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Vier neue ERC-Grants für die LMU

22.03.2017

Von den Bausteinen des Lebens bis hin zur künstlichen Intelligenz: Der Europäische Forschungsrat vergibt ERC Advanced Grants an vier LMU-Forscher.

Professor Thomas Carell vom Department Chemie, Professor Hinrich Schütze vom Centrum für Informations- und Sprachverarbeitung, Professor Ludger Klein von der Medizinischen Fakultät und Professor Jonathan Harrington vom Institut für Phonetik und Sprachverarbeitung waren in der jüngsten Vergaberunde der ERC-Grants erfolgreich. Für Jonathan Harrington ist es bereits der zweite ERC Advanced Grant in seiner Karriere.

Die Auszeichnung ist mit einer Förderung in Höhe von jeweils maximal 2,5 Millionen Euro (in Ausnahmefällen 3,5 Millionen Euro) verbunden. Die ERC Advanced Grants richten sich an etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Fachbereiche, deren hochinnovative Forschung erheblich über den bisherigen Forschungsstand hinausgeht und neue Forschungsgebiete erschließt.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der LMU sind seit Beginn der Ausschreibungen im Jahr 2007 sehr erfolgreich. Die LMU ist dem jüngsten „Annual Report on the ERC activities and achievements" des Europäischen Forschungsrats zufolge die deutsche Universität mit den meisten ERC-Grants.

Mehr zu den neu geförderten Projekten :

Professor Thomas Carell ist Professor für Organische Chemie an der LMU. Er erforscht die Chemie des epigenetischen Codes, mit dem die Zellmaschinerie auf Umwelteinflüsse und Veränderungen während der Differenzierung von Zellen reagiert.

In seinem neuen ERC-Projekt „The Chemical Basis of RNA Epigenetics“ geht Thomas Carell der Frage nach, wie und warum der Organismus Nukleinsäuren wie die DNA aber auch die RNA und hier besonders die Boten-RNA (messenger RNA) chemisch modifiziert. Dabei handelt es sich um eine Art genetischen Zusatzcode, der darüber bestimmt, welche Gene des Erbgutes zu welchem Zeitpunkt aktiv oder befristet stillgelegt sind. Damit kann ein Organismus – unter Umständen auch schnell – die Aktivität seiner Gene regulieren. Für diese zweite Informationsebene werden die RNA- oder auch DNA-Bausteine zum Teil ganz massiv chemisch verändert. Mittlerweile sind schon rund 150 solcher Nukleosid-Varianten bekannt, doch könnte es, so Carell, noch weit mehr geben. Der Chemiker hat sich zum Ziel gesetzt, diese Varianten und ihre Funktionen zu entschlüsseln.

Das neue Projekt Carells wird nicht nur neue Einblicke in die Struktur und Funktion der Bausteine des Lebens geben, sondern auch wesentliche neue Erkenntnisse zur Entstehung des genetischen Codes beitragen. Nach der sogenannten RNA-Welt-Hypothese ging der biologischen Evolution eine chemische voraus, bei der die RNA und hier auch die modifizierten Basen möglicherweise eine entscheidende Rolle gespielt haben. So konnte Carell bereits einen Reaktionsmechanismus aufzeigen, der unter den präbiotischen Bedingungen der frühen Erde zur Bildung komplexer Biomoleküle geführt haben könnte, wie er 2016 im Fachmagazin Science berichtete.

Thomas Carell wurde 1966 in Herford geboren. Er studierte an der Universität Münster und promovierte am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg. Von 1993 bis 1995 war er Postdoctoral Fellow bei Professor Julius Rebek am MIT in Cambridge, USA, und von 1995 an Juniorgruppenleiter an der ETH Zürich. Eine Professur an der Universität Marburg führte ihn im Jahr 2000 wieder zurück nach Deutschland, seit 2004 hat er eine Professor an der LMU inne.

