Landeskunde II

Kyoto - von Kagoshima aus gesehen

(Vortrag von Megumi Ono, VWL-Studentin, Universität Kagoshima, derzeit Auslandsaufenthalt an der LMU)

Guten Tag meine Damen und Herren,

eines Tages bekam ich in München einen Anruf von Frau Naritomi, die mich zum Abendessen bei Herrn Prof. Tsuji einlud. Es hat sehr gut geschmeckt. Und die Folge dieses Abends ist, dass ich Ihnen jetzt etwas über Kyoto erzählen muss – von Kagoshima aus gesehen. Aber ich tue es gerne, trotz meiner sprachlichen Unzulänglichkeit.

Bitte stellen Sie, zumindest auf der Karte, fest, wo ich eigentlich lebe und woher ich nach München gekommen bin. Wenn man Okinawa einmal außen vorlässt, dann bin ich von der äußersten Südspitze der vier japanischen Hauptinseln gekommen.

Was gibt es dort, an den Südspitzen Japans? Freiheit! Freiheit von Kyoto und Tokyo, meine ich.

Für uns macht es keinen so großen Unterschied, ob Tokyo oder Kyoto – so wie das deutsche Sekretariat auf dem Briefbogen manchmal den Fehler begeht, beide Städte miteinander zu verwechseln. Sie werden ja auch verdammt ähnlich geschrieben.

Was gibt es denn, substanziell, in Kagoshima?, wollen Sie mich vielleicht fragen. Nun, es gibt einen Vulkan, der auch eine Insel in der Bucht von Kagoshima bildet. Er schenkt uns einen schönen Anblick – und ab und zu einen entsetzlichen Aschenregen, bei dem wir tatsächlich mit einem Regenschirm in der Hand auf die Straße gehen müssen. Auf alle Fälle ist Kagoshima eine Schwesterstadt von Neapel.

Sonst nichts?, fragen Sie mich nun brutal. Also, es gibt noch eine nette kleine Universität, auf der ein sehr freundlicher, lebhafter Germanist – Prof. Ando – tätig ist. Ihm verdanken wir, dass wir ein Jahr lang in München studieren dürfen.

Aber sonst nichts?, fragen Sie mich jetzt möglicherweise ungeduldig. Doch, doch. Und zwar: lebendige Geschichte. Denn hier, in Kagoshima, sind Europäer zum ersten Mal in der Geschichte in Japan erschienen. Die brutalen Europäer, die aus dem Süden gekommenen Barbaren, wie die Chinesen sie genannt haben. Hier sind sie zum ersten Mal auf einer Insel vor Kagoshima gelandet. Mit Flinten. Das war 1543. Dann kamen die Missionare. Es war eine recht europäische Methode der Welteroberung. Im Jahr 1549 landete Franz Xaver (1506-52) in Kagoshima und begann, mit öffentlicher Erlaubnis, also der Erlaubnis des feudalen Fürsten, das Christentum zu predigen. Kagoshima war also auch die zeitliche Spitze der Berührung der Japaner mit den Europäern, weil diese auf dem Meer von Süden kamen.

Also, meine Damen und Herren, wir Kagoshimaner brauchten kein Kyoto und kein Tokyo, um ein Gespräch mit den Europäern führen zu können. Denn wir sind eben der Ort der ersten Berührung zwischen dem Fernen Osten und dem Fernen Westen.

Entschuldigen Sie bitte, Frau Naritomi, aber ich glaube fast, dass ich wegen meines nicht gerade Kyoto-freundlichen Vortrages ihr schönes Abendessen eigentlich gar nicht verdient habe. Danke schön!

Kyoto – aus Tokyoter Sicht

(Vortrag von Kaori Yamaguchi, Studentin der Internationalen Beziehungen, Universität Tokyo, derzeit Auslandsaufenthalt an der LMU)

Guten Tag, konnichiwa meine Damen und Herren,

Frau Naritomi sagte, ich sollte etwas über Kyoto, das heißt über die Kultur Kyotos erzählen. Geboren bin ich aber in Tokyo, bin dort auch aufgewachsen und besuche jetzt die Universität Tokyo. Noch verdiene ich keinen Cent Geld, also bin ich eigentlich noch nicht richtig aufgewachsen. Außerdem bin ich momentan hier in München Programmstudentin, darf also ein Jahr lang – ohne Gebühren dafür zu bezahlen – das deutsche Studentenleben genießen. Warum soll ausgerechnet ich etwas über Kyoto erzählen, sagte ich zu Naritomi-sensei, also zu Aki, wie die deutschen Studenten sie nennen. Weil eben Tokyo das genaue Gegenteil von Kyoto ist, erklärte sie mir.

