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Von Ausbeutung und Rassismus in der Antike

06.11.2023

Interview mit Historiker John Weisweiler über diskriminierende Topoi im Römischen Reich und Parallelen zur Moderne.

Römisches Mosaik, das eine Szene zwischen Fructus und Sklaven zeigt

Ein römisches Mosaik vom Ende des 2. / Anfang des 3. Jahrhunderts n.Chr. | © akg-images / André Held

Das alte Rom war nicht nur äußerst gewalttätig, auch diskriminierende Topoi waren allgegenwärtig – und wirken noch immer auf fatale Weise nach, so Historiker John Weisweiler. Im Rahmen der Ringvorlesung „Ausgegrenzt! Diskriminierung und Rassismus im Mittelalter“ hält der Professor für Alte Geschichte gemeinsam mit seinem Kollegen Professor Martin Zimmermann am 9.11.2023 einen Vortrag zum Thema „Diskriminierung und Rassismus im Imperium Romanum“.

Beim Stichwort Diskriminierung im alten Rom, fällt einem sofort die Sklaverei ein. Zu Recht?

John Weisweiler: Der Begriff Diskriminierung trifft es nicht ganz. Sklaven waren nicht nur eine diskriminierte, sondern eine ausgebeutete Gruppe, der große Gewalt angetan wurde. Den Philosophen und Intellektuellen war damals klar, dass das System nicht zu rechtfertigen ist. Es wurde als brutale, aber unvermeidliche Realität verstanden.

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Diskriminierung und Rassismus im Imperium Romanum

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Welche diskriminierenden Vorstellungen herrschten in der Antike vor?

Es gab durchaus Theorien von einer Hierarchie der Völker – was nicht überrascht, denn der antike Mittelmeerraum wurde von Imperien kontrolliert, die auf der Ausübung enormer Gewalt beruhten. Diese extremen Formen der Ungleichheit wurden in der Regel nicht genetisch begründet. Am wichtigsten war die sogenannte Umwelttheorie ethnischer Differenz. Sie behauptete, das vergleichsweise raue Klima nördlich des Römischen Reichs habe die Kelten und Germanen abgehärtet, aber nicht die geistige Selbstkontrolle hervorgebracht, die zur Herrschaft befähige. Das Klima im Süden wiederum habe es ermöglicht, die intellektuellen, nicht aber die physischen Kapazitäten auszubauen. Über die perfekte Mischung verfügten demnach nur die Mittelmeervölker – nicht zufällig die Gruppe, von der die Theorie stammt. Der moderne Rassismus speist sich aus diesen Quellen.

Was ist bekannt über die Diskriminierung von Frauen in der Antike?

Sowohl Griechenland als auch Rom waren enorm patriarchalische Gesellschaften. Der Besitz lag in der Hand von Männern, mit einer Besonderheit: Weil das römische Recht verhindern wollte, dass mit einer Ehe das Geld des einen Pater familias in die Hände des anderen überging, galt eine strenge Gütertrennung. Für die Frauen war das von Vorteil: Starb der Vater, konnten sie über dessen Geld verfügen.

Wie wurde ihre Diskriminierung begründet?

Die meisten antiken medizinischen Theorien gingen von der Vorstellung aus, dass es ein ideales Geschlecht gebe – den Mann. Frauen seien defizitäre Männer, denen im Mutterleib die nötige Wärme gefehlt habe, männliche Geschlechtsorgane sowie innere und äußere Stärke auszubilden. Männer wiederum wurden aufgefordert, möglichst männlich zu sein. Gaben sie sich Ausschweifungen hin, drohten sie in der damaligen Vorstellung zu verweiblichen. Das galt auch für passive homosexuelle Praktiken. Etwas Ähnliches wie Transsexualität scheint es gegeben zu haben, am berühmtesten ist das Beispiel Kaiser Elagabals, der sich angeblich als Frau fühlte und eine Geschlechtsumwandlung vornehmen wollte.

Wurden Alte, Kranke, Behinderte diskriminiert?

Armut und Krankheit kommen in den antiken Quellen viel seltener vor als in den Texten des Mittelalters. Das liegt daran, dass man im Christentum gern die eigene Moral demonstrierte, indem man Armen, Kranken, Waisen und Witwen Gutes tat. In den vorchristlichen Religionen hören wir nichts von solchen Praktiken. Aber das muss nicht heißen, dass Heiden ihre Kranken und Armen schlechter behandelten, als Christen dies taten. Die wichtigste Unterscheidung in der antiken Stadt war jedenfalls nicht die zwischen krank und gesund oder alt und jung, sondern die zwischen Bürgern und Nichtbürgern.

Diskriminiert wurde, wer kein Bürgerrecht besaß?

Genau.

Was lässt sich für die Gegenwart lernen aus der Beschäftigung mit Diskriminierung und Rassismus der damaligen Zeit?

Dass viele wichtige Elemente des modernen Rassismus schon in der Antike existierten. Gerade die Klimatheorie wirkt stark nach. Sie steckt etwa hinter modernen rassistischen Behauptungen, die zu belegen versuchen, warum Afrika unterentwickelt sei. Wir sehen bei der Beschäftigung mit der Antike, dass Rassismus nicht aus dem Nichts entsteht. Er entsteht in ausbeuterischen, auf enormer Ungleichheit gründenden Gesellschaften, die Ideen übernehmen, die ihren Interessen nützen und genau diese Verhältnisse legitimieren.

Fanden Sie irgendeine diskriminierende Argumentation besonders abstrus?

Überraschend ist eher, wie phantasielos die Bilder gestrickt sind. Ganz gleich, ob es um Sklaven, Frauen oder ethnische Gruppen geht: Die Topoi wiederholen sich. Das Muster ist immer wieder, dass sich hierarchisch überlegene Gruppen höhere Selbstkontrolle zuschreiben und daraus folgern, dass die ausgebeuteten Gruppen ihrer Herrschaft bedürfen. Darauf greift man bis in der Moderne gern zurück.

Ist das Thema Diskriminierung und Rassismus in der Antike bereits hinreichend erforscht?

Es gibt zwar einige sehr gute Arbeiten dazu, aber es ist durchaus möglich, dass aktuelle Diskussionen einen neuen Blick auf die Antike eröffnen. Die Fragestellung, die wir Historiker haben, speist sich ja immer aus der Welt, in der wir leben. Ändert sich die Sicht auf eine bestimmte Problematik, ändert sich auch das, was uns an der Antike interessiert.

Zur Person:

John Weisweiler ist Inhaber der Professur für Alte Geschichte mit Schwerpunkt Römisches Reich und Spätantike. Sein Forschungsschwerpunkt sind die Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte römischer Eliten, insbesondere mit Blick auf gesellschaftliche Ungleichheit.

Ringvorlesung des Zentrums für Mittelalter- und Renaissancestudien: Ausgegrenzt! Diskriminierung und Rassismus in Mittelalter und Renaissance

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