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Digitalisierung an Schulen: „Einen Zahn zulegen“

18.06.2021

Ein Interview mit Dr. Florian Schultz-Pernice über die Studie „Digitale Bildung an bayerischen Schulen vor und während der Corona-Pandemie".

Eine Schülerin sitzt zuhause vor einem Laptop, Schulhefte liegen vor ihr auf dem Tisch

Beim digitalen Lernen fehlt es oft an Selbstdisziplin und Motivation. | © IMAGO / K. Schmitt

Dr. Florian Schultz-Pernice ist abgeordneter Studiendirektor am Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der LMU.

Die Studie hat über 250 Seiten wissenschaftlicher Erkenntnisse über die digitale Bildung an bayerischen Schulen. Wenn Sie die Ergebnisse auf eine Schlagzeile reduzieren müssten, wie würde die lauten?

Dr. Florian Schultz-Pernice: Corona hat deutlich gemacht, dass im Hinblick auf die digitale Bildung in den vergangenen Jahren schon einiges erreicht wurde, dass wir aber noch einen Zahn zulegen müssen, um die wirklichen Potenziale der Digitalisierung nachhaltig ausschöpfen zu können.

Untertitel der Studie 2017 und 2019/20 ist „Bayern auf dem Weg zur digitalen Bildung“. Wie weit ist der Weg noch oder ist der Weg das Ziel?

Wahrscheinlich beides. Es gibt wichtige Zwischenziele, die man erreichen muss. Ganz entscheidend ist jetzt eine fundamentale Grundausstattung der Schulen, damit sie überhaupt die Möglichkeit haben, gute digitale Bildung zu machen. Da ist zum einen die flächendeckende Ausstattung mit schnellem, leistungsfähigem Internet. Das andere – da ist man jetzt eingestiegen – ist die Ausstattung von Lehrkräften mit Dienstgeräten, aber auch von Schülerinnen und Schülern, die eine soziale Benachteiligung haben, damit alle zuhause angemessen digital ausgestattet sind. Wir sind dabei schon auf einem guten Weg.

Ist das Zwischenziel also erreicht?

Da gibt es einen interessanten Befund: Wenn sich die Ausstattung der Schulen verbessert, erhöhen sich offenbar auch die Anforderungen der Lehrkräfte an diese Ausstattung. Und obwohl die besser geworden ist, sind die Lehrerinnen und Lehrer jetzt ein bisschen weniger zufrieden damit. Die haben wahrscheinlich Blut geleckt und wollen anspruchsvolle Sachen machen, aber dafür wiederum reicht die Ausstattung noch nicht ganz. So wird das Ende wohl nie erreicht, und man muss immer wieder nachlegen.

Am Geld kann es wohl nicht liegen. Es gab den Digitalpakt mit fünf Milliarden Euro, in Bayern zusätzlich noch einmal zwei Milliarden, davon 1,1 Milliarden vom Freistaat. Was ist das Problem?

Das ist zum Teil ein administratives Problem. Die Gelder werden bereitgestellt, fließen aber nicht so schnell. Sie kommen zu spät bei den Schulen an, von denen viele zwar schon vor 2019 ein Medien- und Ausstattungskonzept erarbeitet haben, aber dann erst Anträge stellen mussten. Das klappte in einigen Landkreisen gut, woanders ist man aus unterschiedlichen Gründen noch nicht so weit. Das scheint der Knackpunkt zu sein: Die Schulen wissen, was sie brauchen, die Lehrkräfte sind hochmotiviert, und dann kommt der bürokratische Weg durch Institutionen.

Sie sprachen von der hohen Motivation der Lehrkräfte. Die haben Sie aber auch bei Schülerinnen und Schülern festgestellt. Die werden aktiver. Es gibt da ein stufenweises Modell der Qualität des digitalen Lernens von der passiven Teilnahme bis zum interaktiven Gestalten. Welche Stufe ist erreicht?

Das Modell beschreibt unterschiedliche Möglichkeiten, digitale Medien einzusetzen, um unterschiedliche Arten von Lernzielen zu erreichen. Wir haben festgestellt, dass die Lehrkräfte das Spektrum zunehmend ausschöpfen können und wissen, was man wo einsetzt.

Gleichzeitig haben wir festgestellt, dass Schülerinnen und Schüler während des Lockdowns mehr getan haben als erwartet worden war, dass sie zum Beispiel ein Erklärvideo nicht nur passiv ansahen, sondern aktiv damit umgingen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Schüler im Distanzunterricht offenbar erstmals selbst mit den Medien gearbeitet und nicht nur in der Schule bei einer Powerpoint-Präsentation zugehört haben, wobei sie selbst ja gewissermaßen „analog“ geblieben sind. Sie haben damit eigenständig zur Lernaktivierung beigetragen. Allerdings fehlt es beim Lernen mit digitalen Medien zuhause umgekehrt häufig an Motivation und Selbstdisziplin.

Es kommt doch sehr auf die digitale Pädagogik und Didaktik der Lehrkräfte an?

Genau. Dafür steht ja auch unser Lehrstuhl. Wir bilden die angehenden Lehrkräfte aus und versuchen, ihnen medienbezogene Kompetenzen zu vermitteln. Das heißt, die Studierenden sollen zum einen in die Lage versetzt werden, all die unterschiedlichen Aktivierungsformen in der Schule einzusetzen und beispielsweise gemeinsames kooperatives Arbeiten mit Medien anzuleiten. Der andere Aspekt ist, sie sollen lernen, später Schülerinnen und Schüler zu befähigen, mit den digitalen Medien umzugehen, auch im Hinblick auf die Selbststeuerung, also etwa die Motivation. In diesem Sinne sollten alle Studierenden bei digitalen Medien ein gewisses Niveau erreichen. Dafür fehlen derzeit allerdings teilweise noch die Ressourcen.

