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„Uns läuft die Zeit davon“

20.03.2023

Die Klimaziele sind nur noch mit einer drastischen Kehrtwende zu erreichen, sagt LMU-Geograph Matthias Garschagen, einer der Leitautoren des Syntheseberichts des Weltklimarats.

Am 20. März 2023 erscheint ein neuer sogenannter Synthesebericht des IPCC, der die letzten sechs großen Veröffentlichungen des Weltklimarats zusammenfassend bilanziert. LMU-Geograph Matthias Garschagen ist einer der beiden Deutschen unter den weltweit 30 Autoren des Berichts. Im Interview spricht er über die Kernaussagen.

Überschwemmung

Fort Myers an der Westküste Floridas nach dem Hurrikan Ian.

© IMAGO / Cover-Images / Po3 Kruz Sanders / Us Coast 52026302

Der letzte zusammenfassende Synthesebericht des IPCC liegt mehr als acht Jahre zurück. Stellt sich die Lage, was den Zustand des Weltklimas angeht, im neuen Bericht als verschärft dar?

Matthias Garschagen: Definitiv ja. Wir sehen erstens, dass auch der Klimawandel selbst voranschreitet, und zwar zügiger als wir das noch im letzten Berichtszyklus dachten. Die Erwärmung und wie sie sich z.B. auf Extreme auswirkt, ist wesentlich deutlicher, und wir können Extreme jetzt auch eindeutiger dem Klimawandel zuschreiben.

Der zweite ganz gravierende Punkt ist, dass die Risiken und projizierten Auswirkungen des Klimawandels, etwa Ernteausfälle und Hitzetote, höher ausfallen. Das hat damit zu tun, dass wir neue Erkenntnisse haben zur Verwundbarkeit und den Grenzen der Anpassungsfähigkeit von Systemen sowie der Rückkopplung zwischen verschiedenen Risikotreibern. Gesellschaften und Ökosysteme reagieren auf eine Erwärmung von 1,5 oder 2 Grad Celsius noch einmal gravierender, als wir das vormals dachten.

Gleichzeitig gibt es aber nicht nur mehr Erkenntnisse zu den Problemen, sondern auch zu möglichen Lösungen. Wir wissen aus der Wissenschaft heraus eigentlich sehr genau, was zu tun wäre. Jetzt geht es darum, das Wissen tatsächlich auch umzusetzen

Ist der Ton im Dokument dringlicher geworden?

Ich denke, ja. Uns läuft tatsächlich die Zeit davon im Klimaschutz, da ist der Ton sehr deutlich und sehr dringlich. Wenn wir die Pariser Marke „well below two degrees“ halten wollen, müssen wir ganz massiv und jetzt viel deutlicher die Kehrtwende schaffen, als wir es noch vor acht Jahren hätten schaffen müssen. Die Kehrtwende wird jetzt noch steiler und schwieriger sein.

Was oft vergessen wird: Auch im Bereich der Klimawandelanpassung haben wir nicht mehr viel Zeit, weil Anpassung lange Vorlaufzeiten braucht, wenn es beispielsweise darum geht, Saatgut anzupassen oder unsere Küstenstädte hochwasserfest zu machen. Auch hier ist die Dringlichkeit leider deutlicher als vor acht Jahren, weil sich die Risiken verschärft haben und wir die Zeit nicht so effektiv genutzt haben, wie wir es hätten tun sollen und können.

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Bereits anlässlich des letzten Sachstandsberichts haben Sie deutlich gemacht, dass es eng wird. Wieviel Zeit bleibt uns noch?

Wenn wir tatsächlich die Temperaturmarke des Pariser Abkommens einhalten wollen, bleibt keine Zeit mehr. Wir müssen umgehend in die Kehrtwende einsteigen. Dabei haben wir es uns noch schwerer gemacht, weil wir es kaum noch schaffen können, ohne über Kohlendioxidentnahme aus der Atmosphäre und negative Emissionen nachzudenken. Das heißt, die gesellschaftliche Aufgabe wird größer und größer.

Wir müssen im Übrigen die sofortige Kehrtwende auch schaffen, um die unumkehrbaren Schäden so gering wie möglich zu halten. Die Politik gibt sich ja häufig der Illusion hin, wir könnten vielleicht die nächsten ein oder zwei Dekaden noch ein bisschen laxer sein im Klimaschutz und mit der globalen Erwärmung über die Marke von 1,5 oder 1,6 Grad hinausschießen, oder sogar mehr. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts könnten wir die Temperatur dann mithilfe verbesserter Technologien zur Emissionsminderung und Kohlenstoffentnahme wieder herunterbringen, so die verlockende Annahme.

Warum sollten wir uns mit diesen Überschusspfaden keine Zeit erkaufen?

