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Erasmus und Brexit: Auf der Suche nach Lösungen

17.05.2021

Übernächstes Jahr endet das Erasmus-Programm zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU. Die Hochschulen sind in regem Austausch, um die Kooperationen weitestgehend aufrechtzuerhalten.

Die Britische Flagge weht vor dem Big Ben in London.

© picture alliance / dpa / Michael Kappeler

Ein Erasmusstudium – das ist eine Herausforderung: Studierende müssen sich in einer neuen Lern- und Lebensumgebung zurechtfinden, ihr Studium und ihren Alltag in einer Fremdsprache organisieren. Erasmus ist aber vor allem auch Austausch, Erfahrung, Erleben, Netzwerken und bestimmt von einer gewissen Leichtigkeit im Umgang miteinander, beim Lernen und Feiern unter normalen Umständen jedenfalls. Corona zwingt dazu, dass vieles, was 2019 noch ganz selbstverständlich war, nurmehr in stark reduzierter und virtueller Form durgeführt werden kann oder ganz entfallen muss. „Ich finde es schwierig, Kontakte durch Vorlesungen oder Seminare zu knüpfen, weil es wenig Gelegenheit gibt, mit Kommilitonen zu sprechen und sie kennenzulernen. Ich habe dennoch Leute durch Online-Meetings kennengelernt, die aus mehreren EU-Ländern kommen.“ Travis Simpson von der University of Leeds studiert an der LMU Germanistik und Mathematik. Er hat sich für München wegen des guten Rufs der LMU entschieden, auch mag er das Großstadtleben und die Nähe zu den Bergen.

Auch für Elena Habelt ist „Home-Uni“ angesagt. „Hier in London findet alles online statt. Nur die Bibliotheken haben offen und man kann die Studyspaces nutzen.“ Habelt studiert am King‘s College Schulpsychologie, Englisch und Philosophie und genießt ihr Studium trotz der Einschränkungen. Denn obwohl Simpson und Habelt kein „normales“ Erasmusstudium durchlaufen und Abstriche beim Studierendenleben machen müssen, können sie immerhin noch ein Auslandsstudium via Erasmus absolvieren. Spätestens mit Ende des Wintersemesters 2022/23 ist die Erasmus-Projektlaufzeit abgelaufen. Danach ist es nicht mehr möglich, Erasmus-Austauschabkommen zu verlängern.

Danach wird es von bilateralen Universitätskooperationen abhängen, ob ein Studienaustausch stattfindet oder nicht. „Wir haben trotz Brexit immer in Richtung einer Bewerbung für einen Austausch in Großbritannien beraten, vor allem in der Hoffnung, dass es nach dem Rückzug aus Erasmus weiterhin Kooperationsverträge mit britischen Universitäten geben wird“, betont Claudia Wernthaler, die am Referat für Internationale Angelegenheiten der LMU die Outgoings berät – also LMU-Studierende, die im Ausland studieren wollen.

Auch Professorin Francesca Biagini, Vizepräsidentin für den Bereich Internationales und Diversity der LMU, sieht hier gute Chancen: „Die britischen Universitäten sind sehr daran interessiert, dass der Austausch weitergeht“, sagt sie. So wäre es durchaus vorstellbar, dass bestehende Forschungskooperationen der LMU um entsprechende Bausteine erweitert würden. Die Gespräche würden laufen, so Biagini.

Und Jean Schleiss, stellvertretende Leiterin des Referats Internationale Angelegenheiten, verweist auf das universitätseigene Programm LMUexchange, das derzeit vor allem das Studium an Partneruniversitäten der LMU außerhalb Europas fördert. Denkbar wäre es, dass dieses Austauschprogramm um Kooperationen mit britischen Universitäten erweitert werden könnte. „Allerdings warten die britischen Universitäten noch ab, wie es mit dem britischen Turing Scheme weitergeht. Die Finanzierung für das neue Programm ist erstmal für ein Jahr gesichert. Wie es weitergeht, steht noch nicht fest.“ Das Programm, das von der britischen Regierung als Ersatz für Erasmus aufgelegt wurde und nach dem berühmten Mathematiker Alan Turing benannt ist, soll jungen Studierenden aus dem Vereinigten Königreich ermöglichen, im Ausland zu studieren. Gelder für deutsche Studierende, die einen Auslandsaufenthalt in Großbritannien absolvieren möchten, sind von der britischen Regierung nicht vorgesehen. Es handelt sich also ausschließlich um ein Förderprogramm für Studierende aus Großbritannien. Travis Simpson aus Leeds sieht das Programm auch eher kritisch: „Das Ersatzprogramm soll nicht so ‚teuer‘ sein wie Erasmus, weil die Kosten des Letzteren ja der Grund für den Ausstieg waren.“ Entsprechend würden viele Zuschüsse nicht so hoch ausfallen wie eigentlich erforderlich.

