Stephan Kothrade: Vom Chemie-Studenten zum CTO bei BASF
16.09.2025
Der promovierte Chemiker über seinen Weg vom Chemiestudium an der LMU bis in den Vorstand von BASF und die aktuellen Herausforderungen der Branche.
16.09.2025
Der promovierte Chemiker über seinen Weg vom Chemiestudium an der LMU bis in den Vorstand von BASF und die aktuellen Herausforderungen der Branche.
Wenn Stephan Kothrade die schier unerschöpflichen Anwendungsmöglichkeiten der organischen Chemie an einem einfachen Beispiel erläutern will, kann er auf seine ersten Erfahrungen beim Chemiekonzern BASF zurückgreifen. 30 Jahre ist es her, „da stieg ich in die Kunststoff-Forschung ein und habe im Labor Produkte für die Kosmetik- und die pharmazeutische Industrie erforscht, beispielsweise gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen einen Conditioner für Shampoos. Der wurde dann auf dem Markt eingeführt. Das waren meine ersten Schritte.“
Heute steht Kothrade nicht mehr im Labor, sondern mit an der Spitze des Dax-Unternehmens. Er ist Forschungsvorstand von BASF, genauer CTO, also „Chief Technology Officer“, was er selbst so beschreibt: „Bei meiner Aufgabe geht es um Wissenschaftsmanagement und im Kern um die Frage, wie wir die 2,1 Milliarden Euro, die wir jedes Jahr weltweit für Forschung und Entwicklung aufbringen, am besten einsetzen. In welche Anwendung und neuen, nachhaltigen Verfahren wird investiert? Mein Fokus ist auf Innovationen gerichtet. Das ist ein sehr spannender Job“, sagt der promovierte Manager, der in dem Weltunternehmen eine steile Karriere gemacht hat.
Begonnen hatte sie schon an der LMU, als Kothrade seine Doktorarbeit schrieb. In organischer Chemie, was sonst? Dieser Wissenschaftszweig begeistert ihn seit seiner Schulzeit. Es hätte aber auch anders kommen können.
1967 in Landshut geboren, wuchs er in verschiedenen Städten auf und lebte ab dem 9. Lebensjahr in München, in der Maxvorstadt, und betont: „München ist meine Heimatstadt.“ Seine Eltern wohnen immer noch da. Als Schüler des Gisela-Gymnasiums am Elisabeth-Platz war er, wie er sagt, „eigentlich lange unentschieden, was ich machen soll. Ich habe mich für Literatur interessiert, wollte mal Romanistik studieren, aber die Naturwissenschaften hatten es mir auch immer angetan, vor allem die Biologie und die Chemie. Ich habe mich dann für die Chemie entschieden, weil ich die Anwendungsseite spannend fand und es mich reizte, dann einmal in der Industrie zu arbeiten.“
Das war auch ein Grund, weshalb der Abiturient Stephan Kothrade zur LMU kam. „Die hat damals Biochemie als Wahlpflichtfach angeboten, und die Uni hatte ja einen guten Ruf. Also gab es keine Notwendigkeit, in eine andere Richtung zu gehen. Und so bin ich bei der Chemie gelandet.“ Das Chemische Institut war damals gleich um die Ecke, in der Maxvorstadt an der Meiserstraße (heute Katharina-von-Bora-Straße). Er blieb also in seinem Umfeld, hatte aber, wie er erzählt, „nicht mehr das behütete Leben daheim bei den Eltern“. Denn er heiratet bald, seine Frau studierte Mathematik, „wir lebten in einer kleinen Wohnung zusammen und schlugen uns mit wenig Geld durch.“
Ich habe mich für Literatur interessiert, wollte mal Romanistik studieren, aber die Naturwissenschaften hatten es mir auch immer angetan. Ich habe mich dann für die Chemie entschieden, weil ich die Anwendungsseite spannend fand und es mich reizte, dann einmal in der Industrie zu arbeiten.Stephan Kothrade
Als Studienanfänger fand Kothrade den Uni-Betrieb gut organisiert. „Im Chemiestudium ist alles durchgetaktet, weil man viele Pflichtpraktika hat und den ganzen Tag im Institut ist. Vormittags Seminare und Vorlesungen, nachmittags die Praktika, auch in den Semesterferien." Ihm hat das sehr viel Spaß gemacht, auch weil es sehr interessante Vorlesungen gab.
Heute sei das vielleicht anders. Er höre zum Beispiel von seinen Kindern, dass es sich gar nicht lohne, in Vorlesungen zu gehen, weil man alles online bekomme. Früher schon: Wenn er etwa an die Vorlesungen von Ernst-Ludwig Winnacker denke, der Bedeutendes für die Forschung in Deutschland leistete und auch die Uni München prägte. „Was er nur mit einem Stück Kreide an der Tafel und mit seinen Erzählungen erreichte. Mich hat das gefesselt, für mich war das eine gut investierte Zeit“, berichtet das BASF-Vorstandsmitglied.