Aki hat die Antipoden-Idee, die der Jesuit Luis Frois im 16. Jahrhundert entwickelte, hier in München sehr bekannt gemacht. Ich weiß davon auch, aber ich wusste trotzdem nicht, was Aki meinte. Ist Kyoto das Gegenteil von Tokyo?, fragte ich. Natürlich, sagte Aki grinsend. Tokyo und Kyoto – diese zwei Wörter werden aus genau den gleichen Buchstaben gebildet, die einfach umgekehrt zusammengesetzt sind. Kyotoer sind deshalb die Antipoden der Tokyoter. Erklären Sie, meinte Aki, auf diese Art doch einfach, dass die Kyotoer sozusagen umgedrehte, auf den Kopf gestellte Tokyoter sind.

Ich werde also, als ungeschickte Tokyoterin, zu einigen Bildern etwas über Kyoto erzählen.

Wenn man dort hinfährt, landet man natürlich zuerst im Bahnhof von Kyoto. Das ist ein architektonisch merkwürdiger Bahnhof, sehr neu, fast für die Touristen gebaut, groß genug, durch die an ein Tal erinnernde Form. Nett, aber stilistisch gesehen ein Waisenkind, aber in dem Sinne eben ein Symbol des modernen Japans. Dann erleben wir vor dem Bahnhof schäbige Hochhäuser, die an ländliche Kleinigkeiten einer japanischen Provinzstadt erinnern. Aber der Blick auf die fernen Tempeldächer erfüllt einen schon mit Erwartungen.

Relativ nah liegt der (Oder die? Oder das? Das weiß ich nicht genau...) Sanjûsangen-dô. Im 12. Jahrhundert erbaut, eine lange Halle mit 33 Zwischenräumen, in denen man mehr als 1000 Statuen der Kannon sehen kann, Bodhissatwas der Barmherzigkeit aus der Kamakura-Zeit, hauptsächlich aus dem 13. Jahrhundert.

Ich finde, das ist recht imponierend. Ich verbeuge mich tief vor dieser Halle und fühle mich – entfremdet. Ich kann nämlich nichts mitfühlen: Ich weiß nur, dass ich mich imponiert zu fühlen habe.

Aber beeilen wir uns – und kommen wir zum nächsten Tempel, dem bekannten Kiyomizu-dera, der zum ersten Mal im 8. Jahrhundert errichtet wurde und dessen heutiger Bau aus der Edo-Zeit stammt. Die kleinen Läden auf dem Weg zum Tempel sind schon eine richtige Verführung, wahrscheinlich jedenfalls für deutsche Gäste, aber auch für Tokyoter, wenn sie zufällig einen reichen, großzügigen Vater haben. Aber gehen wir einfach weiter, zur Bühne des Tempels. Genießen wir die weite Sicht, die reine Luft, den großartigen und freundlichen Holzbau.

Kiyomizu-dera

© Aki Naritomi

Richtig verführerisch. Aber wozu oder wohin wird man hier verführt? Wenn man das wüsste! Aber dieses Gefühl empfindet man in Kyoto überall und ständig. Man fühlt sich verführt, aber zu was und wohin, das weiß man eben nicht. Dadurch entsteht eine gewisse Melancholie – und diese betrifft besonders die Tokyoter.

Von Kiyomizu-dera geht es weiter nach Norden, am Fuße des Ostbergs entlang. Higashi-Yama, Ostberg – das ist allen Japanern ein Begriff. Es gibt hier wie in Heidelberg einen „Philosophenweg“, wo man sich tatsächlich ostasiatischen melancholischen Meditationen hingeben kann. Die Luft ist feuchter als in Europa, und die Sicht ist immer ein bisschen getrübt.