Unser Bericht zeigt sehr deutlich, dass diese sogenannten Überschusspfade mit sehr starken Risiken behaftet sind. Erstens entstehen bei einer Temperaturerhöhung von mehr als 1,6 oder 1,7 Grad Schäden, die teilweise nicht umkehrbar sind. Beispiele sind das Abschmelzen von Gletschern, das Auftauen von Permafrost oder das Absterben von Korallen durch marine Hitzewellen. Da spielt es für das Ökosystem keine Rolle, ob man später wieder auf 1,5 Grad zurückkommt. Zweitens setzt der Überschuss natürlich Prozesse in Gang – etwa das Ausgasen von Methan beim Auftauen von Permafrostböden –, die es dann wesentlich schwieriger machen, die Kehrtwende zu schaffen. Das ist eine ganz riskante Wette auf die Zukunft.

Mit jedem Jahr Überschuss, mit jedem Zehntelgrad steigen die Risiken deutlich an, dass wir die Kehrtwende nicht mehr schaffen und dass wir die Schäden, die wir hervorrufen, nicht mehr umdrehen können.

Gerade in jüngster Zeit, womöglich nach der Erhebung der Daten, hat sich die Welt gewandelt. Gerät die Klimakrise vor dem Hintergrund von Corona, Krieg und daraus resultierenden Energiekrisen jetzt in den Hintergrund?

Sie darf es nicht und sie sollte es nicht. Jetzt zu sagen, wir haben mit einem Krieg zu tun und mit einer Pandemie, deshalb sollten wir es mit dem Klimawandel schleifen lassen, wäre der falsche Rückschluss.

Krisen wie Pandemien oder durch Kriege getriebene Nahrungsmittelknappheiten, die sich in Dürrejahren mit dem Klimawandel verstärken, aber auch sozialer Wandel, Ausgrenzung, Armut müssen zusammen gedacht werden. Eine gute Klimapolitik, die beispielsweise erneuerbare Energien und dezentrale Stromversorgung vorantreibt, ist gleichzeitig auch eine gute Sicherheitspolitik. Ich glaube, das merkt man dieser Tage sehr deutlich. Dass es kurzfristig natürlich zu Abwägungsprozessen kommen muss, ist klar, aber die Dinge mittelfristig gegeneinander auszuspielen, wäre genau das Falsche.

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Welche Kernaussagen trifft der IPCC in seinem neuen Bericht?

Im Kern geht es um drei große Dinge:

Zum einen sehen wir sehr deutlich, dass der Klimawandel bereits starke negative Auswirkungen hat. Die Auswirkungen zeigen sich in verschiedenen Erdteilen unterschiedlich, aber überall wesentlich stärker, als wir das vielleicht noch vor acht Jahren angenommen hätten, wenn man etwa an extreme Wetterereignisse denkt. Die Schäden sind bei jetzt 1,1 Grad globaler Erwärmung schon erheblich. Das lässt sich nicht mehr leugnen.

Zweitens zeigt der Bericht deutlicher als frühere Berichtszyklen, dass das etwas mit uns Menschen zu tun hat. Es hat etwas damit zu tun, wie wir mit diesem Planeten umgehen und einen wenig nachhaltigen Lebensstil pflegen. Das kann so nicht weitergehen.

Eine wichtige Kernbotschaft ist aber auch, dass wir zunehmend wissen, was machbare, kosteneffiziente und effektive Maßnahmen zur Treibhausgasminderung, zur Kohlenstoffentnahme und zur Risikominderung sind. Aber wir müssen nun auch zügig in die Umsetzung kommen. Das Maßnahmenbündel, das wir momentan zur Hand haben, wird mit zunehmender Zeit und Erwärmung schrumpfen und seine Wirksamkeit verlieren, weil z.B. bestimmte Anpassungen im Agrarbereich nur bis zu einer bestimmten Temperaturschwelle wirken.

Welche Ökosphären, Klimazonen und Weltregionen werden besonders betroffen sein?

Das ist immer auch eine Frage der Bewertung, aber man kann schon deutliche Hotspots herausarbeiten. Sehr deutlich betroffen sind die Polarregionen, weil dort Wandelprozesse sehr schnell ablaufen. Die Erwärmung etwa ist viel höher als im globalen Durchschnitt und damit auch die Veränderung in den natürlichen Systemen. Gleichzeitig leben dort Gemeinschaften, die auf die bestehenden ökologischen Systeme sehr fein abgestimmt waren.

Ein weiterer großer Bereich sind semi-aride Gebiete, für die die Projektionen große Dürreperioden und zunehmende Ernteausfälle zeigen. Das ist ein massiver Hotspot, weil das Regionen sind, die häufig auch mit einer hohen sozialen Verwundbarkeit einhergehen, aufgrund von beispielsweise großer Armut, schlechter gesundheitlicher Ausstattung und unzureichender Bildung.

Ein weiterer von zunehmenden multiplen Risiken stark betroffener Bereich werden Küstenräume sein. Da kommen Taifune und Sturmfluten zusammen mit der Meeresspiegelerhöhung, mit Versalzung, Starkniederschlagsereignissen, mit Hitze … Große Küstenstädte sind Knotenpunkte der Weltwirtschaft und vieler lokaler Ökonomien. Diese Städte fundamental umzubauen, um sie zukunftssicher zu machen, ist eine ganz große Herausforderung. Und weil wir weltweit eine starke Urbanisierung haben, betrifft dies einen zunehmenden Anteil der Bevölkerung und auch des Wirtschaftssystems.

