leicht zur Ruhe zu kommen. Dasselbe gilt für den immer schneller fließenden Strom von Informationen, der unser Gehirn überfrachtet.

Guter Schlaf – er ist seltener geworden. Dabei ist er der Schlüssel zu unserer Gesundheit. Wessen innere Uhr nicht im Takt der Welt tickt, der kann versuchen, sie mithilfe von Tageslicht ein Stück weit besser mit der Umwelt zu synchronisieren. Heißt konkret: morgens raus ins Freie, abends Bildschirme aus. Und dann: Schlafen Sie gut!

Text: Claudia Doyle

Luciana Besedovsky ist seit 2021 Professorin an der LMU und leitet am Institut für Medizinische Psychologie das Labor für Schlaf und Immunologie. Ihre Arbeitsgruppe untersucht schwerpunktmäßig, wie sich Schlaf auf die Gesundheit und das Immunsystem von Menschen auswirkt. Besedovsky promovierte am Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Uni Tübingen, an das sie nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard Medical School als Gruppenleiterin zurückkehrte.

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