Kostenfrage Auslandsstudium

Und was machen deutsche Studierende, die künftig nach Großbritannien gehen wollen? Denn schließlich gehört das Land neben Spanien zu den beliebtesten Studiendestinationen. Es laufen entsprechend intensive Bemühungen, Interessenten ein Studium auf der Insel zu ermöglichen. Schließlich müssen Studierende etwa der Anglistik ja sogar einen Auslandsaufenthalt nachweisen können.

Knackpunkt werden die Kosten sein. Im Erasmus-Abkommen gilt eine Studienbeitragsbefreiung. Im Falle von Großbritannien ist das ein großer Vorteil, sind diese dort üblicherweise sehr hoch. Zusätzlich zu der Befreiung wird auch noch ein Zuschuss in Höhe von 450 Euro pro Monat bezahlt. Das ist nicht viel, fällt aber zukünftig auf jeden Fall weg, und das bei steigenden Lebenshaltungskosten in UK. „Ich könnte mir ohne den Zuschuss ein Studium in London nicht leisten“, sagt Elena Habelt, die sich mit ihrem Freund ein kleines Apartment in der britischen Metropole teilt, für das 2.000 Euro Miete pro Monat fällig werden. „Selbst wenn man einen Studienplatz über ein Austauschprogramm erhalten hat, werden zwar keine Studiengebühren fällig, aber Lebenshaltungskosten bleiben“, weiß auch Jean Schleiss. „Zudem benötigt man ein Visum, wenn man ein ganzes akademisches Jahr bleiben will. Das kostet rund 400 Euro.“ Schließlich, so die Schottin, kämen noch der Beitrag für NHS-Krankenversicherung und Kosten für eventuelle Sprachkurse dazu. „Man muss für alles nochmal rund 1.000 Euro einplanen.“ Für finanziell nicht so gut gestellte Studierende kann es da schwierig werden.

Aber auch hier versuchen die Verantwortlichen schnell Lösungen zu finden. An der LMU gibt es ein eigenes Stipendium mit Namen PROSALMU, das mit Mitteln des DAAD und der Bayerischen Staatsregierung ausgestattet ist. LMU-Studierende können sich dafür bewerben, wenn sie ihren Auslandsaufenthalt selbst organisieren oder über LMUexchange ins Ausland gehen. „Allerdings hängt es von der Anzahl der Bewerber ab, ob man ein Stipendium bekommt“, gibt Claudia Wernthaler zu bedenken. Es kann also auch hier sein, dass man zwar einen Studienplatz hat, ergo keine Studienbeiträge zahlen, aber die Restkosten selbst bestreiten muss.

Sidney Garratt-Stanley, Geschichtsstudent an der University of Leeds, ist sich sicher, dass künftig deutlich weniger deutsche beziehungsweise europäische Studierende ihren Weg an die britischen Universitäten finden werden. „Das Erasmus-Programm ist eine sehr gute Hilfe, im Ausland zu studieren, ich profitiere sehr davon. Für viele wird es einfach zu teuer werden“, sagt er. „Der Brexit wird so viele Dinge schwieriger machen – wenn man einfach nur die Möglichkeit sieht, etwa in Europa zu reisen.“

Auch Francesca Biagini vermutet, dass künftig andere Länder verstärkt in das Interesse von Erasmus-Studierenden rücken werden – etwa in Skandinavien, wohin die LMU auch zahlreiche gute Verbindungen unterhält. Dennoch ist für sie klar: Wenn es nach den britischen Universitäten geht, ist der europäische Studierendenaustausch nicht passé. „Wir müssen einfach gute Lösungen entwickeln und ich bin sicher, dass es uns gelingt.“

Das Ausbleiben von Studierenden aus dem EU-Ausland könnte einen erheblichen Einfluss auf die Hochschullandschaft im Vereinigten Königreich haben. Denn gerade die Hochschulen in Großbritannien legen ganz besonderen Wert auf Internationalität und sind entsprechend aufgestellt. Fast ein Drittel der Beschäftigten britischer Unis kommt aus dem Ausland, viele davon aus Europa. Zudem profitierten britische Hochschulen von umfangreichen EU-Fördermitteln für Forschung und Lehre durch Programme wie Horizon 2020 oder Erasmus.