Hier stoppe ich nun aber ganz abrupt meinen Spaziergang durch Kyoto, weil ich das Wesentliche für die Begegnung eines Tokyoters mit der Stadt Kyoto schon gespürt und geschildert habe: Da sind eben eine gewisse Melancholie, eine gewisse Entfremdung und außerdem das Gefühl der Heimatlosigkeit. In Kyoto werden sich die Tokyoter fast notwendigerweise bewusst, dass wir Japaner seit 150 Jahren unsere Vergangenheit immer mehr vergessen und verlassen haben. Jene Vergangenheit, die auch so sehr von Korea, China und Indien beeinflusst war – Einflüsse, die die Japaner aber auf jeden Fall ästhetisch zu verfeinern suchten, sehr oft mit Hilfe des Zen-Buddhismus.

Wie begegnen die Deutschen heute dem Christentum?
Ist diese Melancholie auch dabei?
Ich glaube nicht.
Gibt es so etwas ähnliches wie die Verlassenheit der Tokyoter?
Ich glaube nicht.

In Kyoto werden wir Tokyoter uns der Tatsache bewusst, dass wir nicht nur als Tokyoter, nicht nur als Japaner, sondern auch als Menschen entwurzelt, mutterseelenalleine und ohne Halt ins Dasein geworfen wurden. Vielen Dank!

Kyoto – aus deutscher Sicht

(Vortrag von Björn Rosen, Journalistik-Studierender, LMU)

Meine Damen und Herren,

der Laienmönch Yoshida Kenkô schrieb im 13. oder 14. Jahrhundert sinngemäß: Es ist nicht gut, das Wunderliche, über das alle Welt schwatzt, weiterzuverbreiten. Ich bewundere die Menschen, die nicht einmal das wissen, was inzwischen längst wieder veraltet ist; man sollte wortkarg sein und schweigen, solange man nicht gefragt wird.

Ich kann dieser – sicher lobenswerten Devise – leider auch heute nicht nachkommen, denn ich wurde gebeten, erneut etwas über meine, über die Sicht eines Deutschen auf Japan zu sagen, genauer: auf Kyoto. Und die deutsche Sicht meint in diesem Fall natürlich vor allem die Sicht des Touristen, der mit staunenden Augen auf eine Stadt schaut, die in jedem Winkel voll beeindruckender kultureller Schätze ist; auf die Stadt, die jahrhundertelang Japans Zentrum und Hauptstadt war und deren Namen viele Deutsche heute vor allem mit einem Klimaabkommen verbinden.

Die Ankunft. Vom Bahnhof haben wir schon gehört. Er ist großartig und modern – aber hat eigentlich nichts mit Kyoto zu tun. Passt er doch weder zu der eher trostlosen und mittelmäßigen Gegend, die ihn unmittelbar umgibt, noch zu den bewaldeten Tempelbezirken in den weiter entfernten Bergen. Auf mich wirkt er wie ein Raumschiff, das hier mitten in der Stadt gelandet ist. Die erste Phase eine Kyoto-Besuchs also ist Verwirrung. Gleich darauf folgt Enttäuschung, weil sich gegenüber des Bahnhofs auch bloß ein McDonalds-Restaurant befindet und Kyoto einige Straßenzüge langweilig und schmucklos wirkt.

Dieser erste Eindruck ändert sich bald. Wer in einem der in Kyoto besonders zahlreichen Rykoans, also tradionellen japanischen Gasthäuser, übernachtet, auf Tatami-Matten schläft und zu festen Zeiten Essen serviert bekommt, fühlt sich bald, sofort sehr Japanisch. Und wenn man dann durch die alten Gassen Kyotos streift und die ersten Tempel sieht, verstärkt sich dieses Gefühl noch. Das wäre dann sozusagen Phase drei: Begeisterung.

Nach drei oder vier Tagen aber wandelt sich diese in Erschöpfung. Bemüht, das touristische Programm abzuarbeiten, zieht man von Tempel zu Tempel, von Schrein zu Schrein – und bald sind die Sinne überwältig, oder sollte ich sagen übersättigt, von der dargebotenen Schönheit. Von der Fülle an Möglichkeiten. Bald ist der Kopf voll mit Wissen, dass man bald wieder verlieren wird, wenn nicht sofort, nach Verlassen des Tempels: Namen japanischer Herrscher, buddhistischer Sekten, Herrschaftsdaten, Götter, Entstehungszeiträume, Wiederaufbauten etc.

