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Schule: Auf dem Weg zu fairen Bildungschancen

20.08.2024

Bildungsforscher Markus Gebhardt entwickelt schnelle Tests für Lehrkräfte, die zeigen, welche Lernfortschritte Kinder machen, und forscht darüber, wie sich Inklusion bestmöglich umsetzen lässt.

Prof. Markus Gebhardt trägt ein schwarzes T-Shirt und Brille und steht neben einer Magnettafel

Prof. Markus Gebhardt

© LMU/Stephan Höck

Fünf Minuten einmal die Woche, das reicht schon. So viel Zeit investieren Lehrkräfte, die mit der Online-Plattform „Levumi“ arbeiten. Mit den Tests, die Markus Gebhardt und sein Team entwickelt haben, lässt sich individuell erfassen, welche Fortschritte Kinder in grundlegenden Kompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen machen. „Die Idee ist, wegzugehen von Selektion und Statusdiagnostik, durch die keine Förderung mehr passiert, und stattdessen die Lernentwicklung anzuerkennen“, erklärt der Bildungsforscher seinen Ansatz.

Tests wie den zur Leseflüssigkeit würde er für alle Erst- und Zweitklässler empfehlen, um jene Kinder zu erkennen, die sich schwertun. Für 80 Prozent der Kinder sind die darin gestellten Aufgaben kein Problem, doch die anderen drohen, wenn man sie nicht frühzeitig fördert, in eine ungute Spirale zu geraten: „Sie bleiben irgendwo im Lernstoff stecken und haben dann Schwierigkeiten anzuschließen, weil die Differenzierung im Unterricht für sie nicht breit genug ist. Sie erhalten keine positiven Rückmeldungen mehr, weil sie im Klassenzimmer mit den Leistungsbesseren verglichen werden. Das führt zu Ausschluss, weniger Teilhabe, weniger Freunden und vor allem zu einem geringeren Selbstkonzept in Mathe und Deutsch.“

Markus Gebhardt ist seit August 2024 Inhaber des Lehrstuhls für Sonderpädagogik mit dem Förderschwerpunkt Lernen einschließlich inklusiver Pädagogik an der LMU. Hier hat er selbst einst Sonderpädagogik studiert. Weil er „schon immer näher auf Forschungsfragen eingehen“ wollte, ist er nach dem Referendariat als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die Uni Graz gewechselt. Der Grund: In der Steiermark sind 88 Prozent der Kinder mit Förderbedarf in inklusivem Unterricht. Er wurde mit einer Arbeit über die Entwicklung von Schulleistungen und soziale Partizipation in integrativen Klassen promoviert. Eine Frage blieb dabei für ihn offen: „Welchen Erfolg haben Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf? Die anderen gehen immer weiter. Aber das Inklusionskind ist einfach langsamer. Es braucht eben mehr Hilfe oder eine andere Kategorisierung von Kompetenzen.“

Lernerfolg messen

Nach der Promotion wechselte Markus Gebhardt als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die TUM an den Lehrstuhl für Empirische Bildungsforschung, wo er sich unter anderem mit der Schulleistungsstudie PISA beschäftigte „und wieder damit, dass manche nicht mitgenommen werden“, so Gebhardt. Er machte sich weiter Gedanken darüber, wie sich Lernerfolg messen und positiv zurückmelden lässt. Im Jahr 2015 begann er daher ein System zur Diagnose von Lernverläufen zu entwickeln, woran er nach seiner Habilitation und seinem Ruf an die Universität Dortmund weiterarbeitete. Hier hatte er von 2016 bis 2020 den Lehrstuhl für die Entwicklung und Erforschung inklusiver Bildungsprozesse inne. Im Jahr 2020 übernahm Gebhardt den Lehrstuhl für Lernbehindertenpädagogik einschließlich inklusiver Pädagogik an der Universität Regensburg und baute das Studienangebot im Lehramt für Sonderpädagogik für die Fachrichtung Lernbehindertenpädagogik auf. Parallel entwickelte er die Diagnostik-Tools auf Levumi.de weiter.

