News

Und wer zahlt?

23.03.2017

Das World Wide Web hat Urheberrechtsverstöße zum Massenphänomen gemacht. Ein Interview über ahnungslose Nutzer sowie die Frage nach Haftung und Schadensersatz mit den LMU-Juristen Matthias Leistner und Ansgar Ohly

Die Gratis-Mentalität im Internet führt zu massiven Verstößen gegen das Urheberrecht: Unzählige Werke werden ins Netz geladen, gespeichert, gelesen oder gehört, ohne dass die Urheber vergütet werden. Auf einer Tagung an der LMU unter der Leitung von Matthias Leistner und Ansgar Ohly steht die Frage nach der Regelung des Urheberrechts bei Intermediären im Mittelpunkt. Das sind Unternehmen wie YouTube oder Facebook, die einerseits wichtige Dienstleistungen im Netz erbringen, andererseits aber auch Urheberrechtsverletzungen ermöglichen. Auch Access-Provider, die nur den Zugang zum Internet ermöglichen, zählen zu den Intermediären. Ende 2016 haben YouTube und die Gema eine Vereinbarung geschlossen und die Urheberrechtsfrage für den Musikbereich bilateral gelöst. Auf europäischer Ebene gibt es aktuell einen Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Bereich. Matthias Leistner und Ansgar Ohly erläutern im Interview die Problematik der aktuellen Rechtslage und schlagen eine mögliche Regelung vor, die einen Ausgleich zwischen den Interessen der Nutzer, Urheber und Internetdienstleister schaffen könnte.

Auf YouTube werden täglich Videos mit einer Gesamtdauer von mehreren hundert Millionen Stunden abgespielt. Was ist dabei momentan rechtlich nicht geklärt? Ansgar Ohly: Viele dieser Videos stehen dort ganz legal, aber YouTube ist auch eine große Plattform für Urheberrechtsverstöße. Darunter fallen private Aufnahmen, die jemand von Tonträgern oder Filmen gemacht hat. Die unmittelbaren Verletzer des Urheberrechts sind zwar die Nutzer, die das Material ins Netz stellen, doch die große Frage ist, unter welchen Umständen YouTube dafür haftet.

Ist denn im Moment wenigstens für den Nutzer klar, was er darf und was nicht? Ohly: Nicht immer. Klar ist, dass es verboten ist, Filme und Musik eins zu eins ins Netz zu stellen. Sobald der Nutzer mit der Vorlage irgendetwas selbst macht, das Werk umwandelt, also Clips zusammenstellt oder Musik nur als Hintergrund verwendet, gibt es eine gewisse Grauzone.

Matthias Leistner: Es gibt im Moment einige Fälle, die für die Nutzer schwierig einzuschätzen sind. Wenn Sie zum Beispiel Inhalte herunterladen, kann das unter bestimmten Voraussetzungen noch eine zulässige Privatkopie sein. Nämlich dann, wenn nicht offensichtlich ist, dass das Original illegal im Netz steht. Der neueste Hollywood-Film, der gerade in die Kinos kommt, ist ein klarer Fall des Urheberrechtsverstoßes, aber bei einem fremdländischen Volksmusikstück können Sie nicht sicher sein, ob es bewusst umsonst im Netz steht mit der Zustimmung des Rechteinhabers oder ob es illegal im Internet veröffentlicht wurde und damit auch ein Download illegal ist. Unter Umständen spielt auch die eigene Software dem Nutzer einen Streich, wenn er etwa über sogenannte Filesharing-Protokolle Inhalte austauscht, stellen diese wiederum automatisch das, was er auf seiner Festplatte hat, für andere im Netz zur Verfügung, und eine solche Nutzung bewegt sich in in jedem Fall im illegalen Bereich. Was das Streaming von Inhalten im Netz angeht, bei dem der Nutzer das Werk technisch nicht komplett herunterlädt, sondern immer nur eine Sequenz sieht: Das ist im deutschen Recht noch nicht rechtsgültig entschieden.

Wie ist die Urheberrechtsfrage bei diesen Webseiten denn aktuell geregelt? Ohly: In Deutschland gibt es die sogenannte Störerhaftung. Das bedeutet, dass man von jemandem, der eine Plattform betreibt und damit eine Möglichkeit der Verletzung des Urheberrechts bietet, nur verlangen kann, dass er den verletzenden Beitrag abstellt. Man kann zum Beispiel von YouTube verlangen, ein Video, das das Urheberrecht verletzt, von der Seite zu nehmen. Aber es ist nach derzeitigem deutschen Recht keine weitergehende Haftung damit verbunden, während normalerweise mit der Urheberrechtsverletzung auch eine Schadensersatzforderung verknüpft wird. Man muss im Urheberrecht auch immer zwischen der deutschen und der europäischen Ebene unterscheiden. Das Urheberrecht ist zwar bisher nicht komplett auf europäischer Ebene geregelt, aber es gibt doch Teile des EU-Rechts, die das Urheberrecht beeinflussen.

Leistner: Auf europäischer Ebene ist es derzeit unklar, ob eine Plattform wie YouTube tatsächlich nur Intermediär und Störer ist oder nicht möglicherweise doch Urheberrechtsverletzer, weil die Webseite im Musikbereich faktisch wie ein Musikdienst genutzt wird. Aktuell versucht die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag einer „Digital Single Market Directive“ das Ganze auf quasi technischem Wege zu lösen. Der Ansatz ist: Wir lassen die eigentliche fundamentale Frage offen, geben aber den Plattformen auf, zumindest bestimmte Filtersysteme einzusetzen und von sich aus die Inhalte zu kontrollieren, selbst wenn sie nicht im Einzelfall abgemahnt sind. Das ist ein pragmatischer Ansatz, aber als Wissenschaftler kann man damit nicht recht zufrieden sein. Da möchte man die fundamentale rechtliche Frage, ob möglicherweise die Plattform selbst das Urheberrecht verletzt, geklärt wissen.

YouTube verdient durch Werbung Geld mit den Nutzerdaten – welche Rolle spielt das in der Diskussion? Ohly: Das europäische Recht regelt nur die Tätigkeit von Intermediären ausdrücklich, die zwar kommerziell sind, aber nur ganz neutral bestimmte Plattformen zur Verfügung stellen oder einen Zugang zum Internet verschaffen. Doch YouTube hat sich inzwischen so stark entwickelt, dass es nicht nur Geld verdient, sondern im Grunde einen Musikdienst anbietet, der in Konkurrenz steht zu anderen Anbietern wie Spotify. Nur dass die Finanzierung eine andere ist: Sie läuft bei YouTube eben nicht über ein monatliches Abo, sondern über Werbung. Das ist der Hintergrund, warum viele sagen: Es ist eigentlich nicht einzusehen, warum YouTube nicht haften und nicht verpflichtet sein soll, sich zum Beispiel die Rechte von der Gema zu verschaffen, Dienste wie Spotify aber doch.

Weiter auf Seite 2: Gibt es Lösungsvorschläge, wie man diese Urheberrechtsfrage regeln könnte?

Wonach suchen Sie?