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„Emotionen sind der Schlüssel zum Verständnis des Zionismus“

06.12.2022

Derek Penslar von der Harvard University ist erster Träger einer neuen Gastprofessur für Jüdische Studien an der LMU. Gestiftet von der Münchner Brodt Foundation, bringt die Stiftung international renommierte Forschende dieses Feldes an die LMU.

Porträt Professor Penslar im Pullover mit Brille vor einem Backsteinhaus

Professor Derek Penslar von der Harvard University ist Gastprofessor für Jüdische Studien an der LMU | © privat

Aus den Blickwinkeln von Politik, Wirtschaft und Militär hat Professor Derek Penslar das Judentum schon ergründet – und zuletzt sogar aus dem der Gefühle. „Emotionen sind der Schlüssel zum Verständnis des Zionismus“, erklärt der Professor für Jüdische Geschichte der Harvard University. „Denn historisch wurde er auch von tiefen Gefühlen getragen.“ Generell sei Emotion „eine der wichtigsten Bindekräfte innerhalb von Staaten und sozialen Bewegungen“.

Derek Penslar ist der erste Träger einer neuen Gastprofessur für Jüdische Studien an der LMU. Gestiftet wird sie von der in München ansässigen Brodt Foundation. Diese hat es zum Ziel, jüdische Kultur in Deutschland zu erneuern und das jüdische Selbstverständnis junger Menschen zu stärken. Dazu fördert sie Bildungsprogramme und kreative pädagogische Konzepte – und will mit der Gastprofessur auch künftig jedes Jahr international renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Gebiet Jüdischer Studien an die LMU bringen.

Von Stanford nach Berlin

Derek Penslar, der am 7. Dezember im Hauptgebäude seinen Eröffnungsvortrag zum Thema „Zionism and the International Community: Between Gratitude and Betrayal“ hält, ist Inhaber des William-Lee-Frost-Lehrstuhls für Jüdische Geschichte an der Harvard University. Er gehört ihrer Abteilung für Geschichte und ihren Zentren für Europäische Studien, Nah- und Mitteloststudien sowie Judaistik an und wird 2023 Direktor des letzteren. Mit einem vergleichenden und transnationalen Ansatz untersucht er die jüdische Geschichte im Kontext des modernen Kapitalismus, des Nationalismus und Kolonialismus.

„Eine von meinen Urgroßmüttern kam einst aus Lemberg im damaligen Österreich-Ungarn (dem heutigen Lwiw in der Ukraine) nach Köln und wanderte am Anfang des 20. Jahrhunderts in die USA aus“, erzählt Penslar. Geboren 1958 in Kalifornien als Kind jüdischer Eltern, studierte er später in Stanford insbesondere deutsche Geschichte. „Ich kann gar nicht genau sagen, was mich so daran faszinierte. Vielleicht war es dieser Gegensatz zwischen einem hochgebildeten, kultivierten Land wie Deutschland und der Barbarei der NS-Zeit.“

Erst Jahre später erfuhr Derek Penslar, dass viele seiner Familienmitglieder, die meisten von ihnen aus Polen stammend, von den Nazis umgebracht worden waren. „Mein Interesse an Deutschland hatte also auch eine persönliche Komponente, die ich nicht ausdrücken konnte.“ Seine erste Reise nach Deutschland machte er 1978, als er an einem Austauschprogramm der Stanford University mit der Freien Universität im damaligen West-Berlin teilnahm. „Das war eine sehr prägende Erfahrung, und lange Zeit interessierte ich mich hauptsächlich für deutsche Geschichte“, so Penslar.

