Tiermedizin: Zwischen Stall und Sensor
26.11.2025
Der Veterinärmediziner Michael Iwersen, neuberufen an der LMU, vereint Hightech und landwirtschaftliche Praxis zur Förderung von Tierwohl und Tiergesundheit.
26.11.2025
Der Veterinärmediziner Michael Iwersen, neuberufen an der LMU, vereint Hightech und landwirtschaftliche Praxis zur Förderung von Tierwohl und Tiergesundheit.
Professor Michael Iwersen mit dem Modell einer Kuh | © privat
In seinem Büro steht ein kleines Playmobil-Stillleben: ein Karren, davor ein Landwirt, eine Tierärztin, Hund und Katze. „Ein Bild davon nehme ich oft mit in meine Vorträge“, sagt Michael Iwersen. „Es zeigt, was mir wichtig ist: Landwirtschaft und Tiermedizin müssen an einem Strang ziehen.“ Der Tierarzt und Professor für Bestandsbetreuung an der LMU verbindet in seiner Forschung wissenschaftliche Arbeit mit fundierter praktischer Erfahrung. Sein Ziel: Krankheiten und Probleme möglichst frühzeitig erkennen, um die Tiergesundheit zu erhalten bzw. zu verbessern und Bestände bestmöglich zu managen.
Aufgewachsen in Hamburg, entdeckte Iwersen schon früh seine Begeisterung für die Landwirtschaft. Daher absolvierte er zunächst eine landwirtschaftliche Ausbildung und studierte anschließend Agrarwissenschaften. Schon während des Studiums begleitete er den Umbau eines ehemaligen volkseigenen Landwirtschaftsbetriebs in Mecklenburg-Vorpommern in einen modernen landwirtschaftlichen Betrieb. Nach dem Studium war er in diesem Betrieb dann mehrere Jahre als Herdenmanager tätig. „In dieser Zeit konnten wir die Tiergesundheit und Leistung deutlich verbessern und ich konnte beobachten, wie gutes Management, verbesserte Fütterungs- und Haltungsbedingungen unmittelbar wirken.“
Gleichzeitig gaben diese Erfahrungen ihm den Anstoß, Tiermedizin an der FU Berlin zu studieren. Über Forschungsprojekte fand er den Weg in die Wissenschaft und war anschließend für 15 Jahre an der Veterinärmedizinischen Universität Wien tätig, wo er gemeinsam mit Professor Marc Drillich und PD Dr. Daniela Klein-Jöbstl die Abteilung für Bestandsbetreuung aufbaute, bevor er nun an die Tierklinik der LMU wechselte.
Wir müssen die Technik den Tieren anpassen, nicht umgekehrt.Michael Iwersen
Praxis und Forschung sind für Iwersen untrennbar. „Im Nutztierbereich müssen Landwirtschaft und Tierärzte als Partner agieren. Dafür braucht es Vertrauen und Teamarbeit.“ Bestandsbetreuung versteht er als überwiegend präventive, ganzheitliche Begleitung landwirtschaftlicher Betriebe. Es geht nicht nur um die tierärztliche Behandlung einzelner Tiere, sondern auch um Themen wie Fütterung und Haltungsbedingungen. „Wir schauen nicht nur auf das Einzeltier, sondern auf das Gesamtsystem.“ Tierwohl und Effizienz schließen sich für ihn nicht aus – im Gegenteil: Gute Haltungsbedingungen und gesunde Tiere seien die Grundlage wirtschaftlichen Erfolgs. „Wir müssen die Technik den Tieren anpassen, nicht umgekehrt.“
Moderne Technologien spielen in seiner Forschung eine zentrale Rolle. „Mit Ohrmarken oder Halsbändern mit Sensoren – vergleichbar mit Fitness-Trackern beim Menschen – erfassen wir Bewegungs- und Verhaltensdaten wie Liegezeiten, Aktivität, Fressen und Wiederkäuen. Wir erfassen pro Tier bis zu 30 Datenpunkte pro Sekunde. In dieser Fülle an Informationen suchen wir nach spezifischen Mustern, die Hinweise auf Verhalten, Gesundheit und Wohlbefinden liefern." Iwersen und sein Team untersuchen unter anderem, wie verlässlich und valide solche Systeme sind und wie sie sich in bestehende Managementsysteme integrieren lassen, um Entscheidungen auf Betriebsebene datenbasiert zu unterstützen.
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die Widerstandsfähigkeit von Tieren gegenüber Krankheiten. Dabei werden genetische Merkmale, Umweltbedingungen und Sensordaten gemeinsam analysiert, um Resilienz besser zu verstehen und Vorhersagemodelle für Krankheitsanfälligkeit zu entwickeln. „Das Ziel ist immer, Auffälligkeiten zu erkennen, bevor ein Tier sichtbar krank wird“, fasst Iwersen zusammen.
Das Ziel ist immer, Auffälligkeiten zu erkennen, bevor ein Tier sichtbar krank wird.Michael Iwersen
In der Lehre setzt er mit seinem Team um Dr. Corinna Hübner-Lausch und Dr. Rainer Martin auf unmittelbare Praxiserfahrung und bietet Studierenden die Möglichkeit, mit in die Betriebe zu fahren und dort wertvolle Erfahrungen zu sammeln. Direkt in den Beständen können die zukünftigen Tierärztinnen und -ärzte das gesamte Umfeld beobachten, das zur Entstehung oder Vermeidung von Krankheiten beiträgt. „Dafür erwarten wir keine Vorkenntnisse, sondern nur Neugier und die Bereitschaft, mit anzupacken“, betont er.
An München schätzt Iwersen besonders die enge Vernetzung zwischen Forschung und Praxis. „Wir betreuen derzeit etwa 60 Betriebe und arbeiten eng mit den Landwirtinnen und Landwirten zusammen“, sagt er. Auch das Zusammenspiel mit Kolleginnen und Kollegen aus Klinik, Ambulanz und Bestandsbetreuung empfindet er als sehr positiv – so können, wie in seinem Playmobil-Stillleben, alle an einem Strang ziehen.