Geballte Expertise für medizinischen Forschungstransfer
30.06.2025
Das LMU-Forschungszentrum ICON für metabolische und kardiovaskuläre Erkrankungen hat eröffnet. Steffen Massberg und Eckhard Wolf stellen es vor.
30.06.2025
Das LMU-Forschungszentrum ICON für metabolische und kardiovaskuläre Erkrankungen hat eröffnet. Steffen Massberg und Eckhard Wolf stellen es vor.
Das neu eröffnete Forschungszentrum „Interfaculty Center for Endocrine and Cardiovascular Disease Network Modelling and Clinical Transfer“ (ICON) bündelt interdisziplinäre Wissenschaft rund um Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und bringt innovative Therapieansätze in die klinische Anwendung.
Professor Steffen Massberg, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I am LMU Klinikum und Eckhard Wolf, Professor für Molekulare Tierzucht und Biotechnologie an der LMU, im Gespräch über die Möglichkeiten und Ziele von ICON.
Was ist das Besondere am ICON?
Massberg: ICON bildet die Brücke zwischen Grundlagenforschung und klinischer Anwendung. Dafür gibt es hier bestmögliche strukturelle und personelle Voraussetzungen. Ich kenne europaweit keine Institution, die für moderne Therapieansätze am Herzen so fortschrittlich ist.
Wolf: Das Einzigartige an ICON ist, dass es die unterschiedlichen am Standort vertretenen Disziplinen – Medizin und Tiermedizin, Biologie und Gentechnologie, Pharmazie und Chemie – an einem Ort zusammenbringt. Im Gebäude konzentriert sich eine Vielzahl hochspezialisierter Arbeitsgruppen, die jeweils ein Spektrum an Untersuchungsmöglichkeiten auf dem höchsten Niveau beherrschen. Diese Expertise können wir bündeln und für bestimmte Fragestellungen der Translation in die Medizin nutzen.
ICON bildet die Brücke zwischen Grundlagenforschung und klinischer Anwendung. Ich kenne europaweit keine Institution, die für moderne Therapieansätze am Herzen so fortschrittlich ist.Steffen Massberg
Prof. Dr. Steffen Massberg | © LMU Klinikum
Wie sieht dieser Transfer aus?
Massberg: Die beteiligten Vertreter vom neu gegründeten Exzellenzcluster NUCLEATE forschen zum Beispiel unter anderem an innovativen RNA- und DNA-basierten Therapieformen oder an Möglichkeiten, bestimmte Wirkstoffe gezielt an den richtigen Ort im Körper zu bringen. Wenn so ein Ansatz schon relativ weit entwickelt ist, wird er am ICON in einem patientenrelevanten Krankheitsmodell überprüft, als letzter Schritt, bevor er in eine am Patienten getestete Technologie übergeht. Wenn die Ergebnisse am Schweinemodell vielversprechend sind, sind diese die Basis für die darauffolgenden frühen klinischen Studien am Patienten.
Wolf: Unser Ziel mit ICON ist, mithilfe von Großtiermodellen neue therapeutische, diagnostische und präventive Maßnahmen bis zur Klinikreife weiterzuentwickeln.
Massberg: Wir streben auch eine engere Kooperation mit Industriepartnern an. Mit dem Start-up-Campus Martinsried haben wir eine direkte räumliche Anbindung an junge Unternehmen, suchen aber auch die Zusammenarbeit mit größeren Firmen. Je näher eine Anwendung an die Klinik kommt, desto wichtiger ist der Input der Industrie.
Im Fokus stehen kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen?
Massberg: Kardiovaskuläre Erkrankungen sind noch immer die häufigste Todesursache in Deutschland. In einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft steigt der Anteil der Menschen, die davon gefährdet und betroffen sind. Viele Krankheiten, die das Herz und seine Gefäße betreffen haben auch eine metabolische Ursache. Strategien, mit dem Ziel, kardiovaskuläre Erkrankungen zu verhindern oder zu behandeln, müssen immer auch metabolische Ursachen berücksichtigen.
Unser Ziel mit ICON ist, mithilfe von Großtiermodellen neue therapeutische, diagnostische und präventive Maßnahmen bis zur Klinikreife weiterzuentwickeln.Eckhard Wolf
Wolf: Der metabolische Teil ist eher mein Schwerpunkt. Seit fast 20 Jahren beschäftige ich mich mit der Entwicklung von Schweinemodellen für Diabetes und andere metabolische Erkrankungen. Diabetes ist ein wichtiger Faktor für die Entstehung kardiovaskulärer Krankheitsbilder wie Atherosklerose oder Herzklappen-Erkrankungen. Kürzlich hat die Arbeitsgruppe von Herrn PD Sebastian Clauß an einem unserer Schweinemodelle gezeigt, dass auch Herzrhythmusstörungen durch Diabetes verursacht werden können.
Prof. Dr. Eckhard Wolf | © Jan Greune/Gene Center LMU
Warum ist es so wichtig, an Schweinen zu forschen?
Wolf: Bei der Zulassung von Arzneimitteln spielt das Schwein inzwischen eine große Rolle: Die EU hat eine Innovative Health Initiative ausgelobt, mit dem Ziel, Sicherheitsforschung für neue Therapien an nicht-humanen Primaten durch Untersuchungen an Schweinen zu ersetzen. Dieses inzwischen unter dem Namen NHPig geförderte Verbundprojekt beinhaltet auch die Entwicklung von relevanten Zellkulturmodellen und trägt so wesentlich zum sogenannten „3R-Prinzip“ bei.