Mehr zur Forschung von Thomas Carell : Die Chemie vom Ursprung: Vor der biologischen muss es eine chemische Evolution gegeben haben, in deren Verlauf sich komplexe Biomoleküle bildeten. LMU-Chemiker haben nun einen Reaktionsweg gefunden, durch den zentrale Bausteine des Lebens entstanden sein könnten. (vom 13.5.2016)

Professor Jonathan Harrington ist Professor für Phonetik und digitale Sprachverarbeitung und Direktor des Instituts für Phonetik und Sprachverarbeitung an der LMU. Er ist einer der wenigen Wissenschaftler weltweit, denen es gelungen ist, in ihrer Karriere einen zweiten ERC Advanced Grant einzuwerben. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die experimentelle Phonetik und Laborphonologie, die Entwicklung von Sprachdatenbanken und der Lautwandel.

In seinem neuen ERC-Projekt will Harrington klären, wie sich Akzente durch menschliche Interaktion beim Sprechen entwickeln, und wie sich diese wiederum auf den Wandel und die Vielfalt von Sprachen auswirken. Dahinter steht im Grunde die Frage, welche Folgen Akzentveränderungen einzelner Personen für die gesprochene Sprache in einer Sprachgemeinschaft haben können.

Harrington wird ein Modell entwickeln, das Vorhersagen darüber erlaubt, wie zufällige lokale Interaktionen zwischen Individuen zu gruppenspezifischen Akzenten führen. Dafür werden die Forscher unter anderem auf Daten der Sprach- und Akzententwicklung bei Kindern zurückgreifen, die im ländlichen Raum aufwachsen, sowie von Gleichaltrigen, die in einer städtischer Umgebung leben. Zudem werden Sprachdaten von Gruppen erhoben, die über mehrere Monate von ihrer Außenwelt isoliert leben, etwa während des antarktischen Winters. Das Projekt soll mit einem Agenten-basierten Computermodell erklären können, wie die Laute eines Akzentes oder Dialektes durch alltägliche sprachliche Kommunikation zwischen Sprechern, die regelmäßig zueinander Kontakt haben, geprägt werden, und wie Akzente, wenn sie voneinander isoliert sind, sich zu unterschiedlichen Sprachen mit verschiedenen Lautsystemen entwickeln können. Das Projekt soll auch zur Beantwortung der Frage beitragen, wie Migration und Kontakt zu anderen sprachlichen Varietäten eine Sprache langfristig beeinflussen.

Jonathan Harrington wurde 1958 in England geboren. Er studierte am Downing College der University of Cambridge, wo er 1986 im Fachgebiet Linguistik auch promovierte. Er lehrte und forschte an der University of Edinburgh und an der Macquarie University in Sydney, Australien. 2002 übernahm er den Lehrstuhl für Phonetik und digitale Sprachverarbeitung an der Universität Kiel, bevor er 2006 nach München wechselte. Ende 2011 wurde Harrington zum ersten Mal mit einem Advanced Investigators Grant ausgezeichnet.

Mehr zur Forschung von Jonathan Harrington : Soundcheck: Der Phonetiker Jonathan Harrington vermisst mit naturwissenschaftlichen Methoden, auf welche Weise Menschen Laute formen und sie wahrnehmen (vom 1.6.2012)

Ludger Klein ist Professor am Institut für Immunologie der Medizinischen Fakultät der LMU. Der Immunologe forscht über das adaptive Immunsystem, das den Körper gegen Infektionen durch Krankheitserreger schützt und gleichzeitig tolerant gegenüber körpereigenen Strukturen ist. Ist diese Balance gestört, kann dies unter anderem zu Autoimmunkrankheiten wie Multipler Sklerose führen. Kleins Arbeitsgruppe untersucht, wie immunologische Toleranz innerhalb des Repertoires an T-Zellen aufrechterhalten wird. Besonderes Augenmerk legt er dabei auf die Rolle der Thymusdrüse. Hier reifen täglich Millionen von T-Zellen heran, wobei jede mit einem individuellen Antigen-Rezeptor ausgestattet wird. Da dies nach einem „Zufallsgenerator-Prinzip“ geschieht, entstehen dabei unvermeidlich zunächst auch T-Zellen, die den eigenen Körper angreifen könnten.