„Quelle emotionaler Energie“

Erst im Hauptstudium wuchs sein Interesse auch an jüdischer Geschichte und der Geschichte des Zionismus. Bevor er 2016 an die Harvard University kam, lehrte und forschte er an den Universitäten von Indiana, Toronto und Oxford. In seiner Forschung und zahlreichen Büchern befasste er sich zunächst mit jüdischer Sozialgeschichte , später mit Wirtschaftsgeschichte sowie Militärgeschichte und immer wieder mit dem Begründer des Zionismus, Theodor Herzl. „Ein charismatischer Mensch, der das Sehnen der Juden nach einer Heimat erkannte.“

Gerade im Druck ist Penslars Buch über die Rolle von Emotionen in der zionistischen Bewegung und für den Staat Israel. „Mir wurde klar, dass emotionale Geschichte der beste Weg sein könnte, politische Entwicklungen generell zu verstehen, insbesondere den Nationalismus“, so Penslar. „Wenn man verstehen will, wie Israel zu einem Staat geworden ist, muss man diesen Prozess als nationale Bewegung verstehen. Die Juden hatten keinen Staat, keine staatlichen Institutionen. Es muss also eine Quelle emotionaler Energie gegeben haben, die von Theodor Herzl und anderen zionistischen Anführern aufgegriffen wurde.“

In seinem aktuellen Projekt ist Derek Penslar zur politischen Geschichte zurückgekehrt – mit einer globalen Perspektive auf den Palästinakrieg 1947 bis 1949. „Was für ein großes Interesse an zwei so kleinen Völkern! Nur 1,2 Millionen Palästinenser, nur 650.000 Juden. Die Welt war noch erschüttert vom Zweiten Weltkrieg, in dem 60 Millionen Menschen umgebracht worden waren. Dennoch zog dieser Konflikt die globale Aufmerksamkeit auf sich.“

„Die jüdische Gemeinde ist den Stiftern sehr wichtig“

Jetzt lebt Derek Penslar für drei Monate in München – und erforscht etwa in der Bayerischen Staatsbibliothek das deutsche Medienecho auf die Gründung des Staates Israel im Jahr 1948. „Obwohl das eine ereignisreiche Zeit war für Deutschland – mit Besatzung, Marshall-Plan, Währungsreform, Blockade und Luftbrücke – erntete Israel viele und umfangreiche Artikel etwa im Spiegel, der Berliner Zeitung oder dem Tagesspiegel.“ Im Rahmen seiner Gastprofessur hält er zudem eine Vorlesung über die Geschichte des Zionismus und die Geschichte des Staates Israel sowie ein Vertiefungsseminar mit 20 Studierenden über den Palästina-Krieg. „Es geht um diplomatische Geschichte, Kulturgeschichte und auch Kriegsgeschichte. Die Studierenden sind ausgezeichnet, es ist ein Vergnügen zu unterrichten.“

Der Brodt-Stiftung ist Penslar „sehr dankbar“; die Stifterfamilie hat er persönlich kennengelernt. „Jakob und Aline Brodt sind warmherzige und engagierte Menschen, denen die jüdische Gemeinde in Deutschland, ihre Zukunft und Beziehungen zu Nicht-Juden sehr wichtig sind.“ München empfindet der Historiker als „angenehme und sehr zivilisierte Stadt, mit einer ausgezeichneten Universität, die mich stark an die Universität von Toronto erinnert“.
In Kanada und USA wird er oft gefragt, wie er in Deutschland jüdische Themen lehren könne. „Aber es kann immer und überall schwer sein, jüdisch zu sein, das müssen wir einfach akzeptieren. Und in Deutschland haben viele sich ernsthaft bemüht, die Vergangenheit anzuerkennen und zu bewältigen und ein besseres Deutschland zu schaffen.“ Als Jude in München fühle Derek Penslar sich wohl. „Ich habe Mitglieder des Freundeskreises des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur an der LMU kennengelernt – und sie scheinen hier ein sehr gutes jüdisches Leben zu leben.“

07 Dez

Zionism and the International Community: Between Gratitude and Betrayal

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Am 7. Dezember 2022 hält Professor Derek Penslar den Eröffnungsvortrag der Brodt-Foundation-Gastprofessur für Jüdische Studien an der LMU.

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