News

Unterschätztes Potenzial

12.11.2015

Mit den heutigen Agrarflächen ließe sich der weltweit steigende Bedarf an Nahrungsmitteln decken – vorausgesetzt, sie werden optimal genutzt.

Um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können, muss die landwirtschaftliche Produktion bis 2050 voraussichtlich um 70 bis 100 Prozent steigen. Bisherige Studien halten das für kaum möglich. Geowissenschaftler der LMU um Professor Wolfram Mauser vom Department für Geographie gelangen auf Basis neuer Berechnungen zu einer völlig anderen Einschätzung. „Die heutigen landwirtschaftlichen Flächen haben das Potenzial, die Menschheit auch künftig zu ernähren und ihren Bedarf noch zu übertreffen. Wir könnten sogar mehr produzieren als wir brauchen“, sagt Mauser.

Die LMU-Geographen haben in ihren Analysen erstmals zwei bislang außer Acht gelassene Faktoren mit eingerechnet und einen ganzheitlicheren Ansatz gewählt. Ihre Studie berücksichtigt, wie oft sich landwirtschaftliche Pflanzen im Jahr ernten lassen. In Zusammenarbeit mit Ökonomen des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel um Professor Gernot Klepper haben sie zudem berechnet, um wie viel Prozent sich der Ertrag landwirtschaftlicher Flächen steigern lässt, wenn diese kommerziell auf die nationalen und internationalen Märkte ausgerichtet bewirtschaftet werden.

Bis zu acht mal mehr

Auf den heute global verfügbaren Agrarflächen könnte der Ertrag durch Mehrfachernten gegenüber bisherigen Schätzungen zusätzlich um 39 Prozent gesteigert werden. Eine gewinnorientierte landwirtschaftliche Nutzung, bei der die Pflanzen dort angebaut werden, wo sie den höchsten Gewinn bringen, könnte zu einer Ertragssteigerung von nochmal 30 Prozent führen. Die Regionen mit dem höchsten Potenzial sind Subsahara-Afrika, Latein- und Südamerika sowie Indien und China. Berechnet man zudem die Ertragssteigerungen, die möglich wären, wenn die Pflanzen optimal angebaut würden, laut FAO etwa 80 Prozent, kommt man auf weltweite Ertragssteigerungen von insgesamt bis zu 148 Prozent.

Das Ausmaß der möglichen Ertragssteigerung hat selbst die Studienautoren überrascht. In Subsahara-Afrika lassen sich die Erträge bis um das Achtfache steigern. Auch in Asien sind deutliche Steigerungen möglich. „Das war zum Beispiel für Indien nicht zu erwarten, da es dort bereits sehr intensive landwirtschaftliche Nutzung gibt. Aber es ist offenbar die Art und Weise, wie die Pflanzen angebaut werden, die noch viel Potenzial birgt“, sagt Wolfram Mauser.

Wenig mehr zu holen ist dagegen in Westeuropa. „Es gibt kaum eine andere Region auf der Welt, die so intensiv und profitorientiert Landwirtschaft betreibt, außerdem lässt das Klima nicht mehrere Ernten pro Jahr zu. In Subsahara-Afrika dagegen betreiben viele Bauern Subsistenzwirtschaft. Unsere Daten zeigen, dass sich dort gewinnbringend Agrarpflanzen für den Welthandel anbauen ließen“, sagt Mauser. „Bisherige Studien haben nicht berücksichtigt, dass eine am Markt ausgerichtete kommerzielle Landwirtschaft viel höhere Erträge zu erzielen vermag, als das mit den heutigen bäuerlichen Aktivitäten in vielen Ländern der Fall ist, die sich mehr an Traditionen als an wirtschaftlichen Aspekten orientieren. Diese Studien haben deshalb das weltweite Ertragspotential für Nahrungsmittel beträchtlich unterschätzt“, sagt Gernot Klepper.

Nachhaltiger anbauen

In der aktuellen Studie wurden die 18 weltweit häufigsten Nutzpflanzen berücksichtigt, darunter, Reis, Mais, Soja und Weizen, sowie die heute aktuell bewirtschafteten Agrarflächen. In ihrem Modell haben die LMU-Forscher zunächst die heutigen Klimabedingungen zugrunde gelegt. „In weiteren Studien werden wir mögliche Klimaveränderungen einrechnen. Es zeichnet sich jedoch bereits ab, dass sich vermutlich die negativen und positiven Folgen des Klimawandels auf globaler Ebene weitgehend aufheben werden“, sagt Mauser. „Allerdings wird dies wahrscheinlich zu starken Verschiebungen im internationalen Agrarhandel führen, weil der Klimawandel in den nördlichen Regionen die Ertragspotenziale verbessert, während sie in den Tropen eher verringert werden“, ergänzt Klepper.

Die gemeinsame Studie der LMU-Geographen und der IfW-Ökonomen könnte dazu führen, Effizienz und Nachhaltigkeit in der globalen Landwirtschaft regional gezielt zu steigern. Wie die LMU-Geographen in einer früheren Studie zeigen konnten, wäre eine mögliche Expansion der Agrarflächen vermutlich nur auf Kosten der Ökosysteme möglich, etwa weil Waldflächen dafür aufgegeben werden müssten. „Unsere neuen Ergebnisse zeigen, dass der steigende Nahrungsbedarf nicht zwangsläufig zu einem Ausbau der landwirtschaftlichen Flächen führen muss. Er lässt sich zudem mit den derzeit angebauten Pflanzen decken und rechtfertigt somit auch nicht Entwicklung und Anbau von genetisch modifizierten Pflanzen“, sagt Mauser.

(Nature Communications 2015, DOI: 10.1038/ncomms9946)

Mehr zum Thema: Mehr Land, weniger Ernten (vom 18.9.2014)

Wonach suchen Sie?