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Zusammen am Zepter

30.06.2023

Historikerin Julia Burkhardt im Interview über mittelalterliche Herrscherpaare und moderne Power Couples

Hatespeech bei Hofe, statthaltende Königinnen und ein Herz für Heinrich VIII.: Die Veranstaltung „Power Couples: Herrscherpaare im vormodernen Europa“ der Historikerin Julia Burkhardt bereichert auch die aktuelle Diversity-Initiative together@LMU. In dem Vertiefungs- und Aufbaukurs beleuchtet die Professorin für Mittelalterliche Geschichte mit Studierenden, wie internationale Ehen im 15. Jahrhundert entstanden, Machthabende gemeinsam agierten und sich nicht zuletzt als Familie verewigten.

Präsident Barack Obama und First Lady Michelle Obama winken den Gästen nach ihrem Tanz auf dem Commander-in-Chief´s Inaugural Ball bei der 57. Amtseinführung des Präsidenten in Washington, Montag, 21. Januar 2013

Präsident Barack Obama und First Lady Michelle Obama winken den Gästen nach ihrem Tanz auf dem Commander-in-Chief's Inaugural Ball bei der 57. Amtseinführung des Präsidenten in Washington, Montag, 21. Januar 2013.

© picture alliance / AP Photo | Jacquelyn Martin

Was machte bestimmte mittelalterliche Paare zu Power Couples?

Julia Burkhardt:
Im Kurs verstehen wir Power Couples zum einen in Bezug auf die politische Macht von Königen, Fürsten und Adeligen beiderlei Geschlechts in der Vormoderne, zum anderen aber in Anlehnung an moderne Power Couples wie die Macrons oder die Obamas und ihre Außenwirkung: Power Couples präsentieren sich bewusst als Paar oder Familie – und entfalten so besonderen politischen, gesellschaftlichen oder kulturellen Einfluss.

Wir untersuchen Power Couples aus dem Europa des 15. Jahrhunderts, einer Zeit, in der Hochzeiten von Fürsten, Königen oder Kaisern häufig „international“ stattfanden. Wir beleuchten sie aus drei Blickwinkeln. Erstens: Warum und wie wurde geheiratet? Was schrieben, wie dachten die Zeitgenossen darüber? Zweitens diskutieren wir, ob die Paare eine politische, kulturelle oder religiöse Handlungsgemeinschaft bildeten. Und drittens untersuchen wir, wie sich die Paare nach außen hin sowie für künftige Generationen darstellten.

Welche Heiratsgründe gab es denn für mittelalterliche Herrschende?

Vorrangig geht es darum, durch Nachwuchs die Zukunft der Familien zu sichern – ein aus heutiger Sicht manchmal überraschend einfacher Grund. Bei der Auswahl des Heiratspartners oder der -partnerin versuchte man zudem, zwei Länder oder Herrschaftsgebiete mit den dort herrschenden Familien näher aneinander zu binden und so die eigene Dynastie zu stärken, denn die Familie spielte zu dieser Zeit eine unglaublich wichtige Rolle. Mit einer Heirat konnte man manchmal sogar Frieden zwischen zwei Kriegsparteien stiften und demonstrieren – oder versuchte es zumindest. Daneben ging es um wirtschaftliche sowie politische Aspekte oder bisweilen auch den Wunsch nach sozialem Aufstieg.

Wie fanden die Paare zueinander?

Ehen in den obersten gesellschaftlichen Gruppen wurden nicht einfach spontan geschlossen, sondern als Ergebnis langer Verhandlungen. Beide Familien beziehungsweise „Regierungen“ – also an der fürstlichen Herrschaft Beteiligte – tauschten dazu Gesandte aus, um Heiratsverträge zu vereinbaren. Darin wurde die Mitgift der Braut festgehalten, ihre finanzielle Ausstattung durch den Ehemann, die Versorgung der Kinder oder das Mitspracherecht der Ursprungsfamilien.

