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El Niño bringt noch mehr Hitze und Extreme

14.08.2023

Welche Folgen wird das Wetterphänomen El Niño haben? Und was bedeutet das für eine vom Klimawandel erhitzte Erde? Nachgefragt bei LMU-Forschenden.

El Niño ist da. Das periodisch auftretende Klimaphänomen wird in den kommenden Monaten das Wetter in vielen Teilen der Welt ordentlich durcheinanderwirbeln. Je nachdem wie stark es diesmal ausfällt, ist vielerorts mit katastrophalen Folgen zu rechnen. Die Weltwetterorganisation warnt vor neuen Rekorden bei der globalen Durchschnittstemperatur. Im Juli hat die Welt bereits ihren heißesten Tag seit Beginn der Aufzeichnungen erlebt.

El Niño verursacht unter anderem in Australien Dürren und erhöht das Risiko für Waldbrände.

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Prof. Thomas Birner erforscht eine Reihe von dynamischen Phänomenen des gekoppelten Systems Troposphäre/Stratosphäre am Meteorologischen Institut der LMU.

Prof. Thomas Birner erforscht eine Reihe von dynamischen Phänomenen des gekoppelten Systems Troposphäre und Stratosphäre. | © LMU

Mit der Klimakrise hat El Niño zunächst nicht viel zu tun. „Das regelmäßige Wechselspiel zwischen El Niño und seinem Gegenstück La Niña sind natürliche Schwankungen im Klimasystem“, sagt Professor Thomas Birner vom Meteorologischen Institut der LMU. Man dürfe die natürlichen Fluktuationen nicht mit dem menschengemachten Klimawandel gleichsetzen. Bei El Niño handelt es sich um ein gekoppeltes Atmosphäre-Ozean-Phänomen, das sich zwischen Passatwinden und Meeresströmungen im Pazifik abspielt. Normalerweise wehen die Passatwinde von Ost nach West und sorgen dafür, dass sich auf der Westseite des Pazifischen Ozeans warmes Wasser ansammelt, wo es verdunstet und zu Gewittern mit starken Niederschlägen führt. Dadurch kann auf der Ostseite kälteres Meerwasser nach oben strömen. Bei einem El Niño schwächt sich diese Dynamik zwischen West- und Ostpazifik stark ab.

Durch diese Abschwächung staut sich wärmeres Wasser im Ostpazifik. In manchen Regionen, wie den Hochgebirgen Südamerikas, fällt dann viel mehr Regen als sonst. Es kommt vermehrt zu Überschwemmungen, Schlammlawinen und Erdrutschen. Auf der Westseite des Pazifiks fehlt dieser Regen dafür. Das führt zu einer höheren Wahrscheinlichkeit für starke Dürren und Waldbrände in Indonesien und Australien. Auch im Amazonasregenwald fällt weniger Regen. Die Folgen sind oft dramatisch. „Starke El-Niño-Ereignisse können Zehntausende Menschenleben kosten und unter dem Wassermangel in den betroffenen Regionen leiden Millionen von Menschen“, meint Birner. Die wirtschaftlichen Kosten wurden kürzlich von amerikanischen Wissenschaftlern mit 3,8 bis 5,3 Billionen Euro beziffert. Ärmere Länder im globalen Süden sind deutlich stärker betroffen, was bereits existierende globale Ungleichheiten weiter verschärft.

Die direkten Auswirkungen betreffen vor allem die Gebiete rund um den West- und Ostpazifik, wo El Niño seinen Ursprung hat, aber auch die gesamte Klimazone der Tropen, wo es in El-Niño-Jahren deutlich wärmer ist als sonst. Außerdem gibt es Fernwirkungen, sogenannte Teleconnections. Von diesen sind besonders die Regionen nördlich und südlich des Pazifiks stark betroffen, beispielsweise Nordamerika. Der Jetstream über dem Nordpazifik, ein das nordamerikanische Wetter beeinflussendes Starkwindband, verschiebt sich durch El Niño äquatorwärts und kann zum Beispiel in Kalifornien häufigere Sturmtiefs und mehr Regen verursachen.

