
Rasende Ohnmacht: Populäre Soziofiktionen der neoliberalen Ära
Die Konferenz möchte sich einem literarischen Phänomen widmen und diese hochaktuelle Entwicklung mit vergangenen Formen abgleichen. Es geht um die eigenartig ausweglosen Zeit- und Gesellschaftsdiagnosen zahlreicher zeitgenössischer Autorinnen und Auoren.
Anfang der 1980er Jahre wendet sich die Erzählliteratur wieder verstärkt der lange Zeit ‚verschmähten‘ außensprachlichen Realität zu (Verlier/Viart, 2005). Damit reagiert sie nicht nur auf den Geschmack eines Publikums abseits des etablierten Literaturbetriebs, das der Experimente des Nouveau roman überdrüssig ist, sondern vor allem auf ein neues Bewusstsein für die soziale Schichtung der Gesellschaft, das sich in den immer schneller aufeinander folgenden ökonomischen, politischen und moralischen Krisen der „neoliberalen Ära“ herausbildet, die mit den Regierungsantritten von Margaret Thatcher (1979) und Ronald Reagan (1980) einsetzt und deren Charakteristika Michel Foucault (1978) in den Vorlesungen zur „neoliberalen Gouvernementalität“ – quasi vorab – aufzeigt.
Wenn die Literatur sich vor diesem Hintergrund elementaren Fragen des Zusammenlebens (Ette, 2010) widmet, ist es gleichwohl bezeichnend, dass die pointierten Zeit- und Gesellschaftsdiagnosen zahlreicher Autorinnen und Autoren eigenartig ausweglos erscheinen. Ihre Schilderungen der sozialen und zwischenmenschlichen Misere münden nicht in glaubhafte Alternativszenarien. Dies, so die These, ist weder ein Ausdruck von Gleichgültigkeit, noch einer Sehnsucht nach einer besseren Vergangenheit. Die Rat- und Orientierungslosigkeit, so lässt sich vermuten, steht vielmehr im Zusammenhang mit der Langlebigkeit der neoliberalen Ordnungen, die nach dem Fall des Ostblocks und dem zeitgleich verkündeten „Ende der Geschichte“ (Fukuyama, 1991) als alternativlos empfunden werden (Crouch, 2005). Mark Fisher (2013) weist darauf hin, dass die (unbewusste) Annahme, dass es nichts Neues mehr gäbe, letztlich zu einer Auslösung der „gesellschaftlichen Vorstellungskraft“, zu einem Gefühl der „reflexiven Ohnmacht“, führe. Diese visionslose Ohnmacht wird zudem durch den Blick auf die sich literarisch zwar schwer darstellbare (Ghosh, 2016), aber immer deutlicher abzeichnende klimatische Katastrophe (Chakrabarty, 2008) weiter verschärft: die alternativlose Ausweglosigkeit läuft auf den Tod hinaus.
Die Tagung möchte danach fragen, wie sich dieses Phänomen in der Literatur manifestiert. Wann und wo artikulieren sich vergleichbare Rhetoriken? Wie reagieren und reflektieren sie die vermeintliche Alternativlosigkeit der Verhältnisse? Wie ist es um ihre formalen Eigenschaften bestellt? Gibt es eine Poetik der Ratlosigkeit?
Weitere Informationen sowie das Programm finden Sie auf der Website der Veranstaltung.