In der wissenschaftlichen Community wird der Brexit entsprechend nicht sehr positiv beurteilt. „Das King‘s College ist eine sehr freigeistige Universität und dort ist mir niemand begegnet, der Brexit- Befürworter ist“, sagt Elena Habelt. Travis Simpson hofft, „dass die britischen Universitäten ihre hohe Reputation bewahren können. Der Abbruch war nicht ihre Entscheidung und es wäre ungerecht, wenn sie deswegen ihre weltweit exzellente Reputation verlieren könnten. Ich denke, dass die britischen britischen und europäischen Universitäten eine Lösung finden werden, um miteinander effizient arbeiten zu können. Aber die Lösung wird nie besser als die vorherige Vereinbarung sein.“

Isa Bojaj ist der Meinung, dass die Pandemie dazu beigetragen hat, die Nationalismen – wie sie sich in den Impfungen zeigen – nicht nur im Vereinigten Königreich, sondern europaweit zu befeuern. Ihn interessiert die Gemengelage besonders, studiert er doch an der University of Exeter Politikwissenschaften und internationale Beziehungen. „Ich denke, der sogenannte Vaccinationalism hat dazu beigetragen, dass jedes Land nur noch in den eigenen Grenzen denkt.“ Er mutmaßt aber, dass der Brexit ursächlich für den Impferfolg in seinem Heimatland ist. Bojaj ist überhaupt überrascht, wie reibungslos die Abspaltung von der EU trotz der besonderen Umstände über die Bühne gegangen ist. Dennoch ist er, dessen Familie albanische Wurzeln und der selbst Verwandte in Stuttgart und Frankfurt hat, auch ein bisschen enttäuscht. „Ich schätze die kulturelle und wirtschaftliche Plattform, die die EU bietet.“ Umso glücklicher sei er, dass er „als einer der Letzten“ die Möglichkeit hatte, am Erasmus-Programm teilzunehmen.

Und das sagen Studierende

Sidney Garratt-Stanley studiert Geschichte in Leeds und an der LMU:

„Ich habe versucht, die positiven Dinge im Brexit zu sehen, aber bislang habe ich keine überzeugenden Argumente gefunden. Es gibt zwar die Überzeugung, dass es ökonomisch nicht schlecht laufen wird, vor allem im Hinblick auf Asien und USA. Aber ich bin da skeptisch. Ich glaube, das Beispiel von Erasmus zeigt auch, dass die britische Regierung nicht bereit ist, die vielen Vorteile anzuerkennen, die eine EU-Mitgliedschaft mit sich bringt. Ich finde es traurig, dass Patriotismus und Nationalismus und die Betonung der eigenen Stärke so in den Vordergrund gestellt werden. Das macht mir für die Zukunft große Sorgen.“

Elena Habelt studiert an der LMU und am King's College in London Schulpsychologie, Anglistik und Philosophie:

„Wenn es keine Ersatzprogramme gibt, wird die Zahl der Austausch-Studierenden massiv zurückgehen, zumal gerade London ohnehin extrem teuer ist. Ich finde die Situation extrem schade. Weil Großbritannien ein so tolles Land ist und London eine so tolle Stadt. Das kann man auch trotz Corona noch erleben und genießen. Als Deutsche oder Deutscher geht man wegen der Geschichte ja immer mit einer gewissen „Duckhaltung“ ins Ausland. Aber ich war sehr überrascht, wie positiv die Einstellung gegenüber Deutschland ist.“

Travis Simpson studiert Germanistik und Mathematik.

„Das Ende der Beteiligung an dem Erasmus-Programm wird leider eine negative und permanente Wirkung auf die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit haben. Wie mit dem Brexit allgemein, wird es Großbritannien schlechter gehen, weil wir 33 Länder verlieren, während die EU nur einen Mitgliedsstaat verliert.

Die Anzahl an britischen Studierenden, die ein Auslandsjahr in 2021/2022 machen werden, wird sicherlich sinken, ebenso wie die Anzahl europäischer Studierender, die im Vereinigten Königreich studieren werden. Ich denke, dass europäische Studenten einfach andere Länder wählen werden, statt kein Auslandsjahr zu machen. Beim Brexit kann keiner gewinnen.“

Der Beitrag ist dem MünchnerUni Magazin entnommen. Mehr über die LMU und die Menschen, die hier studieren und arbeiten, lesen Sie in der aktuellen Ausgabe.
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