Inzwischen nutzen so viele Lehrkräfte die Levumi-Tests, dass dafür bereits ein Wechsel auf leistungsstärkere Server nötig war. Das Team um Gebhardt lernt nun auch die Kehrseite dieses Erfolgs kennen: „Wir bieten regelmäßig Fortbildungen dazu an und werden eher überlaufen.“ Während er dennoch „wie im Hamsterrad“ noch immer generell davon überzeugen muss, dass eine Diagnostik der Lernentwicklung in der Schule überhaupt nötig ist, würde Gebhardt gern „die weitergehenden Fragen klären“: „Wie kommt die Didaktik weg von der Selektion hin zur Förderung?“ In seiner Forschung beschäftigt sich Markus Gebhardt damit, wie inklusiver Unterricht und Schule für alle Kinder bestmöglich gelingen können. Seine Ergebnisse stellt Markus Gebhardt, der sich als „großen Open-Access-Verfechter“ bezeichnet, öffentlich zur Verfügung. Auch seine Lehrskripte sind frei zugänglich.

Inklusiver Unterricht versus Förderschule

„Wenn man die öffentliche Diskussion verfolgt, geht es immer wieder darum, wie sich der Prozentsatz der Kinder mit Schwierigkeiten, der aktuell bei 20 Prozent liegt, reduzieren lässt. Das gelingt, wenn auch nicht vollständig. Aber auch Kinder, die wirkliche kognitive Schwierigkeiten haben, brauchen eine strukturierte Hilfe. Wenn Sie an Menschen mit Behinderung denken, ist das auch für sie die wichtigste Rückmeldung: Was habe ich gelernt? Wo habe ich mich verbessert? Unsere Idee ist, die individuelle Bezugsnorm zu verbessern, was zu einer inklusiven Didaktik führt.“ Markus Gebhardt untersucht auch, wo und wie dies besser gelingt: in inklusiven Schulklassen oder in Förderschulen? „Viele fordern extra Maßnahmen wie Schulpsychologen oder Lerntherapie, um Lehrkräfte zu entlasten. Das funktioniert aber nicht.“ Statt Spezialisten extra in die Schulen zu holen, ginge es eher darum, die Didaktik umzustellen.

An der LMU hat Markus Gebhardt viele Anknüpfungspunkte für seine Forschungsfragen. „Ich bin sehr glücklich, wieder an der LMU zu sein. Der Vorteil der LMU ist, dass hier überall exzellente Menschen arbeiten, die auch sehr stark im Thema pädagogische Psychologie und Lernen forschen. Auch die Sonderpädagogik ist gut aufgebaut und vernetzt.“

Bereits seit seinen Jahren in Regensburg investiert Gebhardt zunehmend Zeit für Wissenschaftskommunikation, damit Eltern, Lehrkräfte und auch Entscheiderinnen und Entscheider in der Politik von seinen Ergebnissen erfahren. „Die Bildungsforschung kann viele Handlungsempfehlungen geben, die politisch diskutiert werden können. Ich bin kein Entscheider, sondern stelle Informationen bereit, damit Inklusion sachlich eingeordnet werden kann.“ Dabei motiviert ihn, mit seiner Forschung zu einem „gerechteren Bildungssystem“ beizutragen: „Wir wissen aus der Forschung, dass Inklusion positiv wirken kann, aber dass sie momentan an vielen Orten nicht positiv wirkt und auch zu Ausschluss führen kann“, sagt Gebhardt. „Auf der anderen Seite ist Inklusion ein Menschenrecht und viele Menschen haben jetzt mehr Möglichkeiten als früher.“

Demnächst wird eine Simulationsstudie erscheinen, in der Gebhardt untersucht hat, welche Folgen es hätte, wenn das Förderschulsystem in Bayern geschlossen würde. Position bezieht er schon jetzt klar: „Die Idee, dass Personen mit Beeinträchtigungen nur unter sich bleiben können und sollen, ist völlig veraltet und war noch nie richtig.“

Mehr zur Forschung von Markus Gebhardt:

Online-Plattform Levumi.de: Die Tests zur Lernverlaufsdiagnostik werden von Mitgliedern des Lehrstuhls von Markus Gebhardt entwickelt und in Kooperation mit dem IPN Leibniz-Institut in Kiel angeboten. Sie richten sich an Lehrkräfte an Regelschulen und sonderpädagogische Lehrkräfte und sind kostenfrei nutzbar – digital oder auf Papier.

Markus Gebhardt auf Youtube: Der LMU-Professor stellt u.a. Videos seiner Vorlesungen online.

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