Schweine sind uns physiologisch und in der Organstruktur relativ ähnlich. Der große Vorteil ist aber, dass man Schweine sehr gut genetisch modifizieren kann. Wir können molekulare Mechanismen von menschlichen Krankheiten eins zu eins im Schwein nachbauen. Dadurch erhalten wir ein viel besseres Modell, als wenn wir ein nicht-modifiziertes Schwein untersuchen. Das geht so weit, dass man sogar die Zielstrukturen für bestimmte Therapeutika komplett humanisieren kann. In solchen genetisch maßgeschneiderten Modellen kann man exakt die Substanzen testen, die später im Menschen verwendet werden sollen.
ICON soll sich in den kommenden Jahren zu einem Nukleus für therapeutische Innovationen und neue Bildgebungsmöglichkeiten entwickeln.Steffen Massberg
An unseren Diabetes-Schweinen kann man zum Beispiel untersuchen, wie sich Diabetes auf kardiovaskuläre Erkrankungen auswirkt. Wir haben auch Krankheitsmodelle für die Duchenne Muskeldystrophie, an denen man Gentherapien testen kann, die das defekte Gen ersetzen oder den Leserahmen des Gens korrigieren. Um ganz genau zu klären, wie effizient die entwickelten Ansätze sind, können wir nun das gesamte Spektrum der Untersuchungsmöglichkeiten am ICON nutzen.
Welche technischen Möglichkeiten bietet das ICON dahingehend?
Massberg: Am ICON steht aktuell der modernste Computertomograph der LMU. Dieses sogenannte Photon-Counting-CT ist die nächste Generation von CT-Bildgebung und ermöglicht eine extrem hohe Auflösung. Das ist wichtig, wenn man kleine Strukturen darstellen will, wie Herzkranzgefäße oder Veränderungen der Herzmuskelzellen. Es gibt außerdem einen Kernspintomographen, der Magnetresonanz-Tomografie am Großtier erlaubt, aber auch die Untersuchung von Patientinnen und Patienten, die an klinischen Studien teilnehmen. Unser PET-CT ermöglicht uns die Etablierung und Überprüfung neuer Bildgebungssonden für die Positronen-Emissions-Tomographie, wofür wir eng mit der Radiopharmazie hier am Standort zusammenarbeiten.
Darüber hinaus erlauben uns diese bildgebenden Techniken, die notwendige Tierzahl drastisch zu senken, da ein Tier wiederholt zu verschiedenen Zeitpunkten untersucht werden kann. So müssen wir nicht für jeden Untersuchungszeitpunkt neue Tiere in den Versuch nehmen.
Am ICON steht ein medizinisch zugelassener 3D-Drucker auf dem neuesten Stand der Technik. Er versetzt uns in die Lage, klinisch nutzbare Implantate wie Herzklappen oder Gefäßprothesen zu drucken. Die Kooperationspartner aus der Herzchirurgie können diese am Großtier auf Effizienz und Sicherheit überprüfen und – wenn das erfolgreich ist – auch für die klinische Anwendung nutzen.
In genetisch maßgeschneiderten Modellen kann man exakt die Substanzen testen, die später im Menschen verwendet werden sollen.Eckhard Wolf
Es gibt einen OP-Bereich der speziell für Transplantationen optimiert ist. Dort wird auch die Transplantation ganzer Organe erforscht. Warum?
Massberg: Transplantationen sind immer auch mit einer Schädigungen des Gewebes der transplantierten Organe verbunden. Das Organ muss irgendwann vom Spender entkoppelt werden und wird dann nicht mehr durchblutet. Weil Spenderorgane Mangelware sind, müssen sie teilweise über sehr weite Strecken zu den Empfängerinnen und Empfängern transportiert werden. Am ICON können wir erforschen, wie man die Schäden, die dabei entstehen, möglichst minimieren und so die Organqualität verbessern kann.
Das ICON setzt auf hohe Standards bei Tierwohl, Sicherheit und Hygiene. Wie werden die Schweine am ICON gehalten?
Wolf: ICON ist keine Zuchtstation; hier werden Tiere nur für eine bestimmte Zeit zu Forschungszwecken untergebracht. Dabei achten wir sehr stark auf das Tierwohl: Die Haltung der Schweine ist sehr flexibel gestaltet. Die einzelnen Buchten können so zusammengeschaltet werden, dass die Tiere je nach Auslastung maximal viel Platz bekommen und sie haben einen Freilauf und Zugang zu Frischluft.
Natürlich werden die Tiere unter hohen Sicherheitsbedingungen gehalten: Es ist genau festgelegt, wer die Anlage betreten darf. Und wir arbeiten nur mit Schweinen aus streng kontrollierten Zuchten, die ein Hygiene-Monitoring nach den Richtlinien der Europäischen Organisation für Versuchstierkunde durchführen.
Welche wissenschaftlichen Erfolge erwarten Sie sich in der Zukunft?
Massberg: ICON soll sich in den kommenden Jahren zu einem Nukleus für therapeutische Innovationen und neue Bildgebungsmöglichkeiten entwickeln.
Wolf: Unser großes Ziel ist es, für mindestens eine monogene Krankheit eine Behandlungsstrategie im Großtiermodell so weit zu validieren, dass sie auch klinisch getestet werden kann.