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Zwei Wissenschaftler werben ERC Advanced Grants für die LMU ein

01.08.2025

Biochemische Reaktionsnetzwerke und logische Grundsätze der Mathematik: Der Europäische Forschungsrat vergibt zwei prestigeträchtige Advanced Grants an die LMU.

Der LMU Chemiker Christian Ochsenfeld und der Logiker und Wissenschaftshistoriker Jan von Plato (Universität Helsinki, Projekt gemeinsam mit der LMU) werden vom Europäischen Forschungsrat (ERC) mit einem Advanced Grant ausgezeichnet. Mit den Fördergeldern von bis zu 2,5 Millionen Euro werden hochinnovative Forschungsprojekte unterstützt, die über den bisherigen Forschungsstand hinausgehen und neue Forschungsgebiete erschließen.

Quantenchemische Untersuchung von Reaktionsnetzwerken

Christian Ochsenfeld

© Christian Ochsenfeld

Christian Ochsenfeld ist Professor für Theoretische Chemie an der Fakultät für Chemie und Pharmazie der LMU.

Um molekulare und katalytische Prozesse zu verstehen und zu kontrollieren, braucht es umfassende Einblicke in chemische und biochemische Reaktionsnetzwerke. Die Entschlüsselung dieser komplexen Mechanismen ist jedoch alles andere als trivial. Mit seinem Projekt QCexplore (Quantum Chemical Exploration of Reaction Networks: From Origins of Life to De Novo Enzyme Design) will Christian Ochsenfeld eine allgemein anwendbare Lösung für diese Herausforderung bereitstellen, indem er eine unabhängige quantenchemische Methode zur Erforschung von Reaktionsnetzwerken und ein hocheffizientes, vollständig automatisiertes Open-Source-Software-Framework entwickelt.

„Ausgangspunkt dafür ist unser 2024 vorgestellter Proof-of-Concept-Ansatz eines computergestützten Hyperreaktors“, erklärt der Chemiker. Indem man reaktivitätssteigernde Konzepte mit schnellen, linear skalierenden quantenchemischen Methoden zusammenbringe, ermögliche das Framework von QCexplore eine effiziente und zuverlässige Erforschung von Reaktionsnetzwerken unter vollständig kontrollierten und realistischen Bedingungen. „Die Einbindung neuartiger Data-Mining-Techniken in Verbindung mit effizienten Verfeinerungsverfahren erlaubt uns eine effektive Nutzung und Analyse der Daten zur Identifizierung relevanter Reaktionswege.“ Auf diese Weise überwinde QCexplore traditionelle manuelle und fehleranfällige Ansätze.

Die Leistungsfähigkeit des von QCexplore entwickelten Frameworks soll am Beispiel zentraler Fragen zur Entstehung des Lebens demonstriert werden, beispielsweise wie essenzielle molekulare Bausteine gebildet werden und sich zu größeren Aggregaten wie RNA-Strängen zusammenschließen. Darüber hinaus soll es eine solide Grundlage für das De-novo-Design künstlicher Enzyme schaffen, indem es die wesentlichen Schritte in katalytischen Prozessen genau identifiziert, dominante Reaktionswege ermittelt und Strategien zur Steigerung der enzymatischen Aktivität und Selektivität aufzeigt.

Verborgenes Erbe der modernen Logik

Viele Teilgebiete der Mathematik, wie etwa die Analysis, basieren auf fundamentalen logischen Grundsätzen. Mit deren Entwicklung haben sich in der Geschichte der Mathematik zahlreiche Forscherinnen und Forscher beschäftigt, wie der Zürcher Mathematiker Paul Bernays, sein Schüler, der deutsche Mathematiker Gerhard Gentzen, oder der österreichische Mathematiker, Philosoph und Logiker Kurt Gödel. Der finnische Logiker und Wissenschaftshistoriker Jan von Plato von der Universität Helsinki hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit deren Werk beschäftigt. Nun widmet er sich in einem gemeinsam mit der LMU eingeworbenen ERC Advanced Grant bislang wenig zugänglichen Aufzeichnungen der drei Forscher.

Ziel des Projekts “HERITAGE” ist die Transkription der Schriften von Gödel, Gentzen und Bernays zu einem Schlüsselproblem der Grundlagen der Mathematik – der Konsistenz der Analysis. Die im vergessenen Gabelsberger-System der Stenografie, einer Kurzschrift, verfassten Aufzeichnungen sollen übertragen, ins Englische übersetzt und danach auch inhaltlich ausgewertet werden. Ohne spezielles Training sind diese reichhaltigen Quellen aufgrund ihrer für heutige Leser unverständlichen Zeichen unmöglich zu entziffern. Jan von Plato hat in früheren Arbeiten bereits stenografische Notizen von Gödel und Gentzen ausgewertet, jedoch nie zum Hauptthema, den Grundlagen der modernen Logik und der Konsistenz der Analysis.

Allein von Kurt Gödel existieren sechzehn „Arbeitshefte“ mit jeweils bis zu hundert Seiten, die laut von Plato „wichtigste unerschlossene Quelle“. Bei Gerhard Gentzen sind es umfangreiche stenografische Notizen zu zwei zentralen Gebieten der Analysis, bei Paul Bernays seine detaillierten Steno-Notizen zu zwei Göttinger Logikvorlesungen aus den Jahren 1927 und 1929/30. Die Quellen übertreffen bei Weitem alles, was bislang über die Geburt der heutigen Logik bekannt war, so von Plato.

Das Projekt insgesamt stellt auch einen neuen Ansatz dar, um die Entwicklung von Wissenschaft und Philosophie weitreichender zu erfassen: Schätzungen zufolge gibt es nämlich auch Tausende Aufzeichnungen von Lehrveranstaltungen von Professoren deutschsprachiger Universitäten, sogenannte „Mitschriften“. Das Studium dieser umfangreichen Quellen wird neben Originalpublikationen der Wissenschaftler selbst und Korrespondenz unter Kollegen eine dritte Art von Quellen in der Wissenschaftsgeschichte erschließen. Diese können etwa die Frage beantworten, wie die neuen Theorien den Studierenden der damaligen Zeit vermittelt wurden.

Prof. Dr. Jan von Plato ist Wissenschaftshistoriker und Professor für Philosophie an der Universität Helsinki. Von 2018 an leitete er bereits das ERC-Advanced-Grant-Projekt GODELIANA zu Kurt Gödels nachgelassenen stenografischen Schriften.

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