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Schleifen der Wahrnehmung

07.07.2015

Am Lehrstuhl Allgemeine und Experimentelle Psychologie startet eine fächerübergreifende Forschergruppe.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert an der LMU die neue Forschergruppe „Active Perception“. „Die Wahrnehmung ist kein passiver Prozess, sondern ein aktiver Vorgang der Suche nach Informationen, die wir zur Erreichung unserer Handlungsziele brauchen“, beschreibt Professor Hermann J. Müller, Inhaber des Lehrstuhls Allgemeine und Experimentelle Psychologie an der LMU und Sprecher der Forschergruppe, deren Ansatz. „Unsere Wahrnehmung ist in einem ständigen Austausch mit unserer Umwelt begriffen. Was wir sehen, hören, fühlen beeinflusst nicht einfach unsere fortlaufenden Handlungen, sondern wird bereits durch unsere Handlungsabsichten gelenkt. Wahrnehmung in diesem Verständnis ist nicht einfach mit passiven Sinneseindrücken gleichzusetzen. Wahrnehmung ist vielmehr ein aktiver Vorgang, der die erfahrungs-, also gedächtnisabhängige Vorhersage von Handlungseffekten und entsprechende Anpassungen, der Handlung selbst oder der Gedächtnisbasis, einschließt.“

Diese Wechselbeziehung zwischen Wahrnehmung, Handlung und Umwelt zeigt sich im Alltag zum Beispiel, wenn wir etwas Bestimmtes suchen, etwa, weil wir bei einer Wanderung vorhaben, Äpfel zu pflücken. Dadurch richten wir unsere Aufmerksamkeit selektiv auf die Obstbäume. Wenn wir dann einen bestimmten Apfel pflücken wollen, muss die Wahrnehmung die Parameter der Greifbewegung liefern, zum Beispiel, wie weit man den Arm ausstrecken muss, wie groß die Öffnung der Hand sein muss oder ob man um einen störenden Ast herumgreifen muss. „Wir untersuchen die neuro-kognitiven Grundlagen solcher Prozesse“, sagt Müller.

Im Rahmen der zunächst auf drei Jahre angelegten neuen Forschergruppe wird diese sogenannte Wahrnehmungs-Kognitions-Handlungs-Schleife interdisziplinär erforscht. In elf Teilprojekten untersuchen Forscher verschiedener Fachrichtungen die unterschiedlichen Mechanismen aktiver Wahrnehmung und führen psychologische, neurowissenschaftliche und mathematische Perspektiven zusammen.

Bedeutung für Diagnostik und technische Entwicklungen

Aus entwicklungspsychologischer Sicht wird beispielsweise untersucht, wie sich Prozesse der aktiven Wahrnehmung im Kindesalter entwickeln. „Uns interessiert aber auch, wie normale und pathologische Alterungsprozesse die aktive Wahrnehmung verändern“, sagt Müller. Welche Rolle das Gedächtnis bei der aktiven Wahrnehmung spielt, soll auch mit neuro-kognitiven Methoden wie der Elektroenzephalografie zur Messung der Gehirnströme sowie der funktionellen Magnetresonanztomografie zur Darstellung der beteiligten Gehirnnetzwerke, aber auch mit Methoden der mathematischen Modellierung erforscht werden.

„Unser Ziel ist es, bislang weitgehend voneinander getrennte Forschungslinien in einen einheitlichen theoretischen Rahmen zu integrieren“, sagt Müller. Ein Schwerpunkt soll zudem darauf liegen, die gewonnenen Erkenntnisse in die neurologische und psychiatrische Diagnostik sowie in technische Anwendungen, etwa der sozialen Robotik, zu überführen.

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