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Vier neue ERC Advanced Grants an der LMU

31.03.2020

Von der Modellierung kosmischer Strukturen zur Entstehung von Pandemien: Der Europäische Forschungsrat vergibt vier prestigeträchtige Advanced Grants an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der LMU.

Professor Roland Beckmann, Dr. Klaus Dolag, Professor Gregg Mitman und Dr. Silke Robatzek waren in der jüngsten Vergaberunde der ERC-Grants erfolgreich. Sie erhalten jeweils einen Advanced Grant. Für Roland Beckmann und Silke Robatzek ist es bereits der zweite ERC-Grant in ihrer Karriere.

Die Auszeichnung ist mit einer Förderung in Höhe von jeweils maximal 2,5 Millionen Euro (in Ausnahmefällen 3,5 Millionen Euro) verbunden. Die ERC Advanced Grants richten sich an etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Fachbereiche, deren hochinnovative Forschung erheblich über den bisherigen Forschungsstand hinausgeht und neue Forschungsgebiete erschließt.

Die neu geförderten Projekte im Überblick:

Roland Beckmann ist Professor für Biochemie am Genzentrum der LMU. Der Strukturbiologe ist Spezialist für die Methode der Kryo-Elektronenmikroskopie, mit der man die komplexen Strukturen von Biomolekülen atomgenau sichtbar machen kann. Sein besonderes Interesse gilt der Struktur und Funktion von Ribosomen, den Proteinfabriken der Zelle. Dafür macht er die fragile Architektur dieser Zellmaschinerie sichtbar und untersucht Strukturänderungen in verschiedenen Stadien der Proteinproduktion.

Im Rahmen seines neuen ERC-Projekts will Beckmann untersuchen, wie Ribosomen in menschlichen Zellen zusammengebaut werden. Dies ist ein hochkomplexer Vorgang: Jedes Ribosom besteht aus zahlreichen Komponenten, die mithilfe von über 200 Biogenesefaktoren zusammengebaut und in die richtige Architektur gefaltet werden müssen. Ein besseres Verständnis dieses Prozesses ist essenziell, da fehlerhaft aufgebaute Ribosomen zahlreiche Krankheiten verursachen können, die etwa mit Störungen des Skelettsystems oder einer Neigung zu Tumoren verbunden sind. Bisher wurde die Ribosomen-Biogenese vor allem an einfachen Organismen wie Hefe untersucht, die sich aber von derjenigen der Säugetiere erheblich unterscheidet. Beckmann will nun eine vollständige strukturelle Bestandsaufnahme der menschlichen Ribosomen-Biogenese machen und deren Mechanismen weiter charakterisieren. Zudem will er den Prozess in gesunden und erkrankten Zellen vergleichen. „Diese Erkenntnisse werden das Wissen über die menschlichen Ribosomen-Biogenese entscheidend voranbringen und helfen, die Ursachen für die Entstehung Ribosomen-assoziierter Krankheiten besser zu verstehen“, sagt Beckmann.

Roland Beckmann studierte Biochemie an der FU Berlin, wo er 1995 auch promoviert wurde. Anschließend forschte Beckmann an der Rockefeller University in New York (USA), bevor er 2001 die Leitung einer Forschungsgruppe der Volkswagenstiftung an der Charité der Humboldt-Universität in Berlin übernahm. 2006 nahm Beckmann einen Ruf an einen Lehrstuhl für Biochemie an der LMU an.

Klaus Dolag ist Experte für computergestützte Kosmologie. Er leitet das Computational Center for Particle and Astrophysics im Münchner Exzellenzcluster ORIGINS. Während seiner gesamten wissenschaftlichen Laufbahn konzentrierte sich der Astrophysiker auf die Simulation von großräumigen, kosmologischen Strukturen, entwarf dabei völlig neuartige Modellierungen der großräumigen Verteilung der sichtbaren Materie unseres Universums. Er war beispielsweise der erste Forscher, der die Behandlung von Magnetfeldern in Simulationen zur Bildung von Galaxienhaufen einbezog.