Die Auswirkungen von El Niño auf Europa sind dagegen sehr gering und nach wie vor nicht im Detail geklärt. „Zwischen uns und El Niño liegt mit Nordamerika ein Kontinent, der die Hauptauswirkungen in den mittleren Breiten der Nordhemisphäre abbekommt“, erklärt Birner. Es gebe zwar indirekte Auswirkungen, beispielsweise durch Wechselwirkungen mit der Stratosphäre, deren konkrete Folgen aber noch ungenügend verstanden seien. „Daran forschen wir noch.“ Falls sich das Phänomen auf das Wetter in Deutschland und Europa auswirkt, dann eher im Winter. Für mögliche Hitzewellen oder Dürren hierzulande kann El Niño also eher nicht verantwortlich gemacht werden.

Professor Gert Wörheide erforscht Korallen und Schwämme.

Der Geobiologe Prof. Gert Wörheide erforscht Korallen und Schwämme an der LMU. Beide sind durch steigende Wassertemperaturen stark bedroht und leiden während El-Niño-Zeiten besonders.

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Für das Leben im Meer hat El Niño hingegen dramatische Auswirkungen, insbesondere im Ostpazifik. Der Name El Niño (zu Deutsch: „Christkind“) rührt daher, dass peruanische Fischer in El-Niño-Jahren zur Weihnachtszeit ein Ausbleiben der Fischschwärme feststellten. Durch die Erwärmung des Meerwassers kann das nährstoffreiche kalte Wasser nicht nach oben strömen. „Das führt zu Störungen in den marinen Nahrungsketten“, erklärt der Geobiologe Professor Gert Wörheide, Leiter des Lehrstuhls für Paläontologie und Geobiologie an der LMU. Die Verfügbarkeit von Phytoplankton, das die Grundlage des Nahrungsnetzes im Meer darstellt, gehe durch den Nährstoffmangel stark zurück.

Auch Korallen, die Wörheide im Zuge seiner Forschung untersucht, geraten durch El Niño unter Druck. Durch eine Erhöhung der Wassertemperatur kann es zur Korallenbleiche und zum Absterben großer Riffbereiche kommen – eine Problematik, die ohnehin durch den Klimawandel bereits verheerende Ausmaße annimmt. „Heute ist mancherorts die mittlere Oberflächentemperatur des tropischen Meeres während La Niña und Normalphasen bereits wärmer, als sie vor drei Jahrzehnten während El-Niño-Ereignissen war“, erklärt Wörheide. „El-Niño-Phasen werden künftig das Leben im Meer weiterhin stark belasten und das Korallensterben in vielen Regionen des Indo-Pazifiks zusätzlich vorantreiben."

Obwohl der Klimawandel nicht die Ursache von El Niño ist, kann man ihn auch nicht losgelöst davon betrachten. El-Niño-Jahre bedeuten immer Ausreißer nach oben in der global gemittelten Temperatur und eine Häufung von Extremwetterereignissen. „Wenn sich die Welt ohnehin inmitten einer Klimakrise befindet und es jedes Jahr wärmer wird, wirkt sich El Niño zusätzlich verstärkend in den betreffenden Jahren aus“, erklärt Thomas Birner. Deswegen sei es kein Wunder, dass neue Eskalationen der Klimakrise besonders während El-Niño-Phasen auftreten. Außerdem gibt es Anzeichen dafür, dass El Niño selbst sich durch den Klimawandel verändert. „Die Klimaszenarien des Weltklimarats (IPCC) deuten an: Was heute El Niño ist, könnte mehr oder weniger der zukünftige Normalzustand sein“, sagt Birner. „Viele Modelle deuten außerdem darauf hin, dass sich die Frequenz extremer El-Niño-Ereignisse in den nächsten Jahrzehnten verdoppeln könnte“, ergänzt Professorin Julia Pongratz, Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie und Landnutzungssysteme an der LMU. Auch das Ausmaß der Anomalien, die damit einhergehen, könnte sich intensivieren.

In manchen Regionen, wie den Hochgebirgen Südamerikas, fällt durch El Niño viel mehr Regen als sonst. Es kommt vermehrt zu Überschwemmungen, Schlammlawinen und Erdrutschen.