Bei Verhandlungen ging es aber auch um ganz lebenspraktische Dinge. So mussten die oft weit entfernt lebenden Partner einander beschrieben werden: Wer war diese Königin, wer jener Fürst? Wie gebildet war sie oder er? Und wie sah er oder sie aus? Mitunter wurden sogar Gemälde von den Heiratswilligen in Auftrag gegeben, um die Neugier auf das Aussehen der künftigen Partner zu befriedigen.

Zu welchen Schlüssen kamen Sie bislang hinsichtlich des gemeinsamen Agierens der Paare?

Viele der untersuchten Paare agierten tatsächlich komplementär oder gemeinsam, sodass wir von einer Handlungsgemeinschaft sprechen können. Ein Beispiel ist Sigismund von Luxemburg, der König über mehrere Reiche (Ungarn, Heiliges Römisches Reich und Böhmen) sowie Kaiser war. Als König über Ungarn und das Heilige Römische Reich reiste er wie damals üblich ständig zwischen seinen Reichen hin und her. Während seiner Abwesenheit in Ungarn regierte seine Ehefrau Barbara von Cilli als Statthalterin mit einem Kronrat – ein Beispiel für komplementäres Handeln. Überhaupt beteiligte sich Barbara von Cilli als römisch-deutsche, ungarische und böhmische Königin aktiv an der Politik.

Eine andersgeartete Handlungsgemeinschaft bildeten Ende des 14. Jahrhunderts die Wittelsbacherin Isabella von Bayern und König Karl VI. von Frankreich. Bei ihm trat eine psychische Erkrankung zutage, wegen der er phasenweise nicht regierungsfähig war. Um diese missliche Situation zu managen, regierte die Königin zusammen mit einem Rat im Namen ihres Mannes.

Zu welchen Ergebnissen kommen Sie hinsichtlich der Darstellung der Paare?

Wir untersuchen Textquellen, aber auch Objekte und Bilder – darunter ganz aktuelle Funde. 2019 machte man auf einem Feld im mittelenglischen Warwickshire einen spektakulären Fund: ein goldenes Schmuck-Herz aus dem frühen 16. Jahrhundert, auf dem symbolisch und mit einer Inschrift vermutlich an Heinrich VIII. von England erinnert wird, der bekanntermaßen mehrfach geschieden wurde und zwei seiner Frauen sogar hinrichten ließ, sowie an seine erste Ehefrau Katharina von Aragon. Unsere Arbeit auf einer breiten Quellenbasis eröffnet unterschiedliche Perspektiven und führt zu verschiedenen Ergebnissen. Wir betrachten für mehrere Paare etwa den Austausch kostbarer Geschenke oder geistige Stiftungen. Diese diskutieren wir im Hinblick auf dynastisches Selbstverständnis, höfische Repräsentation und Frömmigkeit.

Von Barbara von Cilli hingegen zeichneten spätere historiographische Quellen ein unglaublich negatives Bild, voller Misogynie und Anfeindungen – und es ist bemerkenswert, dass diese „schwarzen Legenden“, wie Forschende sie nennen, nie auf ihren Mann Kaiser Sigismund abfärbten.

Hinweise auf die Frage, ob Herrschende noch von künftigen Generationen als Paare erinnert wurden, bieten Grablegungen wie die der Elisabeth von Habsburg, die im 15. Jahrhundert König Kasimir IV. von Polen heiratete. Als er nach rund 40 gemeinsamen Jahren starb, wurde er in der Krakauer Heiligkreuz-Kapelle begraben, die er gemeinsam mit seiner Frau gestiftet hatte und in der auch an ihre im Kindesalter verstorbenen Kinder erinnert wurde. Kurz vor ihrem Tod verfügte Elisabeth, ebenfalls dort beigesetzt zu werden. So machte das Paar auch für zukünftige Generationen sichtbar: Hier liegt eine Familie gemeinsam begraben.

Gibt es Beispiele für Paare, bei denen tatsächlich Liebe im Spiel war?