Zu Kothrades Studium gehörte, was ihm sehr lag, eine handwerkliche Ausbildung, etwa beim Aufbau und der Wartung von Apparaturen, sowie die Beschaffung und die Entsorgung von Chemikalien. Der Umgang mit Chemikalien sei damals ziemlich unbekümmert gewesen. Es habe immer wieder Beschwerden wegen Geruchsbelästigungen gegeben, von der Finanzdirektion in der Meiserstraße direkt gegenüber. „Ein Kommilitone arbeitete im Labor mit Schwefelverbindungen, der Geruch blieb überall hängen, in den Haaren und in der Kleidung“, erzählt Kothrade. „Ich hatte dann in der U-Bahn immer einen kleinen Abstand zu den anderen, weil niemand neben mir stehen oder sitzen wollte.“
Das junge Ehepaar hatte wenig Geld. Zum Glück bekam der Ehemann an der Uni in der Zeit der Diplomarbeit eine halbe Stelle. Eine, bei der es einmal im Monat Essensmarken für 35 D-Mark gab, die man nicht nur in der Mensa einlösen konnte, sondern auch in vielen Lokalen in der Maxvorstadt. „Wenn die Marken kamen“, erinnert sich Kothrade, „sind wir essen gegangen, für uns war das Luxus.“
Später, mit der Promotionsarbeit, bekam er erste Kontakte zu BASF. Sein Doktorvater an der LMU hatte eine Kooperation mit dem Chemiekonzern, die dann Teil der Doktorarbeit wurde. Daher kannte er schon Kolleginnen und Kollegen aus dem Kunststofflabor. „Das war eine große Hilfe, um 1995 den Sprung in die Firma zu schaffen, und für mich auch eine große Erleichterung, denn unser Sohn war damals ein Jahr alt.“
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1998 kam der nächste Karriereschritt – die Beförderung zum Betriebsleiter – und dann ging es steil weiter bis zur Berufung in den BASF-Vorstand 2023 und zum CTO im Jahr darauf. Kothrade war regelmäßig im Ausland, am häufigsten in Asien. Das prägte seine Begeisterung für die Möglichkeiten der organischen Chemie und für die Einschätzung der gegenwärtigen Umwälzungen in Geopolitik und Wirtschaft. China sei „eine Größe, an der man nicht vorbeikommt“, betont er. Er hat zehn Jahre dort gelebt und gearbeitet, unter anderem in einem Joint Venture von BASF und dem staatlichen Öl- und Petrochemiekonzern Sinopec.
Für sein Unternehmen sei das ein wichtiger Markt, sagt der CTO und beklagt, dass in der ganzen Diskussion über China „immer wieder nur der Gegensatz betont und die Systemfrage in den Vordergrund gerückt“ werde. Man müsse auch die Gemeinsamkeiten sehen. Bei den großen Herausforderungen angesichts des Klimawandels „kommen wir ohne China als Partner nicht weiter.“
70 Prozent des globalen Wachstums in der Chemie werde in den nächsten zehn Jahren aus China stammen. „Wir haben aber nur circa 15 Prozent unseres weltweiten Umsatzes in China, also müssen wir dort weiter investieren.“ Ebenso am Standort Ludwigshafen, nämlich zwei Milliarden jährlich für den Bau neuer und die Modernisierung bestehender Anlagen. „Manchmal wird es falsch verstanden: Das ist keine Verlagerung nach China. Wir produzieren dort, wo unsere Kunden sind. Das war schon immer unsere Strategie.“
In der ganzen Diskussion über China wird immer wieder nur der Gegensatz betont und die Systemfrage in den Vordergrund gerückt. Bei den großen Herausforderungen angesichts des Klimawandels kommen wir ohne China als Partner nicht weiter.Stephan Kothrade
Zum Klimaschutz kann aus Kothrades Sicht die Chemieindustrie „enorm viel“ beitragen und damit wirtschaftlich erfolgreich sein. Deshalb empfiehlt er jungen Menschen das Chemiestudium: „Wir brauchen kluge Köpfe, auch von der LMU, etwa in Ludwigshafen, unserem größten Forschungsstandort.“
Die Chemiebranche stehe am Anfang vieler Wertschöpfungsketten. Ob sie für Pharmaprodukte, Haushaltsreiniger, Textilien, Verpackungen, Automobilbau, Luft- und Raumfahrt oder Halbleiter produziere, hier entstehe ein erheblicher Anteil an den Gesamtemissionen. Hier müsse man ansetzen und mit nachhaltigen Produkten „die grüne Transformation unserer Kunden ermöglichen“. Für BASF nennt Kothrade das CO2-Ziel „Netto-Null-Emissionen bis 2050“.
Als Beispiel führt er eine Pilotanlage in Shanghai an, die ein Polyamid für die Textilindustrie herstellt, das zu 100 Prozent aus Textilabfällen produziert wird. Am Standort Ludwigshafen betreibt BASF zusammen mit den Partnern SABIC und Linde die weltweit erste großtechnische Demonstrationsanlage für elektrisch beheizte Steamcracker-Öfen, das Projekt eFurnace. Diese Technologie nutzt Strom aus erneuerbaren Quellen anstelle von fossilen Brennstoffen zur Beheizung der Spaltöfen, um die CO2-Emissionen um mehr als 90 Prozent zu senken. Außerdem stünden in Ludwigshafen eine der größten Wasser-Elektrolyseanlagen zur Produktion von grünem Wasserstoff und künftig die größte industrielle Wärmepumpe der Welt. Sie wird die Abwärme CO2-frei in Dampf umwandeln, der als Energieträger am Standort genutzt wird.
Mit der LMU hat der weit gereiste BASF-Manager derzeit keine Verbindung mehr, aber ein überraschendes Wiedersehen: „Bei der Abiturfeier meiner Tochter in einem Shanghaier Hotel traf ich einen Studienkollegen nach 25 Jahren wieder. So klein ist manchmal die Welt.“