Welche Probleme sind kurzfristig am drängendsten?

Eigentlich alles. Aber kurzfristig am drängendsten ist, die Kehrtwende im Klimaschutz jetzt effektiv voranzutreiben. Das ist der erste Punkt.

Zweitens sollten wir zügig auf einen globalen Mechanismus hinarbeiten, wie wir mit den unausweichlichen Schäden umgehen, die vor allem in ärmeren Ländern entstehen werden. Wie machen wir das global gerecht und wie greifen wir diesen Ländern bei der Anpassung unter die Arme? Der aktuelle Bericht zeigt viel deutlicher als der letzte, wie weit die Lücke zwischen den momentan auf dem Tisch liegenden Zusagen an Unterstützung und der Leistung, die gebraucht würde, auseinanderklafft.

Welche Maßnahmen sollten jetzt ergriffen werden?

Im Bereich Klimaschutz die Kehrtwende im Energiesektor. Die Kehrtwende im Transportsektor ist ganz zentral, aber auch im Bereich der Gebäude oder der Landwirtschaft. Da sind die erforderlichen Maßnahmen ja eigentlich bekannt. Die Frage ist aber, wie wir beispielsweise zu einem Emissionshandel gelangen, der funktioniert und über angemessene Preise auch wirklich den Markt gestaltet und einen tiefgreifenden Effekt entwickelt.

Im Bereich Klimaanpassung sollten wir zum einen auf bewährte und bestehende Maßnahmen setzen. Soziale Sicherungssysteme, wie wir sie in Deutschland als selbstverständlich hinnehmen, sind in vielen Erdregionen nicht selbstverständlich. Wir wissen aber, dass sie einen großen positiven Einfluss auf die Fähigkeit haben, mit einer Grundverwundbarkeit umzugehen. Etwa weil man nach einer Katastrophe nicht komplett aus jeglicher Versorgung fällt. Solche bewährten Ansätze beinhalten sogenannte „Low regret“-Maßnahmen: Ein gutes soziales Sicherungssystem ist auch ohne den Klimawandel hilfreich, und mit erst recht.

Daneben müssen aber Fragen angegangen werden, bei denen die Lösungen nicht offensichtlich auf der Hand liegen oder wo es zumindest schwieriger gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse bedarf. Vor allem in Küstenräumen wird man sich schon fragen müssen, ob die nächsten drei, vier Jahrzehnte noch sehr teuer in Schutzmaßnahmen investiert werden sollte, wenn wir wissen, dass die Maßnahmen in 80 Jahren gar nicht mehr funktionieren können. Solche sogenannten Maladaptationen, also schlechte oder fehlgeleitete Anpassungen, die Risiken eigentlich noch erhöhen, zu vermeiden, das gilt es jetzt wirklich zu tun. Dies zu erkennen und dann auch in die Politik und die Gesetzgebung zu bringen, ist das Entscheidende. Das wird sehr schnell sehr konkret, wenn man in Deutschland etwa über Bauerwartungsland in zukünftigen Hochwasserlagen nachdenkt.

Ist noch realistisch, dass die ursprünglich gesetzten Klimaziele zu erreichen sind?

Sie sind noch zu erreichen, aber nur noch durch drastische Einschnitte und Kehrtwenden. Das 2-Grad-Ziel ist definitiv noch möglich, das 1,5-Grad-Ziel nur noch, wenn wir umgehend und sehr drastisch die Kehrtwende in den Emissionen hinbekommen und unsere risikoarmen und natürlichen Kohlenstoffsenken wie Wälder oder Moore schützen und ausbauen.

Aber noch haben wir es selbst in der Hand, effektiv dagegen vorzugehen. Das ist die wichtigste Kernbotschaft.

Aber diese Möglichkeit wird schrumpfen, und zwar rapide. Das Fenster schließt sich, und was wir zukünftigen Generationen aufbürden, wenn wir heute nicht die richtigen Schlüsse treffen und mutig vorangehen, ist brachial. Das sollten wir uns alle noch einmal vor Augen führen.

Prof. Dr. Matthias Garschagen ist Geographieprofessor an der LMU.

© LMU

Prof. Dr. Matthias Garschagen, Inhaber des Lehrstuhls für Anthropogeographie mit dem Schwerpunkt Mensch-Umwelt-Beziehungen am Department Geographie der LMU, ist einer der Kernautoren des Syntheseberichts des sechsten Berichtszyklus des Weltklimarats. Der Synthesebericht fasst die Sachstandsberichte und Sonderberichte des aktuellen Berichtszyklus zusammen. Das Werk präsentiert weltweit anerkannt den derzeitigen Stand der Wissenschaft.

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