Als eines der größten Liebespaare des 15. Jahrhunderts werden häufig Herzogin Maria von Burgund und Maximilian I., der spätere römisch-deutsche König und Kaiser aus dem Hause Habsburg, beschrieben. Schon Zeitgenossen berichteten, dass sie einander besonders zugetan waren. Inwiefern sich Emotionen im vormodernen Zeitalter aber tatsächlich als subjektive Empfindungen oder nicht vielmehr deren zeitgenössische Reflexionen untersuchen lassen, daran wird seit mehreren Jahren geforscht. Im Kurs interessiert uns vor allem die Frage, wie und warum über emotionale Bindungen berichtet wurde. Ein Aspekt in diesem Fallbeispiel mag gewesen sein, dass man so eine florierende Familie darstellen und zeitgenössische Tugendvorstellungen bedienen wollte.

Dazu kam, dass Maria von Burgund früh infolge eines Reitunfalls starb und sich schnell Mythen um ihr Leben bildeten. Auf späteren Bildern von Maximilian wurde immer noch Maria mit dargestellt, obwohl er schon längst zum zweiten Mal verheiratet war: Gaben hierfür vermeintlich emotionale, politische oder dynastische Gründe (Maria war die Mutter von Maximilians Kindern) den Ausschlag? All das sind Fragen unserer Diskussionen im Kurs.

Gab es auch Paare mit besonders negativer Außenwirkung?

Zum Teil gab es pikante Familienkonstellationen, die nicht unbedingt dem Tugendideal der Zeit entsprachen. Beatrix von Aragon und der ungarische König Matthias Hunyadi, auch unter dem Beinamen „Corvinus“ bekannt, sind ein Beispiel dafür. Aus einer früheren außerehelichen Liaison des Königs war ein Sohn entstanden. Als Matthias und Beatrix selbst keine Kinder bekamen, sorgte das für Gerede, das man heute vielleicht als „Hatespeech“ bezeichnen würde. Als der König seinen unehelichen Sohn später an den Hof holte, verbreitete Beatrix offenbar ihrerseits Gerüchte: Sie sei von der ehemaligen Geliebten verhext worden und könne deshalb keine Kinder bekommen.

Dem langfristigen Andenken an die beiden hat das aber nicht unbedingt geschadet. Trotz der Reibungen und heiklen Familienkonstellation erscheinen Beatrix und Matthias in Bildquellen und Skulpturen als geradezu ideales Paar. Dazu muss man wissen, dass das Königspaar zahlreiche Künstler, Architekten und Gelehrte am Königshof von Ungarn förderte, der damit eines der größten Renaissance-Zentren der Zeit wurde – und die zeitgenössischen Bilder des Königspaars spiegeln vor allem diese Position wider.

Julia Burkhardt ist Professorin für Mittelalterliche Geschichte an der LMU

Julia Burkhardt ist Professorin für Mittelalterliche Geschichte an der LMU | © T. Hauzenberger

Wie knüpft der „Power Couples“-Kurs an die derzeitige Diversity-Kampagne der LMU an, die die Universitätsmitglieder zusammenbringen, Raum für unterschiedliche Lebensentwürfe schaffen und zum Perspektivwechsel anregen soll?

Entscheidend ist das Stichwort „Perspektivwechsel“ – in der Lehre und der Arbeit der Studierenden. In der Geschichtsforschung hat es sich zum Glück schon etabliert, dass man im Hinblick auf die Rolle von Herrschenden nicht nur Männer, sondern auch Frauen analysiert. Ausgehend von diesen Diskussionen und meinen Forschungen zur Geschlechtergeschichte des Politischen lade ich die Studierenden in diesem Kurs dazu ein, über die eindimensionale Darstellung von Männern und Frauen in Herrschaftspositionen der Vormoderne hinwegzukommen. Stattdessen möchte ich mit ihnen auch das gemeinsame Handeln und nicht zuletzt zeitgenössische Geschlechter- und Rollenvorstellungen untersuchen. Bei der Erforschung von Herrscherinnen muss man bisweilen andere Fragen stellen als bei Herrschern und so geschichtswissenschaftliche Methoden verfeinern. Das ist in jeder Hinsicht ein Perspektivwechsel, aus dem sich inhaltlich wie methodisch viel lernen lässt.

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