So steht man also zwischen einer Gruppe japanischer Schüler in ihren dunklen Uniformen, zwischen rastazöpfigen Rucksacktouristen, die ihren "Lonely Planet" studieren und bildungsbeflissenen westlichen Familien, die angeführt werden von akadamischen Vätern mit opulenten Kameraausrüstungen. Steht also auf den Holzbohlen eines Tempels – nur in Socken, die Schuhe hat man am Eingang zurückgelassen – und schaut auf die sorgfältige Komposition von Steinen und Pflanzen, kleinen Bäumen und moosbewachsenem Grund. Und ist, weil die japanischen Schüler kichern und die westlichen Familien beredt staunen, ein wenig frustriert, weil sich keine Kontemplation einstellen will. Und spürt den Druck der Zeit, weil es andernorts in der Stadt noch soviel mehr zu sehen gibt.

In Kyoto ist man am ehesten geneigt, über die eigenen Klischees von Japan zu stolpern. Aber wer nur nach dem sucht, was er sowieso schon zu wissen glaubt, wird hier nicht fündig werden. In den meisten Reiseführern ist zu lesen, dass für Kyoto das gleiche gelte wie für die Stadt Rom: Dass man nämlich ein ganzes Leben brauche, um alles zu entdecken. Und dass man Japan nur in Kyoto ganz verstehen könne.

Nun hat keiner die Zeit, ein ganzes Leben auf Reisen zu sein. Aber man wird Kyoto, denke ich jedenfalls, nicht gerecht, wenn man zuviel von der Stadt zu sehen versucht. Vielleicht kann man sie am besten erfahren, wenn man sich minimalistisch auf möglichst wenig konzentriert. Tatsächlich innehält.

Und deshalb wollen wir uns bei dem nun folgenden virtuellen Spaziergang auch nur auf einige Tempel, die wahrscheinlich wichtigsten, und auf einige herausragende Fakten konzentrieren. Dabei werden wir Kyoto einmal umrunden: Wir beginnen ganz im Südosten der Stadt, folgen den Ostbergen Richtung Norden, weiter geht es auf die andere Seite, in den Westen Kyotos, bis wir wieder im Süden angelangt sind.

Unser erster Stopp ist der SANJÛSANGEN-DÔ. Wörtlich übersetzt bedeutet der Name dieses Tempels "Halle mit 33 Abständen zwischen den Säulen". Von dieser Halle mit ihren 1001 Statuen des Kannon hat Kaori uns vorhin schon erzählt. Die Figuren wurden von vielen verschiedenen Künstlern geschaffen, in 273 von ihnen ist der Name des jeweiligen Schöpfers eingraviert. Über achthundert Jahre alt ist dieser buddhistische Tempel.

Der KIYOMIZU-DERA, der "Tempel des reinen Wassers", ist hoch über Kyoto gelegen. Er ist zu Recht einer der populärsten Tempel des ganzen Landes. Angeblich ist diese atemberaubende Konstruktion ohne die Verwendung auch nur eines einzigen Nagels entstanden. Von seiner Holzterasse schaut man weit in die Tiefe, und in der Ferne sieht man das Stadtzentrum und den Fernsehturm von Kyoto. Als der Tempel vor Jahrhunderten gegründet wurde, war hier noch Wildnis. Die Mönche suchten damals eine Einsiedelei, sie wollten in der Natur der Verweltlichung entkommen.

Weiter nördlich liegt der YASAKA-SCHREIN. Er grenzt an das Vergnügungsviertel Gion und besitzt einen der größten Torii aus Stein (etwa 9,5 Meter hoch). Die Treppe vor dem Schrein ist ein beliebter Treffpunkt. In der Neujahrsnacht und zu Beginn des neuen Jahres strömen die Kyotoer besonders zahlreich hierher.

Ganz in der Nähe befindet sich auch der CHION-IN, der mit 17 Hallen und fünf Toren zu den größten Tempeln Japans zählt. Berühmt ist vor allem der Turm mit seiner gewaltigen Glocke, die in der Silvesternacht 108 Mal geschlagen wird. Jeder Schlag gilt einem der 108 Hindernisse, die überwunden werden müssen, um ins Nirvana zu gelangen.

