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Theoretische Chemie: Simulation der molekularen Ursprünge des Lebens

15.02.2024

Mit einem sogenannten Hyperreaktor gelingt es LMU-Chemikern, hochkomplexe Verflechtungen chemischer Reaktionen effizient unter realistischen Bedingungen zu berechnen.

Molekulare Reaktionsnetzwerke, welche die unterschiedlichen Reaktionsmöglichkeiten eines Systems aufzeigen, sind von zentraler Bedeutung für die Chemie und Biochemie. Prominente Beispiele verzweigter Netzwerke sind die molekularen Ursprünge des Lebens; man denke nur an das weithin bekannte „Ursuppen“-Experiment (Miller-Urey-Experiment) von 1953 zum Entstehen organischer Moleküle in der frühen Erdatmosphäre oder an die Bildung von Molekülen im interstellaren Raum. Solche Reaktionsnetzwerke zu verstehen, vorherzusagen und letztlich zu berechnen ist eine hochkomplexe Aufgabe. Mit der Entwicklung eines sogenannten Hyperreaktors verfolgt das Team um Christian Ochsenfeld, Professor für Theoretische Chemie an der LMU, genau dieses anspruchsvolle Ziel.

Mit den Mitteln der Theoretischen Chemie lassen sich solche Reaktionsnetzwerke simulieren. Eine zentrale Herausforderung dabei ist die Komplexität der Potentialhyperflächen chemischer Systeme mit zahlreichen Minima sowie verbindenden Sattelpunkten. Letztere stellen Energiebarrieren dar, die es für eine chemische Reaktion zu überwinden gilt. Vereinfacht kann man sich diese Potentialhyperfläche als eine Gebirgslandschaft vorstellen, wobei die Täler unterschiedlichen Molekülen beziehungsweise Strukturen und die Berge den zu überwindenden Energiebarrieren entsprechen.

Die Schwierigkeit der häufig sehr hohen Energiebarrieren wurde in ersten Ansätzen durch Simulation unter periodischen Kontraktionen (Druck) sowie sehr harschen Reaktionsbedingungen wie extrem hohen Temperaturen vermieden, um die chemischen Reaktionen zu erzwingen. Das allerdings führte auch zu unrealistischen Reaktionen und Fragmentierungen. Im Gegensatz hierzu erlaubt der neue Hyperreaktor der Ochsenfeld-Gruppe eine Erforschung der komplexen Reaktionsnetzwerke unter milden Bedingungen. Dafür lassen sich periodische Kontraktionen des molekularen Systems simulieren und mit der Erkundung des chemischen Raumes auf geglätteten Potentialflächen koppeln.

Anwendungsbeispiele des Hyperreaktors wie die Berechnung der nicht-enzymatischen DNA-Nukleotidsynthese, die experimentell in der Gruppe von Oliver Trapp, Professor für Organische Chemie an der LMU, erforscht werden, oder auch die Synthese von Glycinal, Acetamid und Carbamidsäure in interstellarem Eis bei -263°C, geben erste Eindrücke der neuen Berechnungsmöglichkeiten. Insbesondere in Kombination mit neuen rund 1000-fach schnelleren quantenchemischen Methoden, die ebenfalls im Arbeitskreis Ochsenfeld entwickelt wurden, eröffnet der Hyperreaktor neue Perspektiven für das Erkunden komplexer Reaktionsnetzwerke sowie die Erforschung vielfältiger chemischer und biochemischer Synthesewege.

Alexandra Stan-Bernhardt, Liubov Glinkina, Andreas Hulm, Christian Ochsenfeld: Exploring Chemical Space Using Ab Initio Hyperreactor Dynamics; ACS Central Science 2024

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