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Wissenschaftsjahr 2023: Die größte Geschichte aller Zeiten

19.04.2023

„Unser Universum“ ist Thema des Wissenschaftsjahrs 2023, das das Bundesministerium für Bildung und Forschung ausrichtet. Auch die LMU steuert ein vielfältiges Programm bei.

Professor Lesch, Brille, oranger Pullover, gestikulierend im Interview

Professor Harald Lesch | © Stephan Höck

Sie haben sich zum Ziel gesetzt, im Rahmen des Wissenschaftsjahrs die „Größte Geschichte aller Zeiten“ zu erzählen. Was ist damit gemeint?

Professor Harald Lesch: Wir wollen die Geschichte des Universums erzählen – von der Entstehung und Strukturbildung des Universums über die Entstehung der Sterne, Planeten und schließlich des Lebens auf unserem Planeten bis hin zum Anthropozän: Das heißt, wir wollen das Lebewesen in den Blick nehmen, das das Feuer zu beherrschen gelernt hat und diesen Planeten verändert hat wie kein anderes – mit allen Folgen: den Mensch.

Wie erzählt man so eine Geschichte in ihrer Komplexität?

Harald Lesch: Wir wollen zeigen, dass wir selbst Teil des Universums sind. Eine Erzählung kann so gehen: Ab der 7. Klasse lernen Schüler die chemischen Elemente kennen. Die Frage ist: Woher kommen die, wenn das Universum nur die leichten Elemente Helium und Wasserstoff hervorgebracht hat? Woher kommen die Elemente, aus denen wir sind: Eisen fürs Blut, Fluor für die Zähne et cetera? Aus Explosionen massereicher Sterne, aus Supernovae! Das kann man wie einen Gerichtsprozess erzählen, schließlich hat man es in gewisser Weise mit den Teilen einer „Sternleiche“ zu tun: Wer hat sie umgebracht? Was ist passiert? Wir brauchen die „Spurensicherung“ – eine Nachfrage bei der Massenspektrografie kann Klärung bringen. Das ist wie bei Sherlock Holmes: Was wissen wir? Was haben wir? Was können wir daraus schließen? Man muss diese Geschichte möglichst spannend erzählen und immer auch betonen: Was hat das mit mir selbst zu tun?

Die Organisatorinnen und Organisatoren des Wissenschaftsjahrs an der LMU.

Dr. Cecilia Scorza, gestikulierend im Interview. Im Hintergrund Aufnahmen von Galaxien aus dem Wendelstein-Observatorium

Dr. Cecilia Scorza-Lesch | © Stephan Höck

Stellt sich das Publikum tatsächlich diese Frage, wenn es eine Veranstaltung zum Universum besucht?

Harald Lesch: Wenn es um das Universum geht, dann wollen die Leute in der Tat zumeist etwas hören über schwarze Löcher, schwarze Materie, Leben im Universum – möglichst mystisch und rätselhaft aufgeladen. Dabei wirken dort auch nur die gleichen Naturgesetze wie auf der Erde. Und wie die wirken, kann man sehen, wenn man den Blick um 180 Grad dreht und unseren Planeten anschaut – ganz ohne Mythen und Rätsel: Es wird wärmer, Schnee und Eis schmelzen an den Polkappen … Das sind Fakten! Und wenn wir glauben, uns auf irgendeine Art und Weise an den Naturgesetzen vorbeimogeln zu können, wird’s bitter. Denn der Gerichtshof der Naturgesetze kennt kein „in dubio pro reo“, er kennt keine Geschworenen und keine Rechtsanwälte und die Urteile sind hart und die Guillotine schlägt sofort zu … Was wir wollen, ist, die Leute zu inspirieren und ihnen klarzumachen, dass wir Teil des Universums sind und verstehen müssen, wie einzigartig und schützenswert unser Planet ist.

Was ist zum Wissenschaftsjahr 2023 an der LMU noch geplant?