Der NANZEN-JI wurde einst, im 13. Jahrhundert, als Residenz eines Kaisers errichtet. Seit diesen Tagen ist er Hauptquartier einer zen-buddhistischen Schule. Zwar hat es hier häufig gebrannt, das Gebäude blieb trotzdem größtenteils erhalten. Der Garten zeigt weißen Sand, der den Ozean symbolisiert, außerdem Felsen und Pflanzen, die für das irdische Paradies stehen.

Um vom Nanzen-ji zu unserem nächsten Ziel zu gelangen, nehmen wir den PHILOSOPHENWEG. Er verläuft entlang einem mit Kirschbäumen gesäumten Kanal (im März, zur Zeit der Kirschblüte ist es hier besonders schön), der sich wiederum an den Östlichen Bergen entlangschlängelt. Durch den Kanal wird übrigens Wasser aus dem Biwa-See in die Stadt geleitet. Ihren Namen bekam die Straße, weil ein Philosophieprofessor der Uni Kyoto hier Anfang des 20. Jahrhunderts täglich spazieren ging.

Zu den beeindruckendsten Gebäuden in Kyoto zählt sicher der GINKAKU-JI, der Silberne Pavillon, der allerdings – anders, als sein Name vermuten lässt –, nie mit Silber überzogen war. Der Shogun, der die Idee dazu hatte, starb, bevor sie umgesetzt werden konnte. Er wollte mit dem Ginkaku-ji eine Welt des spirituellen Friedens schaffen, die die Leiden eines zuvor stattgefundenen Krieges vergessen machen sollte. Und das spürt man noch heute. In seinem sehr interessanten Kunstreiseführer Japan (erschienen bei Dumont, Köln) schreibt der Münchener Japanologe Peter Pörtner, die Anlage sei der Inbegriff dessen, was die Japaner als "yûgen" bezeichnen. Es ist ein Wort, das sich nur schwer übersetzen lässt, aber soviel wie "geheimnisvolle Anmut und Schönheit" bedeutet. Im Parterre des Silbernen Pavillons befand sich übrigens der Wohnbereich des Shoguns. Das Obergeschoss, das auch zur Mondschau gedient haben soll, birgt einen Altarraum.

In der geographischen Mitte Kyotos befindet sich der NIJO-JO oder Nijo-Palast, der 1603 als Residenz des mächtigen Shoguns Tokugawa Ieyasu erbaut wurde. Er besteht aus sechs großen Gebäudeteilen. Im Zentrum gibt es einen Warteraum und, daran anschließend, eine Audienzhalle mit einem erhöhten Bereich für den Shogun und einem versteckten Raum für seine Leibwache. Im hintersten Gebäudeteil befinden sich die Privaträume des Shoguns. Der Nijo-jo zählt, wie 16 andere Stätten in Kyoto, zum Unesco Weltkulturerbe.

Der DAITOKU-JI im Norden Kyotos ist der Haupttempel einer Zen-Schule, im 15. Jahrhundert entwickelte sich hier eine bedeutende Schule der Tuschmalerei. Auch die Begründer der Teezeremonie stammen aus dem Daitoku-ji. Die sieben Hauptgebäude des Tempels stehen alle hintereinander auf einer Nord-Süd-Achse, für den Zugang muss man übrigens jeweils vier oder fünf Euro bezahlen. Ganz im Süden der Anlage befindet sich ein für Zen-Tempel typischer, von Mauern umgrenzter Garten, mit rechteckiger, geharkter Sandfläche und drei Steinen, die sowohl eine Buddha-Trias als auch einen Wasserfall bedeuten sollen.

Auch der nahegelegene KOZAN-JI ist ein buddhistischer Tempel. Er ist besonders bekannt für seine vier comic-artigen Bildrollen mit Tuschmalereien, die spielende Tiere zeigen und quasi frühe Manga-Zeichnungen sind. Diese Vorläufer des japanischen Comics stammen aus dem 12. Jahrhundert. Man deutet sie heute als Satiren auf das Leben des damaligen Klerus.

