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Wahrscheinlichkeiten mit Weinreben

13.03.2023

Neu an der LMU, modelliert der Mathematiker und Statistiker Professor Thomas Nagler Abhängigkeiten, bei denen der Zufall doch eine Rolle spielt.

Ob Galaxien, Aktienkurse oder Windrichtungen: Das Modell, mit dem sich Professor Thomas Nagler insbesondere befasst, erlaubt die Berechnung „zufälliger Abhängigkeiten“: „Immer wenn sich Dinge zufällig verhalten, aber doch irgendwie zusammenhängen, kann man mit den sogenannten Copula-Modellen etwas berechnen“, so der Mathematiker und Statistiker.

Mit diesen Modellen für stochastische Abhängigkeiten beschäftigte sich der gebürtige Münchner bereits in seiner Masterarbeit in Mathematik an der Technischen Universität München (TUM). Dort promovierte er anschließend auch zu diesem Thema und „rutschte dabei in die Statistik“, ein Fach, das er bereits bei einem Auslandssemester im belgischen Leuwen kennengelernt hatte. Als Assistenzprofessor ging er sodann an die Universität Leiden in den Niederlanden, wo er Teil einer großen Forschungsgruppe im Bereich Mathematische Statistik war und einen wichtigen Lehrpreis gewann. Nach einer einjährigen Tätigkeit an der Technischen Universität Delft folgte er im April 2022 schließlich dem Ruf an die LMU.

Prof. Nagler mit Blick in die Kamera auf Sofa. Tablet in der Hand.

Professor Thomas Nagler

© lcproductions

Naglers Forschungsgebiet ist „eine Mischung aus Mathematik und Statistik“, wie er erklärt – und spannt sich von theoretischer Arbeit bis zu praktischer Software-Implementierung. Besonders intensiv befasst er sich dabei nach wie vor mit Copula-Modellen: Funktionen, die einen funktionalen Zusammenhang zwischen den Randverteilungsfunktionen verschiedener Zufallsvariablen und ihrer gemeinsamen Wahrscheinlichkeitsverteilung angeben können.

„Ein einfaches Beispiel ist ein Vergleich etwa der BMW- und der Audi-Aktie: Meistens gehen beide am selben Tag hoch oder runter – denn wenn die Bedingungen gerade gut sind für den Automobilsektor, sind sie es für beide Aktien.“ Es bestehe also eine gewisse Abhängigkeit, die jedoch stochastisch sei. „Man kann also nicht sagen, wenn die eine Aktie um 2 Prozent steigt, steigt die andere um 3! Stattdessen steigt sie mal um 3, mal um 1, mal um 0,5 Prozentpunkte. Das heißt, es ist noch eine gewisse Zufälligkeit im Spiel.“

Lehren aus der Krise

Aufsehen erregten die Copula-Modelle zuerst in der Finanzmathematik – etwas unrühmlich als The formula that killed Wall Street, so der Titel eines New-York-Times-Artikels während der Lehmann-Brothers-Krise. „Das war ein spezielles Copula-Modell, ein sogenanntes Gauss-Copula-Modell“, so Nagler. „Man war davon ausgegangen, dass die Kredite, die in Banken angesammelt worden waren, einer leichten Abhängigkeit unterlägen.“ Nicht richtig berücksichtigt wurde dabei, dass diese Abhängigkeit in Crash-Szenarien deutlich stärker ist als in Boom- oder Ruhephasen. Dabei sei das eigentlich die große Stärke dieser Modelle: Auf Basis der Daten aus vergangenen Ereignissen könne man „Stresstest-Szenarien“ simulieren und analysieren: „Was wäre, wenn wir in einem Crash wären? Es kristallisierte sich heraus, dass wir diese flexibler und genauer modellieren und Unterschiede sowie Asymmetrien abwägen müssen – und da kamen die Vine-Copula-Modelle ins Spiel, an denen ich ganz besonders viel geforscht habe.“

Mit Vine-Copulas – Grund für den Namen ist die graphische Darstellung, die zumindest in einfachen Fällen wie eine Weinrebe aussieht – modelliere man ein „hochdimensionales Problem“, indem man die Abhängigkeiten jeweils paarweise betrachte. Das sei viel einfacher, weil man nicht alle zehn auf einmal analysiere und diese sich kreuz und quer überschneiden.

„Sowohl in der Akademie als auch in der Industrie gibt es bislang viele Kooperationen“, so Nagler. In einem Projekt mit einem Automobilzulieferer ging es um „Automated Driving“, in Projekten mit Astronomen um die Abhängigkeiten der Eigenschaften von Galaxien zueinander. Und mit Umwelt-Ingenieuren berechnete Nagler, wie sich Windrichtungen und -winkel im Verlauf der Zeit zueinander ändern. In der Zukunft sieht der Mathematiker zahlreiche Kooperationsmöglichkeiten auch innerhalb der LMU, etwa mit der Ökonometrie.

Studierende von Astronomie bis Informatik

Neben der Forschung an den Copula-Modellen ist Nagler als Principal Investigator am Munich Center for Machine Learning beteiligt. „Dabei interessiere ich mich insbesondere für das Quantifizieren von Unsicherheiten in Vorhersagen“, so Nagler. Die Grundfrage sei dabei: „Wenn man auf Zeitreihen Vorhersagen betreiben möchte: Wie kann man die Abhängigkeiten zwischen den Zeitpunkten korrekt einfließen lassen?“

Bei aller Begeisterung für seine Forschung ist Nagler auch die Lehre sehr wichtig. In München gebe er als Mathematiker erstmals Unterricht an einem Statistikinstitut. „Es ist immer auch eine interessante Herausforderung, die eigene Lehre der Studierendenschaft anzupassen.“ Schon zuvor hatte er eine heterogene Studierendenschaft unterrichtet – von Studierenden der Astronomie über das Flugingenieurswesen bis zur Informatik.

An der LMU hat Nagler sich insbesondere die mathematische Grundausbildung zur Aufgabe gemacht. „Diese wird später im Studium einmal sehr wichtig sein, auch wenn die Studierenden es jetzt noch nicht wissen.“ Das sei sein Vorteil als Mathematiker und zugleich Statistiker: „Als Mathematiker unterrichte ich mit dem Wissen, was in der Statistik später unbedingt gebraucht wird.“

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