Dr. Cecilia Scorza-Lesch: Durch die Förderung, die für unser Projekt bewilligt wurde, haben wir die Möglichkeit, mehrere Aspekte zum Themenkomplex „Unser Universum“ in den Blick zu nehmen. Im April startet „Die größte Geschichte aller Zeiten“ – eine Vortragsreihe, die uns erklärt, wie unsere Existenz mit dem Universum zusammenhängt. Die Reihe startet am 25. April mit einem Vortrag von Harald Lesch, der von Christoph Süß moderiert wird. Es folgen weitere Vorträge von Professorinnen und Professoren der Astrophysik der LMU und des Exzellenzclusters ORIGINS im Sommer- und im Wintersemester. Zudem gibt es verschiedene Projekte, mit denen Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufen I und II sowie Grundschüler angesprochen werden sollen.

Dr. Arno Riffesser gestikulierend im Interview. Im Hintergrund eine Tafel mit mathematischen Formeln

Dr. Arno Riffeser | © Stephan Höck

Sie haben ein umfangreiches Schulprogramm im Wissenschaftsjahr. Wie kann man diese Geschichte Schülerinnen und Schülern erzählen?

Dr. Arno Riffeser: Wir erstellen derzeit eine Videodokumentation über unsere Arbeit am Wendelstein-Observatorium und wie dort Wissen entsteht. Daran schließt sich ein Schülerwettbewerb an, wobei es um die Suche nach Exoplaneten geht, also Planeten außerhalb des Sonnensystems, die um Sterne kreisen. Die Suche nach ihnen ist ein Projekt am Observatorium. Man kann diese Planeten nicht sehen, aber es ist möglich, sie zu finden und zum Beispiel ihre Masse zu bestimmen. Das geht recht einfach: Jeder Stern, der von Planeten umkreist wird, wackelt ein bisschen. Das können wir mit dem Spektrographen messen. Anhand dieser Bewegungen können wir ermitteln, wie groß ein Planet ist, der an einem Stern zieht. Im Rahmen des Wettbewerbs zeigen wir Schülerinnen und Schülern anschließend, wie wir das messen können. Und sie sollen dann etwa selbst mit einem von uns entwickelten Computerprogramm berechnen, welche Masse ein Planet hat, wie schwer und wie weit weg er vom Stern entfernt ist.

Die drei besten Schülergruppen werden an einer Astro-Schülerakademie bei uns teilnehmen und das Wendelstein-Observatorium besuchen. So bekommen die Schülerinnen und Schüler einen Einblick in die Forschung und lernen, dass hinter allem Naturgesetze stehen. Wichtig ist natürlich, die Fachsprache auszublenden und die Inhalte für die Jugendlichen verständlich darzustellen und auch in der Praxis zu zeigen.

Cecilia Scorza: Wir bringen Forschung in die Schule. Nicht nur für Schülerinnen und Schüler in der Oberstufe. Für Grundschulkinder haben wir das „Blaue-Perle-Programm“ entwickelt, mit dem sie nicht nur unser Sonnensystem anhand von Modellen und Bildern aktiv erkunden, sondern vor allem verstehen können, warum unsere Erde so einzigartig ist. Sofort wählen die Kinder einen Lieblingsplaneten aus, sei es Mars, Saturn oder Jupiter. Wir erklären ihnen dann zum Beispiel, warum es auf den anderen Planeten kein Leben geben kann – weil es zum Beispiel zu heiß oder zu kalt ist.

Am Ende ist dann meist die Erde der Lieblingsplanet. So können wir die Kinder schon sensibilisieren, damit behutsam umzugehen. Im September wird dann auch ein Heft zum Pale blue dot von mir und Harald Lesch erscheinen. Wir erzählen die Geschichte hinter dem Bild. Das ist ein Bild der Erde, das Anfang der 90er-Jahre von der Raumsonde Voyager I aus über sechs Milliarden Kilometer Entfernung gemacht wurde.