In seinem neuen, mit dem ERC Advanced Grant ausgezeichneten Projekt „COMPLEX“ will Dolag nun seine Simulationen weiter verfeinern. Er hat sich zum Ziel gesetzt, zwei extrem unterschiedliche Welten zu kombinieren. Die Simulationen sollen nämlich einerseits die größten Skalen im Universum berücksichtigen, also Galaxienhaufen und großräumige Strukturen, gleichzeitig auch kleine Skalen behandeln, an denen plasmaphysikalische Prozesse beteiligt sind. Auf diese Weise lassen sich, so die Idee, die Schlüsselprozesse identifizieren, die für die Gestaltung der detaillierten Zusammensetzung des größten Teils der sichtbaren Materie in unserem Universum verantwortlich sind. Mithilfe des ERC-Advanced Grants will Dolag eine Arbeitsgruppe aufbauen, die diese speziellen Fragen im Detail numerisch mit Hilfe neu entwickelter Computermodelle untersuchen wird.

Klaus Dolag wurde im Jahr 2000 mit einer Arbeit am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching promoviert und forscht seit 2010 an der Abteilung für Computational Astrophysics der LMU, wo er sich 2012 auch habilitierte. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der Entwicklung numerischer Algorithmen und Codes, leistete Pionierarbeit im Rahmen verschiedener kosmologischer Simulationskampagnen, darunter der bislang weltgrößten kosmologischen hydrodynamischen Simulation, dem sogenannten Magneticum Pathfinder. In den vergangenen Jahren erhielt der Astrophysiker als Teil des internationalen Planck-Teams mehrere wichtige Preisen, darunter 2018 den Gruber Cosmology Prize.

Es ist ein Thema, das wie kaum ein anderes in die gegenwärtige krisenhafte Zeit passt, das in seinen langen Linien historischer Analyse aber weit darüber hinausweist. In dem ERC-Projekt „VIRHIST“ („Bloodborne: Hot Zones, Disease Ecologies, and the Changing Landscape of Environment and Health in West Africa“) geht es um einen multiperspektivischen Blick auf pandemische Bedrohungen. Am Beispiel Westafrikas untersucht der Medizin- und Umwelthistoriker Gregg Mitman die ökologischen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Kräfte, die bestimmte Weltregionen zu profitablen Enklaven für die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und ihres Artenreichtums wegen zu wertvollen Reservoiren für die biomedizinische Forschung gemacht haben. Gleichzeitig gelten diese Regionen als Hot Spots der Entstehung neuartiger Infektionskrankheiten, die die Welt in Atem hielten.

Im Mittelpunkt von Mitmans Projekt steht die Frage, wie westliche Wirtschaftsinteressen einerseits neue Erkenntnisse über die Ökologie von Krankheiten hervorbrachten, andererseits aber die Umwelt und das Artengefüge so veränderten, dass neue Erreger gedeihen konnten. Ein historisches Beispiel ist das Engagement der US-Reifenfirma Firestone in Liberia. Von Beginn des vergangenen Jahrhunderts an unterhielt sie dort riesige Gummiplantagen, die Landschaft und Ökologie, aber auch das soziale Gefüge im Land radikal veränderten. Mitte der 1920er-Jahre schickte Firestone ein Team von Harvard-Wissenschaftlern auf Expedition ins Land, um biologische und medizinische Proben zu sammeln. Die Forscher nahmen Blut und Urin, katalogisierten Parasiten und Viren. Diese Proben und die Erkenntnisse daraus „waren der Stoff, aus dem Nobelpreis, Prestige und medizinische Durchbrüche gemacht waren“, zum Beispiel ein Impfstoff gegen Gelbfieber, rekapitulierte Mitman in einem Beitrag im renommierten Fachblatt New England Journal of Medicine. Darin beschreibt der Historiker eine „Ökologie der Angst“ und die Furcht der Menschen vor einer von Westafrika ausgehenden Ebola-Pandemie.

Gregg Mitman ist Vilas Research and William Coleman Professor of History, Medical History, and Environmental Studies an der University of Wisconsin in Madison, USA. Mitman ist zudem Autor preisgekrönter Bücher und Filmemacher. Zuletzt drehte er die Dokumentationen The Land Beneath our Feet und In the Shadow of Ebola über Liberia. Zahlreiche Forschungsaufenthalte führten ihn unter anderem an die Harvard University, die Princeton University und das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Mitman ist Affiliated Professor and Researcher in Residence am Rachel Carson Center für Umwelt und Geschichte (RCC) der LMU. Den Advanced Grant hat Mitman gemeinsam mit der LMU eingeworben; das Projekt wird er am RCC durchführen.