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Pongratz erforscht, wie sich das El-Niño-Phänomen auf den globalen Kohlenstoffkreislauf auswirkt. „In El-Niño-Jahren verzeichnen wir starke Wachstumsraten im atmosphärischen CO2“, erklärt die Geographin. Die Ursachen hierfür liegen vor allem in Indonesien und Brasilien. Die Wälder, Savannen und anderen terrestrischen Ökosysteme sind eine gigantische Kohlenstoffsenke und nehmen normalerweise ein Viertel bis ein Drittel der vom Menschen verursachten CO2-Emissionen auf. In El-Niño-Jahren schwächelt diese Senke im Amazonasregenwald, weil Bäume aufgrund von Dürre sterben und die Photosynthese-Leistung nachlässt. Das kann so substanziell sein, dass die Ökosysteme im Amazonasgebiet mehr CO2 emittieren, als sie aufnehmen. „Die negativen Folgen von El Niño auf die Amazonas-Kohlenstoffsenke erwarten wir nächstes Jahr im Sommer“, sagt Pongratz.

Prof. Julia Pongratz erforscht die Auswirkungen von Landnutzungsemissionen auf den Klimawandel.

Die Geographin Prof. Julia Pongratz forscht darüber, wie sich die weltweiten Emissionen aus der Landnutzung abschätzen lassen und wie sie sich auf den Klimawandel auswirken.

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In Indonesien, am anderen Ende des Pazifiks, kommt es durch El Niño zu einem starken Anstieg der Treibhausgasemissionen. Dort wurden über die letzten Jahrzehnte Torflandschaften weiträumig trockengelegt. In den entwässerten Torflandschaften wird Feuer eingesetzt, um die Vegetation zu beseitigen und die Gebiete landwirtschaftlich zu nutzen. In einem El-Niño-Jahr laufen diese Torfbrände vermehrt aus dem Ruder und breiten sich unkontrolliert aus. „Das ist ein großes Problem. Man kann diese Art von Bränden kaum löschen, weil sie sich im Boden fortsetzen und über Monate hinweg unsichtbar weiterschwelen“, sagt Pongratz. Das sei aufgrund der daraus resultierenden Luftverschmutzung auch dramatisch für die Gesundheit der lokalen Bevölkerung. „Solche Brände sind schon dieses Jahr im Herbst zu erwarten.“

Ohne Einfluss des Menschen würden die für die Atmosphäre negativen Folgen von El Niño wieder ausgeglichen, weil in neutralen oder La-Niña-Zeiten wieder vermehrt CO2 gebunden wird. Durch die menschliche Aktivität, wie die künstlich gelegten Torfbrände, gerät das System jedoch aus dem Gleichgewicht. „In den betroffenen Regionen brennt es normalerweise nicht, oder nur in extremen Jahren“, meint Pongratz. Torflandschaften brauchten viele Jahrhunderte, um sich aufzubauen. „Wenn diese Landschaften in Indonesien brennen, wird das freigesetzte CO2 über die nächsten Jahrhunderte nicht mehr zurück in die Erde gelangen. Man muss sich darüber klar sein, dass das auf menschlichen Zeitskalen irreversibel ist.“

Was bedeuten diese durch El Niño verursachten Änderungen nun angesichts des bereits fortschreitenden Klimawandels? „Es ist nicht unwahrscheinlich, dass wir innerhalb der nächsten zwölf Monate schon Zeitperioden erleben, die einem Überschreiten der 1,5-Grad-Marke entsprechen, obwohl der Klimawandel bisher im Schnitt erst zu 1,1 Grad Erwärmung geführt hat“, sagt Pongratz. „Das nächste Jahr könnte also ein Vorgeschmack darauf sein, wie normale Jahre in Zukunft aussehen werden, wenn wir das Ziel nicht einhalten, die Erwärmung der Erde auf 1,5 Grad zu begrenzen.“ Darin sieht die Klimaforscherin aber auch eine Chance: Nachdem Indonesien in den Jahren 1997 und 2015/16 katastrophale Schäden durch die damals besonders extremen El Niños verzeichnete, wurden mehrere Millionen Hektar Torflandschaften wiedervernässt. „Die Frage ist natürlich trotzdem, ob das ausreicht und mit der Zuspitzung durch den fortschreitenden Klimawandel schritthalten kann“, meint Pongratz. „Aber es zeigt, dass extreme Ereignisse, wie sie während El Niño vermehrt auftreten, eine Art Weckruf für die Politik sein können, um aktiv zu werden und dem Klimawandel gegenzusteuern.“

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