Wie sieht es nach dem Studium aus?

Beim Referendariat konnten wir nicht so tiefe Einblicke gewinnen, weil etwa bei den Prüfungsordnungen Medien überhaupt nicht auftauchen. Das heißt nicht, dass da nichts gemacht wird, aber es ist kein obligatorischer Bestandsteil der Prüfung. Unsere Empfehlung lautet, im Sinne einer Output-Steuerung den Nachweis zu verlangen, dass in mindestens einer Lehrprobe auch auch digitale Medien in anspruchsvoller Weise eingesetzt werden. Besser ist es dann später mit der Fortbildung. Da wurde und wird viel gemacht, das Angebot ist groß und wird von Lehrkräften auch bereitwillig angenommen.

Porträt von Dr. Florian Schultz-Pernice

Bedeutet das aber auch, dass auf Lehrerinnen und Lehrer eine Fülle neuer Aufgaben hinzukommt?

Was die Studie nicht unterstützen kann, ist ein Lehrer-Bashing. Die Corona-Zeit hat viele Lehrkräfte an die Belastungsgrenze gebracht. Sie sind sehr engagiert, und das haben auch Schüler und Eltern in der Umfrage betätigt. Es ging nicht nur um das Lehren und Lernen, Lehrerinnen und Lehrer haben sich auch nach Schülerinnen und Schülern erkundigt und auch sonst Kontakte gehalten. Allerdings blieben einige für die Lehrkräfte unerreichbar.

In den Empfehlungen Ihrer Studie ist auch von Lern- und Erziehungspartnerschaft zwischen Schule und Elternhaus die Rede. Aber es hat sich ja gezeigt, dass die Eltern, vor allem die Mütter, schon jetzt beim Distanzunterricht sehr eingespannt sind, durchschnittlich drei bis fünf Stunden täglich helfen sie ihren Kindern. Kann man ihnen noch mehr zumuten?

Mich haben diese Zahlen auch überrascht. Man kann damit jetzt nachweisen, welche Leistungen Eltern erbracht haben. Nicht nur, dass sie einen Arbeitsplatz einrichten mussten, sie haben auch beim Lernen unterstützt. Die Frage ist nicht, ob sie das machen dürfen oder sollen. Sondern: Wie gehen wir damit um, denn es ist nun einmal so. Aber nicht alle können die gleiche Unterstützung leisten. Das ist ein zeitliches Problem, aber auch eines der eigenen Bildungsvoraussetzungen. Das führt zu Bildungsbenachteiligung und sozialen Ungleichheiten.

Titelbild der MUM-Ausgabe: Porträt eines jungen Manns

Das Interview mit Florian Schultz-Pernice ist aus der MUM, dem MünchnerUni Magazin.

Was macht man dagegen?
Unser Vorschlag war, sich damit zunächst einmal ernsthaft auseinander zu setzen. Was ist sinnvoll? Die Schule erzieht, die Eltern zuhause auch, das ist seit jeher als Erziehungspartnerschaft anerkannt worden. Wenn aber das jetzt so deutlich wird, dass die Eltern auch das Lernen unterstützen und begleiten, stellt sich die Frage, ob man das überhaupt will und in welchem Maß. Und was machen wir mit Schülern, deren Eltern das nicht können? Die Botschaft ist: Man kann jetzt nicht mehr so tun, als gäbe es das nicht. Es wäre natürlich wünschenswert, wenn die Eltern nicht mithelfen müssten. Auf der anderen Seite war es gut, dass wir mit unserer Studie in dieser Corona-Zeit Dinge sichtbar machen konnten, die sonst vielleicht verloren gegangen wären.

Sie haben am Ende Ihrer Studie Empfehlungen gegeben, gewissermaßen als Hausaufgabe für alle Beteiligten. Glauben Sie, dass sie umgesetzt werden?

Die Pandemie und das Distanzlernen bewirken Erhebliches. Leider konnten wir nicht mehr abbilden, was nach dem ersten Lockdown geschehen ist, zum Beispiel die Aufnahme des verpflichtenden Charakters des Distanzunterrichts in die Bayerische Schulordnung oder die Ausstattung der Lehrkräfte mit Dienstgeräten, was vorher nie ernsthaft diskutiert wurde – und plötzlich geht so etwas.

Ich hoffe schon, dass man aufgrund der Erfahrungen und der Erkenntnisse aus unserer Studie jetzt nicht mehr hinter diesen Stand zurückfallen kann. Der digitale Schub, der in der Pandemie kam, wird wohl nicht mehr verloren gehen.

Die Veröffentlichung „Digitale Bildung an bayerischen Schulen vor und während der Corona-Pandemie“ vom Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der LMU ist im März 2021 erschienen und online als pdf-Datei verfügbar.

Mehr über die LMU und die Menschen, die hier studieren und arbeiten, gibt es in der MUM. In der aktuellen Ausgabe erzählen zum Beispiel die beiden LMU-Alumni Karin Krug und Andreas Wolf, wie sie das fastfood Theater gegründet haben. Lesen Sie außerdem über die neuberufenen Professorinnen und Professoren und darüber, wie es mit dem Studienaustausch mit Großbritannien nach dem Brexit weitergeht.

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