In seinem ERC-Projekt will Ludger Klein genauer untersuchen, wie solche potenziell gefährlichen T-Zellen noch innerhalb des Thymus entschärft werden. Paradoxerweise kann dies durch zwei völlig unterschiedliche Mechanismen geschehen, und Klein will nun Klarheit darüber schaffen, nach welchen Kriterien autoreaktive T-Zellen entweder in den programmierten Zelltod getrieben oder zu sogenannten regulatorischen T-Zellen umprogrammiert werden. Um diese Fragen zu beantworten, wird der Immunologe modernste Technologien einsetzen: So wird er zum Beispiel mithilfe der Sequenzierung von T-Zell-Rezeptoren, bei der die auf den Rezeptoren gespeicherten Informationen automatisch ausgelesen werden, die T-Zellen vor und nach ihrem Reifeprozess in der Thymusdrüse vergleichen.

Ludger Klein, Jahrgang 1965, ist seit Dezember 2007 Professor für Zelluläre Immunologie an der LMU. Er studierte Biologie an der Universität zu Köln und schrieb seine Diplomarbeit am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln. Klein erlangte den Titel des Dr. rer. nat. mit praktischen Arbeiten am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg und wurde 1997 an der Universität zu Köln promoviert. Von 1997 bis 1999 arbeitete er als Postdoktorand am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg in der Arbeitsgruppe von Bruno Kyewski und von 1999 bis 2002 am Dana Farber Cancer Institute in Boston in der Arbeitsgruppe Harald von Boehmers. Anschließend war er Arbeitsgruppenleiter „T-Zell-Toleranz“ am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie in Wien.

Mehr zur Forschung von Ludger Klein : Neue Funktion von B-Zellen entdeckt: Die klassische Funktion von B-Zellen ist die Antikörper-Produktion. LMU-Forscher haben nun eine bislang unbekannte Rolle dieser Immunzellen nachgewiesen: In der Thymusdrüse treiben sie unerwünschte T-Zellen in den Zelltod und verhindern damit Autoimmunerkrankungen. (vom 10.6.2015)

Hinrich Schütze ist seit 2013 Professor für Computerlinguistik und leitet das Centrum für Informations- und Sprachverarbeitung an der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften der LMU. Sein Forschungsschwerpunkt ist die statistisch-basierte maschinelle Verarbeitung von Sprache.

In seinem ERC-Projekt widmet sich Hinrich Schütze der Technologie des Natural Language Processing (NLP) mit dem Ziel, die Kommunikation zwischen Menschen und Maschinen zu erleichtern. Computerprogramme, die auf NLP basieren, können Texte und gesprochene Sprache erkennen und analysieren sowie diese übersetzen und selbst erzeugen. Dabei bleiben die Fähigkeiten der Rechner jedoch noch immer weit hinter dem menschlichen Verständnis von Sprache zurück. Das gilt besonders für Sprachen, die morphologisch komplexer sind als das Englische, wie etwa Tschechisch, sowie für Texte auf Social-Media-Plattformen, die oft umgangssprachlich oder fehlerhaft sind, und dort veröffentlichte Ton- und Videoaufnahmen, die störende Hintergrundgeräusche haben.

Hinrich Schütze wird in seinem ERC-Projekt ein neues Verfahren entwickeln, durch das Sprache besser analysiert werden kann. Dabei wählt er eine andere als die bisher übliche Herangehensweise, bei der das rechnergestützte Erkennen von Sprache darauf basiert, dass Text durch starre Regeln in Zeichenfolgen segmentiert wird. Hinrich Schütze setzt stattdessen auf Methoden, die Bedeutung von Zeichenkonfigurationen im Kontext erkennen können, und wird damit die künstliche Intelligenz von Maschinen entscheidend weiterentwickeln.

Geboren wurde Hinrich Schütze 1964 im niedersächsischen Celle. Er studierte an der Technischen Universität Braunschweig sowie der Universität Stuttgart und promovierte an der Stanford University in Kalifornien, USA. Anschließend arbeitete Schütze fünf Jahre am nahe gelegenen Xerox Palo Alto Research Center und weitere fünf Jahre im Silicon Valley bei Suchmaschinen- sowie Textminingunternehmen. 2004 übernahm Schütze eine Professur für Computerlinguistik in Stuttgart, bevor er 2013 an die LMU wechselte.

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