Silke Robatzek ist Leiterin einer Forschungsgruppe an der Fakultät für Biologie. Die Zellbiologin und Genetikerin untersucht, wie sich Pflanzen mithilfe ihres Immunsystems vor Krankheitserregern schützen. Ein Forschungsschwerpunkt Robatzeks sind dabei die Mechanismen, mit denen Krankheitserreger Immunsignale aktivieren und unterdrücken können. Mit ihren Ergebnissen will sie langfristig dazu beitragen, resistente Nutzpflanzen zu züchten und somit Pflanzenschutzmittel einzusparen.

In ihrem neuen ERC-Projekt wird Robatzek am Beispiel des generalistischen Bakteriums Xylella fastidiosa untersuchen, wie Pathogene über Familiengrenzen hinweg unterschiedliche Arten befallen können. Der auch als Feuerbakterium bezeichnete Erreger besiedelt die Leitbündel von Pflanzen und kann zu deren Austrocknung und Absterben führen. Er befällt mehr als 300 Pflanzenarten und breitet sich zunehmend in Europa aus, wo er insbesondere die Olivenproduktion bedroht. Nach Robatzeks Ansicht könnte die Fähigkeit zur Interaktion mit mehreren Wirtspflanzen durch eine allgemeine Virulenzstrategie erklärt werden. Diesen Ansatz wird die Forscherin näher untersuchen und die bakteriellen und pflanzlichen Faktoren systematisch analysieren, die an der Entstehung der durch X. fastidiosa verursachten Krankheit beteiligt sind. Auf diese Weise will sie besser verstehen, was die Wirtspflanze anfällig macht und welche Immunrezeptoren eine Infektion kontrollieren. „Langfristig ist es unser Ziel, das Immunsystem der Pflanze durch die gezielte Aktivierung von Immunrezeptoren zu unterstützen und so die Krankheit zu bekämpfen“, sagt Robatzek. „Zudem könnten unsere Ergebnisse auch der Entwicklung ähnlicher Strategien gegen andere Gefäßpathogene den Weg ebnen.“

Silke Robatzek studierte Biologie an der Universität Göttingen. Anschließend promovierte sie am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung (MPIZ) in Köln. Nach Stationen am Friedrich-Miescher-Institut für Biomedizinische Forschung (Novartis) in Basel (Schweiz) sowie am Botanischen Institut der Universität Basel leitete sie ab 2005 eine Forschungsgruppe am MPIZ, bevor sie 2009 die Leitung einer Forschungsgruppe am The Sainsbury Laboratory in Norwich (Großbritannien) übernahm. Seit 2018 forscht Robatzek am Biozentrum der LMU und wird mit einem Heisenberg Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt.

Professor Magdalena Götz hat gemeinsam mit dem Helmholtz Zentrum München einen Advanced Grant für ihr Projekt "NeuroCentro" ("Novel Mechanisms of Neurogenesis - from Centrosome to Engineering Migration") eingeworben. Magdalena Götz ist Direktorin des Instituts für Stammzellforschung am Helmholtz Zentrum München und Inhaberin des Lehrstuhls für Physiologische Genomik an der LMU.

Im Projekt „Biomedical Applications of Radioactive Ion Beams“, gefördert mit einem ERC Advanced Grant, wollen Forscher am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt (PI Professor Marco Durante) die Wirksamkeit von radioaktiven Ionenstrahlen zur Behandlung von Tumoren mit gleichzeitiger Visualisierung des Strahls untersuchen. Professor Katia Parodi , Inhaberin des Lehrstuhls für Medizinische Physik an der LMU, wird als Projektpartnerin einen neuartigen kombinierten Detektor entwickeln, der die bei der Behandlung entstehenden schnellen und verzögerten Photonen-Emissionen zur Sichtbarmachung des Strahls nutzt und damit eine bisher nicht gekannte Genauigkeit der Strahlapplikation ermöglichen soll.

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