Kinkaku-ji – der Goldene Pavillon

© Aki Naritomi

Anders als der Silberne macht der Goldene Pavillon – auch er gehört zu den kunstvollsten Anlagen der Stadt – seinem Namen alle Ehre. Denn der KINKAKU-JI ist tatsächlich mit Gold überzogen. Bei dem Gebäude, das man heute besichtigen kann, handelt es sich aber nur um eine Rekonstruktion, erbaut im Jahr 1955. Das Originalgebäude aus dem 14. Jahrhundert war zuvor dem Brandanschlag eines jungen buddhistischen Priesters zum Opfer gefallen. Die Geschichte um den Anschlag hat der bekannte japanische Schriftsteller Yukio Mishima in seinem Roman "Der goldene Pavillon" verarbeitet. Mishima erzählt davon, dass der junge Priester die Schönheit des Tempels nicht ertrug – ein Indiz dafür, als wie schön die Japaner den Kinkaku-ji empfinden. Einst wurden hier von einem Shogun Feste gefeiert und sogar Kaiser empfangen. Der Pavillon ragt auf einer Pfeilerkonstruktion auf einen See, den so genannten "Spiegelsee", hinaus.

Besucher im Steingarten des Ryôan-ji

© Aki Naritomi

Doch nun zu meinem Lieblingstempel – und leider finde nicht nur ich ihn großartig, so dass dieser Platz der Stille zu einem überlaufenen Ort voller Touristen geworden ist: Der RYÔAN-JI ist ein weltberühmter, gras- und baumloser Steingarten, ein Mekka des Zen-Buddhismus. Die insgesamt 15 großen und kleinen Steine sind, einzeln und in Gruppen, rätselhaft von Ost nach West platziert – und geben viel Anlass und Raum zur Interpretation: Symbolisiert der Garten tatsächlich das Verhältnis von Leere (Sand) und Materie (Steine)?

Viel grüner sieht es dagegen im SAIHO-JI, dem Moostempel aus. Sein wunderschöner Teichgarten – der Teich ist übrigens in der Form des Schriftzeichens für Herz gestaltet – soll das Paradies, das reine Land darstellen. 120 Moosarten bieten hier eine große, eine überwältigende Palette an Grüntönen, die besonders bei Lichteinfall zu leuchten beginnen. Diese Schönheit verdankt der Tempel aber nur einem Zufall, war er doch ohne Moos geplant – erst durch einen Bürgerkrieg, während dem sich niemand um den Garten kümmern konnte, wurde er, was er heute ist.

So, nun sind wir fast am Ende des Rundgangs angelangt – und befinden uns schon ganz im Südwesten Kyotos. Dort befindet sich KATSURA-RIKYU, eine kaiserliche Villa mit einer großartigen Gartenanlage, die nicht weniger als 58.000 Quadratmeter umfasst, und die viele ausländische Architekten stark beeinflusst hat. Die Erbauer der Anlage hatten Eleganz, simples Design und Natürlichkeit im Kopf. Die papierbespannten äußeren Schiebetüren der Villa regulieren den Lichteinfall. Die Räume sind, so sagt man, von "innen nach außen gebaut" – wenn man die Schiebetüren öffnet, hat man ein perfektes Landschaftsgemälde vor Augen.

Auch die KAISERLICHEN PALÄSTE sind für ihre Schlichtheit bekannt. Ihr Hauptraum ist eine große Zeremonienhalle. Hier fanden früher die Thronbesteigungszeremonien statt – bis Tokyo schließlich zur Hauptstadt wurde und die Kaiser dorthin umzogen. Und schließlich: Der HEIAN-SCHREIN. Er wurde erst im Jahr 1895 als Nachbau des ersten Kaiserpalastes aus dem Jahr 794 errichtet. Sein Garten gehört zu den schönsten Kyotos. Am 1. und 2. Juni finden vor der Haupthalle alljährlich Nô-Aufführungen bei Fackellicht statt.

Damit haben wir 16 Stätten in Kyoto, aber von Deutschland aus besichtigt, mit mir als Reiseführer. Ich hoffe, Sie sind nicht so erschöpft von den vielen Informationen. Vielleicht konnte ich Ihr Interesse wecken – und Ihre Lust, Kyoto einmal selbst zu besuchen. Es lohnt sich sehr! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Mehr über Kyoto und Kyotos Tempel erfahren Sie auf der offiziellen Homepage der Stadt oder bei Wikipedia.