Die Studentin Christine Freitag gestikulierend im Interview

Christine Freitag | © Stephan Höck

Christine Freitag: Wir haben das schon mit einer Grundschulklasse erprobt, indem wir ihnen das Bild gezeigt haben, auf dem sie die Erde mit der Lupe suchen konnten. Das ist ein enormer Eindruck, der bei den Kindern entsteht, und sie sind auch beeindruckt, wenn wir ihnen erklären, wie die Erde aus Staubkörnern entstanden ist und woher sie das Wasser bekam.

Harald Lesch: Der Astrophysiker Carl Sagan, der die Produktion des Bildes in den 70er-Jahren angeregt hat, hat ein sehr emotionales Statement dazu abgegeben: „Schau, da leben wir und alle, die du liebst. Hier haben alle Menschen gelebt. Das ist unser Planet.“ Das ist ein sehr emotionales Bild.

Wir reagieren die Eltern auf diese Denkanstöße?

Cecilia Scorza: Zumeist gut, aber es gibt tatsächlich auch Beschwerden. Etwa, dass es von den Kindern im Hinblick auf den Klimaschutz kritische Nachfragen zum nächsten Urlaubsflug gebe oder warum jetzt beim Einkauf eine Plastiktüte nötig sei. Wir antworten dann nur: „Sie haben ein tolles Kind!“ Ältere Schülerinnen und Schüler fragen oft, was sie für den Klimaschutz machen sollen. Wir empfehlen ihnen, in Gruppen konkrete Klimaschutzprojekte durchzuführen, um Selbstwirksamkeit zu erfahren.


Wie reagieren Sie auf Skeptiker der Wissenschaft, wie es sie ja spätestens seit der Corona-Pandemie vermehrt gibt?

Arno Riffeser: Ja, es gibt eine gewisse Wissenschaftsskepsis – vermittelt natürlich auch durch die Online-Medien. Unsere Aufgabe muss es deswegen sein, den Schülern zu vermitteln, was Wissenschaft ist. Dass es Naturgesetze gibt, dass es Messungen gibt, dass wir gewisse Vorhersagen machen können, die aber nicht zwingend eintreffen müssen. Wenn sie nicht eintreten, ist es kein Fehler der Wissenschaft, sondern die Wahrscheinlichkeiten waren andere. Es wird bei Aussagen immer betont, dass eine gewisse Fehleranfälligkeit bleibt. Das war auch bei den Corona-Modellen so, als es um die Mortalität ging.

Harald Lesch: Wichtig ist, immer klarzumachen, dass wir als Wissenschaftler mit Fakten arbeiten. Jeder hat ein Recht auf eigene Meinungen, aber nicht auf eigene Tatsachen. Wir können nur Optionen zeigen: Wenn man dies tut, passiert das oder jenes. Aber Forschung darf kein Selbstbedienungsladen für Meinungen sein. Gerade deswegen ist so etwas wie das Wissenschaftsjahr eine großartige Möglichkeit, der Öffentlichkeit zu präsentieren, was wir machen. Wir haben als Wissenschaftler auch die Verantwortung, zu berichten und auch aufzuzeigen, was unser Tun täglich für Folgen hat.

Das Wissenschaftsjahr wird vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung gefördert. Die Veranstaltungen an der LMU finden in Zusammenarbeit mit dem Exzellenzcluster ORIGINS und dem Munich Science Communication Lab (MSCL) statt. Das gesamte Programm ist hier einsehbar.

Schwimmendes Science Center: Die MS Wissenschaft tourt im Rahmen des ,,Wissenschaftsjahrs 2023" quer duch Deutschland. Der Exzellenzcluster ORIGINS ist mit einem Exponat dabei, bei dem man virtuell zu unserem nächsten Nachbarstern Proxima Centauri reisen kann.

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